Der Gesetzgeber hat Steuerausfälle im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften spätestens im Jahr 2006 entdeckt. Doch trotz klaren Handlungsbedarfs wurde die Gesetzeslücke im Jahressteuergesetz 2007 sehenden Auges nur teilweise geschlossen. Dem Gesetzgeber war also bewusst, dass es weiterhin zu mehrfacher steuerlicher Erstattung bei Cum-Ex-Geschäften kommen könnte, wenn der (Leer-)Verkäufer von Aktien eine Depotbank mit Sitz im Ausland nutzt. Einigen Akteuren diente der Regierungsentwurf offenbar als Bedienungsanleitung: So mancher hat daraufhin die Handelsvolumina sogar erhöht.

Konsequenz fehlte auch 2016 im Untersuchungsausschuss, der die Praxis von Cum-Ex-Geschäften zwischen 1999 und 2012 unter die Lupe nehmen sollte. Ein Ergebnis von wenigen: der fragwürdige Einsatz eines Finanzrichters im Steuerreferat, der später von Lobbyverbänden vergütet wurde. Das weckte zwar Zweifel an der personellen Ausstattung des betroffenen Ministeriums, ein Fehlverhalten des Finanzministeriums wurde damals aber nicht festgestellt. Weitergehende Ermittlungen wurden verhindert. Wenig überraschend, denn das Ministerium wurde in dem maßgeblichen Zeitraum von Ministern beider Großkoalitionäre geführt. So läuft das im politischen Berlin.

Die Suche nach Schuldigen gleicht derweil einer Hexenjagd. Aktuell hat man die heutige Vizepräsidentin der Bafin ins Visier genommen, weil sie sich in früherer Funktion als Chefsyndika einer Bank offenbar intern dafür ausgesprochen hat, die Finanzgerichte zur Klärung einer Steuerfrage im Zusammenhang mit Cum-Ex anzurufen. Dabei dürfte es in einem Rechtsstaat selbstverständlich sein, Interessen auf dem Rechtsweg verfolgen zu dürfen.

Ebenfalls absurd ist es, die pauschale Verantwortung den Kreditinstituten im Allgemeinen zu geben. Denn ein solcher Vorwurf ist besonders dann nicht berechtigt, wenn er etwa Depotbanken trifft, die im Sinne eines undolosen Werkzeugs, also ohne Vorsatz, gehandelt haben. Es käme auch niemand auf den Gedanken, die Schuld für einen Einbruchsdiebstahl bei einem Baumarkt zu suchen, der Brecheisen verkauft.

Ebenso abwegig ist es, dem Bundesverband deutscher Banken (BdB) den Schwarzen Peter zuzuschieben. Erstens ist der Bundestag als Gesetzgeber verantwortlich für seine Gesetze. Zweitens waren es gerade der BdB und eines seiner Mitglieder, nämlich die Deutsche Bank, die die Finanzverwaltung frühzeitig auf das Problem aufmerksam gemacht haben. Das Jahressteuergesetz 2007 fußt zwar auf einem Vorschlag des BdB, aber anzunehmen, die dargestellte Lücke beruhe auf einem Plan des Verbands, eine halbherzige Lösung herbeizuführen, ist lebensfremd. Übersehen wird dabei unter anderem, dass der BdB objektiv kein Interesse an einer Lücke haben konnte - allein schon deshalb, weil damit ausländische Depotbanken, also Wettbewerber der BdB-Mitglieder, Zulauf erhalten haben.

Vieles in diesem Fall ist höchst unklar. Festzustellen ist aber, dass die Gerichte, die sich mit dem Themenkomplex bislang befasst haben, von einer steuerrechtlichen Unzulässigkeit, zum Teil sogar von einer strafrechtlichen Relevanz ausgehen. Doch diese Relevanz muss deutlich hinterfragt werden. Steuerhinterziehung ist strafbar, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Ein Vorgehen muss steuerrechtlich unzulässig und zudem vorsätzlich sein. Hier hat der Bundesfinanzhof nicht einmal die Frage beantwortet, ob die Geschäfte tatsächlich unzulässig sind oder ob nicht vielmehr das Steuerrecht insoweit eine Lücke bot.

Angesichts des dilettantischen Vorgehens des Gesetzgebers ist die Strafbarkeit der Transaktionen mehr als zweifelhaft. Denn nach dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot "nulla poene sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz) kann nur gestraft werden, wenn Gesetze hinreichend klar formuliert sind. Das gilt auch für Steuerstrafgesetze und auch dann, wenn es um mehrere Milliarden Euro geht.

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