Die Krim-Krise hat Russland bisher vor allem finanziell geschadet. Es wurde bereits viel Kapital aus dem Land abgezogen und auch die Aktienkurse sind deutlich gefallen. In Mitleidenschaft gezogen wurden auch die Anteilsscheine von OAO Gazprom (WKN: 903 276, 5,549 Euro) und das nicht zu knapp. Denn vom 24. Februar bis zum 13. März verloren die ADRs rund ein Viertel an Wert. Seitdem hat der Kurs, obwohl in der Ukraine weiterhin milliardenhohe Forderungen auf dem Spiel stehen, aber schon wieder um rund 20 Prozent zugelegt. Es ist also einiges an Volatilität bei diesem Titel drin, was viele spekulativ angehauchte Anleger anlockt. Zumal trotz der jüngsten Gewinne alleine bis zum Oktober-Zwischenhoch noch immer gut 23 Prozent Luft nach oben ist.

Die Optimisten ergötzen sich vor allem an der tiefen Bewertung des Titels. Das KGV auf Basis der für 2014 erwarteten Gewinne liegt bei unter drei und das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei rund 0,3. Das ist jeweils außergewöhnlich niedrig und würde den Titel normalerweise zu einem blinden Kauf machen. Zumal mit geschätzten 6,13 Prozent auch noch die Dividendenrendite stimmt und hier nach Einschätzung mancher Analysten eventuell ein Jahr später sogar noch mehr winkt. Schließlich hatten Unternehmensvertreter unlängst selbst verkündet, am 2015 rund 25 Prozent des Reingewinnes auszuschütten (für 2012 waren es laut der Société Générale erst 15 Prozent und für 2013 voraussichtlich 22 Prozent).

Auf Seite 2: Aus Europa kommen 60 Prozent der Erträge

Aus Europa kommen 60 Prozent der Erträge

Hinzu kommen auch noch einige allgemeine Kaufargumente, die viel mit Größe zu tun haben. So ist der russische Gasmonopolist, an dem der Staat 50 Prozent plus eine Aktie besitzt, das größte Unternehmen in Russland, das 15 Prozent der Exporte einbringt und mit einem Anteil von 14 Prozent an den Steuereinnahmen der größte Steuerzahler. Zudem handelt es sich um einen der größten börsennotierten Energiekonzerne weltweit. Das Unternehmen verfügt über die weltgrößten Gasreserven und der weltweite Anteil daran liegt bei 18 Prozent. Bei der Gasproduktion beträgt der Weltmarktanteil 14 Prozent. Die Ölreserven belaufen sich auf 1,9 Milliarden Tonnen.

Der Konzern deckt die gesamte Wertschöpfungskette im Gasbereich von Exploration und Produktion über das Pipelinenetz bis zum Endkundenvertrieb ab. Daneben verfügt Gazprom über seine 96 Prozent-Tochter GazpromNeft über ein Standbein im Ölgeschäft. In den vergangenen Jahren hat sich Gazprom zudem rund 25 Prozent des russischen Strommarktes gesichert, insbesondere in den Boomregionen Moskau und St. Petersburg, wie die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg schreiben. Wie bedeutsam die Gesellschaft ist, lässt sich auch an den folgenden Daten ablesen: Den Unternehmensangaben zufolge hat Gazprom im Vorjahr den Anteil am Gasmarkt in Europa von 25,6 Prozent auf rund 30 Prozent gesteigert. Dieser Markt bringt bei einem Anteil am Konzernumsatz von 30 Prozent zudem gut 60 Prozent der Konzernerträge, wie erneut die Experten der Landesbank Baden-Württemberg herausstellen.

Auf Seite 3: Starker Staatseinfluss kritisch zu werten

Starker Staatseinfluss kritisch zu werten

Das klingt alles nach einem florierenden Konzern, der weltweit geachtet und angesehen ist. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, zieht Gazprom regelmäßig doch viel Kritik auf sich. Das hat zum einen mit dem Geschäftsgebaren selbst zu tun, aber auch mit der Nähe zum russischen Staat. Erstgenanntes führt dazu, dass Gazprom als eines der verschwiegendsten Unternehmen weltweit gilt. Um die Gesellschaft ranken sich viele Gerüchte, zu denen auch Spekulationen darüber gehören, ob nicht ein Teil der Gewinne in Taschen versickert, von denen die Privatanleger letztlich nichts haben. Im Vorjahr wurden beim Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen zwar vermutlich 53 bis 54 Milliarden Dollar eingespielt, aber als privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen läge dieser Wert unter sonst gleichen Bedingungen bestimmt viel höher.

Kein Geheimnis und damit auch keine Spekulation sondern Tatsache ist, dass Gazprom von der Politik als außenpolitische Allzweckwaffe eingesetzt wird. Das bringt Staaten, die sich Russlandtreu zeigen, günstiges Gas, während Ländern, die abtrünnig werden, schon mal mit saftigen Preiserhöhungen gedroht wird. Nicht nur die Ukraine kann davon ein Lied singen. Zyniker werden zwar sagen, das ist ein legitimes Mittel zur Verteidigung der eigenen Landesinteressen. Aber Dinge wie diese könnten sicherlich auch anders gelöst werden und als Privatanleger sollte man sich schon fragen, ob man bei diesen Machtspielen durch das zur Verfügung stellen von Kapital wirklich mitmischen will. Zumal es im Grunde genommen auch schon kritisch zu werten ist, dass Gazprom auch auf dem Heimatmarkt verglichen mit anderen Unternehmen oft Vorteile zugeschanzt bekommt. Ob man das fördern will, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Auf Seite 4: Aktienkurs dümpelt auf dem Niveau von 1997

Aktienkurs dümpelt auf dem Niveau von 1997

Keine derartigen Bedenken scheinen auch die Verantwortlichen bei FC Schalke 04 zu haben, denn bei dem Fußball-Bundesligisten ist Gazprom seit Anfang 2007 Hauptsponsor. Geboren wurde diese Partnerschaft aus der Not heraus, stand Schalke damals doch finanziell ziemlich klamm da. Abgesehen von den aufgezeigten moralischen Bedenken, die man teilen kann oder auch nicht, gilt es aus Anlegersicht einen wichtigen Fakt nicht zu ignorieren. Gazprom mag im Energiesektor ein Riese sein, für Investoren war die Aktie aber letztlich bisher ein Reinfall. Denn unter Druck steht der Kurs nicht erst seit der Krim-Krise, sondern schon seit einigen Jahren und die aktuellen Notierungen bewegen sich auf einem Niveau, das in Euro gerechnet auch schon mal 1997 Gültigkeit hatte. Wer seitdem investiert war, hat somit in 17 Jahren außer den zugeflossenen Dividenden nichts verdient (auch mit dem DAX konnte die Aktie zuletzt nicht mithalten; siehe Chart). Das darf getrost als ein Signal dafür gewertet werden, dass auch die meisten Marktteilnehmer gewisse Vorbehalte gegenüber dem Unternehmen hegen.

In der jüngeren Vergangenheit stand der Titel dabei möglicherweise auch deshalb unter Druck, weil durch das Aufkommen des amerikanischen Schiefergases mit einem Bedeutungsverlust für Gazprom gerechnet wird. Allerdings bleibt abzuwarten, ob es dazu überhaupt kommen wird. Schließlich hat das Unternehmen auch die Option, das Geschäft mit Asien und China auszuweiten. So wird bekanntlich mit dem Reich der Mitte gerade über den Abschluss eines 30 Jahre laufenden Gasliefervertrages verhandelt. Eine Vollzugsmeldung dürfte den Kurs ebenso beflügeln wie eine mögliche Entspannung in der Krim-Krise.

Kommt es dazu, würde sich das Chartbild bei einem Anstieg auf Kurse von mehr als 7,30 Euro deutlich aufhellen. Denn damit wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Das Zwischenhoch vom Oktober 2013 wäre dann ebenso überwunden wie der seit Mitte 2008 bestehende Abwärtstrend. Stark eintrüben würde sich dagegen die charttechnische Lage bei einem Fall unter die wichtige Unterstützungslinie bei rund 4,80 Euro. Diese wurde jüngst schon einmal kurz verletzt, letztlich hat diese Marke aber gehalten.

Auf Seite 5: Fazit

Fazit

Rein bewertungstechnisch gesehen wären bei Gazprom locker viel höhere Kurse drin. Zur Erinnerung: Im Jahr 2006, also noch vor der Kreditkrise, notiert der Titel im Hoch bei 20,80 Euro. Außerdem hat sich die Notierung anders als früher vom weiter hohen Ölpreis abgekoppelt, was Nachholbedarf birgt (siehe Chartvergleich). Doch wer nicht nur ans Geldverdienen denkt, findet auch einige überzeugende Gründe, die dagegen sprechen, dem russischen Gasmonopolisten Kapital zu geben. Sofort ganz anders würde das bei einer verbesserten Corporate Governance aussehen. Aber die ist in Zeiten, in denen es Russland wieder mehr um die Herausstellung der bestehenden kulturellen Unterschiede zum Westen geht, nicht unbedingt zu erwarten.