von Robert Halver

Selbst in der normalerweise sehr komplizierten Finanzwelt gibt es ganz einfache Wahrheiten: Griechenland ist pleite und wird seine Schulden aus eigener Kraft nie mehr zurückzahlen. Wer das Gegenteil behauptet, ist entweder ein Realitätsverweigerer, heißt Pinocchio oder ist Politiker.

Ich frage mich mittlerweile ernsthaft, ob Euro-Politikern eine gewisse masochistische Ader wirklich abzusprechen ist. Was muss denn noch passieren, dass ihnen der Geduldsfaden reißt? Sie werden von griechischen Politikern vorgeführt wie Ochsen auf einer landwirtschaftlichen Ausstellung. Die permanenten Athener Versprechungen, eine konkrete und detaillierte Reformliste vorzulegen, sind ebenso stichhaltig wie die Behauptungen der Katze einer Maus gegenüber, sie wolle nur spielen. In der Tat spielt Griechenland Katz und Maus mit uns. Ihre Reformliste ist ein Phantom wie das Ungeheuer von Loch Ness: Es wurde gesehen und dann doch wieder nicht. Und für diesen Athener Schüttelscheck will man auch noch Hilfsgelder als Gegenleistung.

Und wenn das nicht klappt, kommt die Moralkeule in Form von Reparationsforderungen von knapp 280 Mrd. an Deutschland. Interessanterweise würden sich mit dieser Summe alle Finanzprobleme Griechenlands in Luft auflösen. Ich kann nicht beurteilen, ob und inwieweit diese Ansprüche gerechtfertigt sind. Sicher ist aber, dass sie ein sehr durchschaubares Ablenkungsmanöver vom eigentlichen griechischen Problem sind. Athen kann in der European Champions League (finanz-)wirtschaftlich nicht mitspielen, versucht den Verbleib jedoch mit unlauteren Mitteln neben dem Spielfeld zu erreichen: Bezahlen sollen den Klassenerhalt andere.

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An Putins humanistischem Wesen soll Griechenland genesen?

Und wenn alle Stricke reißen, will Griechenland als letzten Trumpf die Putinsche Karte spielen. Man will von der verbotenen russischen Frucht naschen. Athen will die gemeinsame europäische Boykotthaltung gegen Russland aufbrechen. Ist doch klar, dass man sich unter orthodoxen Glaubensbrüdern hilft, oder? Als russisches Dankeschön wird der russische Importstopp für Lebensmittel aus dem EU-Raum für Griechenland gelockert. Und als Zugabe gibt es für Griechenland auch noch einen Rabatt auf russisches Gas. Doch sollte man das Mutter Theresa-Potenzial von Putin nicht überschätzen. Als knallharte Gegenleistung bekommt Russland Zugang zu griechischem Staatsbesitz und kann Griechenland auch noch als Gas-Transitland nutzen.

Überhaupt, die wirklich große orthodoxe Bruderhilfe - russische Kredite an Athen, um die griechischen Schuldenprobleme zu mildern - wurde von Putin mit dem Hinweis, die Regierung Tsipras habe gar nicht nach Finanzhilfen gefragt, von vornherein sehr geschickt abgewehrt. Putin weiß, dass er dieses Geld wohl nie mehr wiedersehen würde. Da kann er es gleich in die Moskwa werfen, da sähe er es wenigstens noch schwimmen. Putin lässt also dieses gefundene Fressen liegen, obwohl er damit einen großen Keil in die Eurozone getrieben hätte: Die Bedingung Hilfsgelder nur gegen Reformen wäre damit nur noch ein Lippenbekenntnis. Für mich ist dies ein klarer Beweis ist, dass das griechische Finanzgebaren wie bei Hühnereiern nicht der Güteklasse A entspricht, sondern eher Bruchei-Qualität hat. Diesbezüglich war der Besuch von Tsipras in Moskau ein klassischer Schuss in den Ofen.

Wenn also selbst Putins geopolitischer Eifer an der finanzpolitischen Realität Griechenlands Halt macht, sollten dann nicht auch die Euro-Politiker endlich die griechischen Realitäten ohne Schminke betrachten: Griechenland fehlt der finanzpolitische Stallgeruch, um im Club der Eurozone zu verbleiben.

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Griechenland macht wieder in Klassenkampf

Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass es Athen um viel mehr als nur die Lösung seiner Schuldenprobleme geht. Schaut man unter die schuldenpolitischen Gewitterwolken, geht es um etwas, was wir seit 25 Jahren nicht mehr kennen: Um einen ideologischen Glaubenskrieg zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Athen lehnt die Europäische Wertegemeinschaft mit ihrer liberalen marktwirtschaftlichen Rechtsauffassung ab. Stattdessen verspürt man eine tiefe Sehnsucht nach einem sozialistischen System mit einem dominierenden Staat als omnipräsentem Nachtwächter. Allein schon bei diesem Gedanken bekomme ich Schnappatmung.

Tspiras schwebt ein Staat vor, der sein Heil in Schuldenmacherei und Umverteilung sucht. Leider zeigt die Historie eine erschreckende Bilanz: Länder, die so einem Staatsverständnis frönten, sind ohne Ausnahme eingegangen. Selbst Schweden - dieses Land galt jahrzehntelang als Musterbeispiel einer Staatswirtschaft - war schließlich gezwungen, den marktwirtschaftlichen Gegenkurs einzulenken, um nicht Pleite zu gehen.

Tatsächlich braucht Griechenland mehr Staat: Nämlich einen liberalen Staat, der wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen setzt, der die freiheitlich-demokratische und soziale Grundordnung verteidigt, der privates Eigentum schützt, der Korruption bekämpft, für Steuergerechtigkeit sorgt und sich kein bürokratisches Übergewicht anfrisst. Ich behaupte nicht, dass so ein marktwirtschaftliches Staatswesen ohne Fehler ist. Aber es ist im Vergleich allen anderen Systemen überlegen.

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Wehret den Anfängen - Ansonsten Kalinichta Europa!

So einen funktionsfähigen "Staat" meidet die Regierung Tsipras aber wie der Frosch den ausgetrockneten Tümpel. Vielmehr soll sein sozialistischer Gegenentwurf nicht nur Griechenland "beseelen", sondern als Athener Exportschlager auch andere Euro-Länder "glücklich" machen. Mit diesem epochalen Ziel vor Augen spielt man in taktischen Verhandlungen mit den Gläubigerländern auf Zeit, auf so viel Zeit, bis sich diese sozialistische Lehre möglichst auch in Ländern wie Spanien oder Portugal etabliert hat, wo im Herbst gewählt wird. Am Ende will man der Marktwirtschaft in der Eurozone das Genick gebrochen haben.

Das wäre nicht mehr mein Europa. Die Eurozone muss endlich etwas dagegen unternehmen, dass der griechische Schwanz mit dem europäischen Hund wedelt. Ansonsten hätte uns Griechenland nicht nur die Demokratie gebracht, sondern auch den wirtschaftlichen und damit geopolitischen Untergang.

Euro-Politiker sollten sich nicht mehr länger nur die Frage stellen, inwieweit ein Austritt Griechenlands den gemeinsamen Währungsraum in Bedrängnis bringt. Warum ist eine Kette schwächer, wenn ihr schwächstes Glied entfernt wird? Es geht vor allem um die Frage, welche Kollateralschäden Griechenland als Mitglied der Eurozone anrichten kann. Einen Spaltpilz können wir nicht gebrauchen.

Griechenland selbst ging es Ex-Eurozone längerfristig auch besser. Mit Währungsabwertung und großzügigem Schuldenschnitt - an dieser Wahrheit kommen wir auch im Status Quo definitiv nicht vorbei - könnte Griechenland wieder frischen Wind unter seine Wirtschaftsflügel bekommen. Insbesondere aber wäre die Athener Regierung endlich gezwungen, ihre Hausaufgaben selbst zu machen und könnte die Schuld nicht mehr nur bei den Anderen suchen. Und der Eurozone ging es ohne die sozialistischen Gesundbeter aus Athen auch besser. Die Renten- und Aktienmärkte signalisieren bereits deutlich, dass eine Euro-Krise 2.0 selbst bei einem Ausscheiden Griechenlands ausbleiben wird. Und selbst die europäische Konjunkturstimmung lässt sich durch die GREXIT-Gerüchte nicht trüben. Im Gegenteil, sie entwickelt Frühlingsgefühle.

Scheiden tut nicht immer weh. Im Gegenteil, wenn Griechenland austritt, gewinnen alle.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.