Die Begeisterung für die Börse ist wieder so groß wie zu Zeiten des Neuen Marktes. Damals schwebten Anleger auf magentafarbenen Wölkchen und zeichneten die Volksaktie, als wäre diese morgen ausverkauft. Und jetzt wieder: Gamestop ist die neue Telekom. Und Mobilcom heißt jetzt Bitcoin. Wir Deutschen haben die Liebe zu Aktien und Wertpapieren (wieder-)entdeckt. Doch die Freude über Millionen von neuen Aktionären wird von der Angst vor den neuen (unbedarften) Zockern getrübt, die nicht anlegen und investieren, sondern die Börse mit einem Casino verwechseln.

Jetzt kam der Reddit-Schwarm von bis zu acht Millionen vernetzten Privatanlegern, die den ungekrönten Hedgefonds-Königen das Spiel vermiesten. Sogenannte Meme-Aktien wie Gamestop oder Blackberry wurden zum Sinnbild der neuen blinden Gier und der Rache der Kleinanleger an den gierigen Hedgefonds, die oft genug genau die Aktien ins Visier nahmen, die Privatanleger so sehr schätzen. Möglich wird der neue Aktienboom aus einem Zusammenspiel von neuen Technologien und Geschäftsmodellen im Mobile Banking, der von den Zentralbanken verordneten Zinsflaute, der Notwendigkeit der eigenverantwortlichen Altersvorsorge und extremen Kursbewegungen durch die Pandemie. Aber vielleicht auch aus lauter Langweile und vermeintlichem Nervenkitzel durch eine Gamifizierung der Geldanlage, begünstigt durch neue, hippe Apps.

Denn noch nie war es so einfach, unkompliziert, aufregend und spaßig mit Kleinstbeträgen an den Börsen zu partizipieren. Gleichzeitig waren die (temporären) prozentualen Kursgewinne selten so gewaltig wie bei Meme-Aktien. Bei einer Steigerung von 3000 Prozent lassen sich auch schon bei einem Einsatz von 50 Euro erhebliche Gewinne erzielen. Eine solch asynchrone Wette ist verlockend - das Risiko aber überschaubar, sofern die Anleger wissen, wie viel man guten Gewissens einsetzen kann, und sich bewusst sind, dass Gier gerne Hirn frisst.

Tatsächlich ist das aber nur die eine Seite der Medaille. Es ist die verruchte Story, die es auf die Titelseiten der Medien schafft. Die Zahlen zeigen aber, dass es die schweigende Basis gibt. Den stillen Anleger, der durch kontinuierliche Einzahlungen in Fonds und ETFs mit einem Sparplan ein finanzielles Polster aufbaut. 2020 wurden laut extraETF.com über 700 000 neue Sparpläne abgeschlossen und so die Schallmauer von zwei Millionen geknackt. Mit dieser Steigerung von über 50 Prozent kletterte auch die durchschnittliche Einzahlung auf über 170 Euro. Ein Land von Zockern können wir schon deshalb nicht geworden sein.

Aktuelle Zahlen des Deutschen Aktien Instituts belegen, dass von den 17,5 Prozent Aktiensparern in Deutschland lediglich 4,3 Prozent ausschließlich in Aktien investieren. Die große Mehrheit investiert in Fonds oder ETFs und eben auch in Aktien. Wir haben es mit einem hybriden Privatanleger zu tun, der viele unterschiedliche Finanzprodukte und Anlageformen nutzt. Und selbst bei den reinen Aktienanlegern dürfte ein großer Anteil mit ruhiger Hand investieren. Ebenso scheint Alter kein Indiz für Zockertum zu sein. Die 14- bis 39-Jährigen investieren ebenso nur in Fonds und ETFs wie die über 40-Jährigen. Beide Altersgruppen liegen bei 57 Prozent. Ein wenig mit Aktien zu spekulieren, scheint für die große Mehrheit weiterhin nur das Salz in der Anlagesuppe zu sein.

Ausgaben im Griff haben und richtig sparen kann erlernt werden. Ein Haushaltsbuch und die Börse sind kein Hexenwerk. So könnte ein wenig Zockerei an der Börse Teil eines natürlichen Umgangs mit Geld sein - eine Chance auf Rendite, gepaart mit Spaß und Nervenkitzel. Gegen ein aktives und risikobewusstes Handeln an der Börse in Kombination mit einem nachhaltigen Finanzkonzept zum Aktiensparen ist nichts einzuwenden.

 


Matthias Hach

Hach ist seit dem 1. März 2021 neuer Vorstandsvorsitzender der wallstreet:online AG. Zuvor war er Bereichsvorstand bei der Commerzbank AG. Hach arbeitete seit 2016 bei der Comdirect und war dort in verschiedenen Positionen tätig, unter anderem als Head of Brokerage. Die wallstreet:online-Gruppe betreibt mit über 200 Mitarbeitern Finanznachrichtenportale und ist zudem im Online-Brokerage-Geschäft aktiv.


Exklusiv in BÖRSE ONLINE schreiben renommierte Finanzexperten und Investmentprofis über Börse und Geldanlage. Weitere Gastkommentare finden Sie unter: www.boerse-online.de/meinungen-und-perspektiven