Geht es um die Dekarbonisierung des Transportwesens, eines der vier großen Emittenten von CO2, haben die meisten Anleger bislang an Brennstoffzellen und Elektro- sowie Hybridmotoren für Pkws und Lkws gedacht. Doch auch das Fahrrad kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Denn rund drei Viertel der im Transportwesen entstehenden Treibhausgase werden im städtischen Nahverkehr erzeugt, also auf Strecken wie gemacht für das Fahrrad. Und mittlerweile zeigt sich, dass immer mehr Menschen auch tatsächlich für kurze Trips vom Auto auf das Fahrrad umgestiegen sind. Dafür sprechen die mittlerweile auf bis zu zwölf Monate gestiegenen Lieferzeiten für Fahrräder. Auch das überdurchschnittlich kräftige Absatzplus bei den Lastenfahrrädern von 40 Prozent im vergangenen Jahr lässt darauf schließen, dass der Drahtesel zunehmend den Pkw im Alltag von Städtern verdrängt.

Derzeit hat der globale Markt für traditionelle Fahrräder und E-Bikes mit rund 45 Milliarden Dollar bereits ein Volumen, das auf dem Niveau der Pendants für Motorräder, 39 Milliarden Dollar, und Campingwagen, 50 Milliarden Dollar, liegt. Das Wachstum in den kommenden Jahren dürfte nach unserer Einschätzung durch die E-Bikes getrieben werden: Wurden 2015 in Europa gerade einmal rund eine Million dieser Fahrräder neu verkauft, lag die Zahl 2020 bereits bei etwa 3,8 Millionen, und sie soll sich bis 2025 auf fast zwölf Millionen verdreifachen. Vor allem die verbesserte Reichweite der Batterien wird für eine zunehmende Akzeptanz durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten sorgen. Ein umgekehrtes Bild bei traditionellen Drahteseln: Gingen 2015 noch rund 20 Millionen dieser Fahrräder über die Tresen, waren es 2020 nur noch 17, und 2025 dürften es nur noch 16 Millionen sein.

Neben dem insgesamt gestiegenen Bewusstsein für die potenziell dramatischen Folgen des Klimawandels dürften bei vielen Menschen auch finanzielle Anreize den Umstieg auf das Fahrrad begünstigt haben. Im Rahmen des "Grünen Deals" der EU beispielsweise stehen 20 Milliarden Euro zur Förderung der urbanen Mobilität zur Verfügung. Das Gros der Mittel wird zwar für den Ausbau der Radwege verwendet werden, allerdings wird ein Teil auch zur Subventionierung des Kaufs neuer Fahrräder genutzt. In Italien beispielsweise bekommt man beim Erwerb bis zu 500 Euro.

Ähnlich wie im Automobilsektor können Anleger auch in der Fahrradindustrie entweder über die Aktien der Hersteller oder die Papiere der Zulieferer investieren. Besonders attraktiv erscheinen die Zulieferer, die über ein Quasi-Oligopol mit den entsprechend großen Marktanteilen, hohen Margen, guten Bilanzen und starker Preissetzungsmacht verfügen. Dazu zählen beispielsweise die Zulieferer von Antrieben, Bremsen und speziell für E-Bikes entwickelten und produzierten Batteriezellen.

Die Zulieferer sind zwar genau wie die meisten Hersteller aktuell vergleichsweise hoch bewertet, dafür verfügt die Fahrradindustrie jedoch auch über sehr gute Aussichten. Die Kapazitäten sind mit 80 bis 90 Prozent ausgelastet. Die Lieferzeiten liegen bei neun bis zwölf Monaten - teilweise ist sogar überhaupt nichts zu bekommen. Die Unternehmen können daher die Preise für im vergangenen Jahr bestellte Fahrräder und Komponenten rückwirkend um teilweise zehn Prozent anpassen.

Auch über den Tag hinaus gibt es ein visibles Wachstum. So ist die E-Bike-Penetration in Europa zwar schon recht hoch, in Deutschland etwa liegt der Anteil an den jährlichen Neuverkäufen bei 30 Prozent, in den Niederlanden sogar bei 50 Prozent. Aber in Großbritannien und den USA sind es gerade einmal ein bis zwei Prozent. Und in beiden Ländern können staatliche Subventionsprogramme, die sich in der Pipeline befinden, für zusätzliche Nachfrage sorgen. Dieses Thema ist bei vielen Investoren noch unterhalb des Radars und bietet daher Potenzial.

 


Tim Bachmann

Bachmann ist Analyst für den Technologiesektor und seit 2012 bei der DWS. Er betreut den Fonds DWS Invest ESG Climate Tech, der unter anderem auf Unternehmen setzt, die dazu beitragen, den Klimawandel abzumildern. Die DWS Group ist einer der führenden Vermögensverwalter mit einem verwalteten Vermögen von 793 Milliarden Euro und mit rund 3500 Mitarbeitern an Standorten in der ganzen Welt vertreten.


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