Eine Krise konnte 2019 immerhin schon mal abgewendet werden: Die für den 15. Dezember 2019 angekündigten Handelszölle zwischen den USA und China sind nicht in Kraft getreten. Dagegen eskalierten die Spannungen zwischen den USA und dem Iran auf ein seit 1979 nicht mehr da gewesenes Niveau. Der Goldpreis blieb stabil, als die Sorgen in Bezug auf die Handelskonflikte nachließen, zog aber mit Beginn der neuen Iran-Krise wieder an. Seit dem 9. Dezember 2019 kletterte der Goldpreis von 1461 US-Dollar auf 1561 US-Dollar am 23. Januar 2020.

Trump-Administration könnte sich auf Europa fokussieren


Die Dramatik im Nahen Osten und die Handelskonflikte werden den Goldpreis im Jahr 2020 weiter stützen. Denn der auf einem nur begrenzten Themenkatalog basierende Phase-1-Deal im Handelskonflikt zwischen den USA und China legt nicht wirklich das gesamte Ausmaß der US-Beschwerden offen. So ist es nicht überraschend, dass der Goldmarkt hinsichtlich weiterer Fortschritte in diesem Streit vorsichtig bleibt. Tatsächlich könnte eine Vereinbarung den Erfolg weiterer Teilabkommen bis nach den Präsidentschaftswahlen in den USA Ende 2020 aufhalten.

Noch schlimmer: Die Trump-Administration könnte sich nach dem jüngst verkündeten Triumph in den Handelsvereinbarungen mit Mexiko, Kanada sowie einer Reihe asiatischer Länder mit der Bekanntgabe eines vorzeitigen Sieges über China rehabilitieren und sich dann auf das Handelsdefizit gegenüber Europa fokussieren. Dies könnte die Risiken einer konjunkturellen Abschwächung im Jahr 2020 noch erhöhen. Der Goldpreis dürfte in diesem Jahr weiter durch das Ausmaß des Fortschritts in den Diskussionen über die Handelsvereinbarungen beeinflusst werden.

Unserem internen Analysemodell zufolge wird der Goldpreis im Lauf dieses Jahres weiter zulegen. Er könnte das Jahr bei einem Stand um die 1640 US- Dollar beenden. Für dieses Basisszenario verwenden wir Konsensus-Prognosen für die Renditen der Treasuries, den US-Dollar-Basket, die Inflation und konservative Prognosen für die spekulative Positionierung bei Gold-Futures. Sollten wir jedoch in einer Welt landen, in der die Spannungen im Nahen Osten fortdauern oder der Handelsprotektionismus außer Kontrolle gerät und die Währungshüter in der Folge zu radikal neuen Tools greifen müssen, könnten wir einen Anstieg des Goldpreises über 2000 Dollar sehen. Auf der anderen Seite könnte Gold dieses Jahr um 1470 Dollar beenden, wenn die Handelskonflikte einvernehmlich gelöst werden.

Es macht Sinn, Absicherung in die Portfolios einzubauen


Einer der Hauptunterschiede zwischen unseren Basis-, Bären- und Hausse-­Szenarien liegt - gemessen an der Positionierung in Gold-Futures - im Marktsentiment gegenüber Gold. Dieses ist derzeit stark, denn auf den Märkten herrscht offenbar Unruhe. Auch wenn zyklische Anlagen wie Aktien derzeit gut laufen, bauen Anleger Absicherungen mit Gold auf. Die militärische Konfrontation zwischen den USA und dem Iran ist der Grund für die jüngste Spitze in der Positionierung. Aber selbst wenn diese nachlässt, wird sich die Sorge vor Handelskonflikten in diesem Jahr wahrscheinlich nicht so leicht verflüchtigen.

Wir glauben, dass das Thema Handel der Dreh- und Angelpunkt der Bedenken in den Köpfen der Marktteilnehmer ist. Die schiere Unvorhersehbarkeit der Maßnahmen von politischen Entscheidungsträgern und die Auswirkungen politischer Glücksspiele, die schieflaufen können, belasten die Stimmung. Es ist nicht so, dass die Anleger erwarten, dass die Dinge gründlich misslingen, aber das Risiko hierfür ist hoch und die Konsequenzen wären düster. Es macht demzufolge Sinn, Absicherungen in die Portfolios einzubauen.

Leider ist die Antwort auf die Frage, wie lange die spekulativen Positionierungen erhöht bleiben, gleichzeitig mit der Frage verbunden, wie lange die ­Sorgen in Bezug auf handelsbezogene oder militärische Auseinandersetzungen und andere geopolitische Risiken bestehen bleiben. Darauf haben wir keine klare Antwort, unsere Szenarien sollen jedoch veranschaulichen, was mit Gold geschehen könnte, wenn die Positionierungen sinken oder ansteigen würden.

Kurzvita

Nitesh Shah
Director Research Team WisdomTree
Nitesh Shah ist Director im Research-Team von WisdomTree. Zuvor war er bei ETF Securities als Commodities Strategist tätig, bevor das Unternehmen im April 2018 von WisdomTree übernommen wurde. Shah ist bereits seit 16 Jahren als Ökonom und ­Stratege tätig. Shah startete seine ­Karriere bei der HSBC ­Investment Bank. Er absolvierte ein ­Bachelor-Studium an der renommierten ­London School of ­Economics und hält ­einen Master of Arts in International Economics and Finance der Brandeis University (USA).