Kaum eine Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit beginnt ohne den Verweis auf das gute Gewissen. Und Ausschlusskriterien sind schnell gefunden. Es ist immer einfach zu sagen, was man alles nicht will. Doch welche Motivation steht dahinter? Tatsächlich Sinnhaftigkeit für Umwelt und menschliches Wohlergehen? Oder vielleicht doch eher unser eigenes subjektives Gewissen als Maßstab dafür, was nachhaltig sein soll. Doch der Gedanke, dass etwas richtig ist, weil es sich richtig anfühlt, ist Selbstbetrug und das im doppelten Sinn. Denn zum einen geht es am Zweck von Nachhaltigkeit vorbei, nämlich etwas dauerhaft zu verändern. Ausschlüsse verhindern einen Dialog und damit die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen und etwas zu verändern. Zum anderen steigern dogmatische Ausschlüsse Risiken fürs Vermögen und mindern somit auch Renditechancen.

Bei der Bewertung von Nachhaltigkeit sollte es nicht um uns selbst und unsere subjektive Wahrnehmung gehen. Es geht darum, die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zu erhalten. Und im Hier und Jetzt geht es auch darum, einen Wertewandel mit Blick auf den Klimawandel in die Tat umzusetzen. Mit dogmatischen Ausschlüssen wird das nicht erreicht. Denn der Dreiklang ESG, der für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) steht, ist wie das magische Dreieck: Alle drei Kriterien zu erfüllen, ist schwer. Entsprechend rechercheintensiv ist es, sinnvolle Ausschlusskriterien zu definieren, die dem Nachhaltigkeitsgedanken gerecht werden und immer noch genügend Wertpapiere für ein ausreichend diversifiziertes Portfolio erlauben. Außerdem geht es nicht um das Image einer Branche. Ein Beispiel: Solarstrom - der Einsatz der Technik - ist umweltfreundlich, aber die Produktion der Solarzellen nicht. Dafür werden hochgiftige Chemikalien eingesetzt, die verantwortungsvoll entsorgt werden müssen.

Eines ist klar: Greenwashing, also Nachhaltigkeit für Marketingzwecke zu missbrauchen, ist schädlich für dieses Anlagethema. Doch genauso schädlich ist es, sich einseitig auf Nachhaltigkeit zu fixieren und das über extrem strenge Ausschlussrisiken zu spielen. Das birgt Investitionsrisiken. Warum? Die meisten klassischen nachhaltigen Fonds haben ein stark konzentriertes Portfolio, das oft weniger als 100 Werte umfasst. Das ist viel zu wenig. Eine ausreichende Diversifikation ist hier nicht gegeben, und entsprechend hoch sind die Risiken für die Anleger, die ja letztendlich den nachhaltigen Wandel durch ihr Investment finanzieren wollen. In Phasen allgemeiner Marktschwäche geben konzentrierte Portfolios deutlich stärker nach. Ein bekannter nachhaltiger Fonds ist dafür ein Beispiel. Er verlor zum Beispiel während der Finanzkrise 2008 rund 60 Prozent, der breite Markt gut 50 Prozent. Während der Markt 72 Monate brauchte, um die Verluste wieder wettzumachen, brauchte dieser Fonds mit einem konzentrierten Portfolio 96 Monate dafür. Es ist fraglich, ob Anleger nach schmerzhaften Verlusten erkennen, dass nicht das Thema Nachhaltigkeit, sondern die Portfoliokonstruktion bei den meisten klassischen Produkten riskant ist. Wahrscheinlicher ist, dass sich genau diese Anleger dann vom Thema Nachhaltigkeit vollends abwenden werden. Und das wäre fatal.

Vielleicht kann man das Thema Nachhaltigkeit unter einer anderen Fragestellung betrachten: Die Transformation zum Erreichen der Klimaziele und zu einem geringeren CO2-Ausstoß ist für die Unternehmen teuer, und sie braucht Zeit. Das sollte bei der Festlegung von Ausschlusskriterien berücksichtigt werden. Eine weitverbreitete Auffassung ist, ganze Branchen per se auszuschließen. Aber: Um den Wandel in Fahrt zu bringen, sind die Stimmen der Aktionäre, als Eigentümer der Unternehmen, wichtig. Strenge Ausschlüsse führen dazu, dass Anleger nur noch an einigen wenigen und bereits sehr nachhaltigen Unternehmen beteiligt sind und im Umkehrschluss keinen Einfluss in Unternehmen ausüben, wo es nötig wäre.

Kai Hattwich

Der Autor lernte Bankkaufmann und studierte Finanzmanagement in Nürtingen, Melbourne und Vilnius. Er verantwortet als Mitglied des Anlageausschusses der Quirin Privatbank und des Robo-Advisors Quirion die strategische Allokation und entwickelte den hauseigenen Produktauswahlprozess für ETFs. Die Quirin Privatbank bietet seit Mai 2019 eine nachhaltige Vermögensverwaltungsstrategie an.