Eingefleischte BMW-Fans rieben sich verblüfft die Augen, als der Autobauer aus München das neue Modell 2er Active Tourer präsentierte und gleichzeitig mit einem Tabu brach: weg vom Hinterrad-, hin zum Frontantrieb. Damit ergänzt der Premiumhersteller sein Kompaktwagenangebot. Auch der gerade präsentierte Ableger der BMW-Marke Mini, der Clubman, fährt in dieser Sparte vor und erhöht die Auswahl im Bereich zwischen Kleinwagen und Mittelklasse.

Eine Strategie, die auch die direkten Konkurrenten Audi und Mercedes-Benz fahren. Die globale Käuferschaft soll mit bezahlbaren Modellen zu Einsteigerkunden im Premiumsegment gemacht werden. So investiert Daimler bis zum Jahr 2020 eine Milliarde Euro in das Werk Rastatt, wo Mercedes-Benz drei seiner fünf Kompaktmodelle fertigt: die A- und die B-Klasse sowie den kleinen Geländewagen GLA. Schon 2014 standen diese für ein Absatzwachstum von 25 Prozent auf 463 000 Einheiten. Doch die Absätze werden wieder einmal vor allem außerhalb Europas generiert. "Nicht ungewöhnlich für einen derart gesättigten Markt", sagt Tim Urquhart, Analyst beim Branchendienst IHS Automotive.



Aus der Not eine Tugend machen


Vor allem China ist im Fokus - trotz oder gerade wegen der drohenden Wirtschaftsflaute. Chinesische Käufer halten sich schon seit einigen Monaten beim Kauf großer Modelle zurück, was durch den jüngsten Einbruch des dortigen Aktienmarkts forciert werden dürfte. Der Absatzrückgang bei den Dickschiffen soll mit kleineren Modellen kompensiert werden. Die Kaufkraft verlagere sich in das Mittelklasse- und Kompaktwagensegment, das zu einem der Wachstumstreiber geworden sei, sagt etwa Dietmar Voggenreiter, bis Ende des Jahres China-Chef von Audi.

Bei Daimler indes ist in China überhaupt noch kein Anzeichen von Schwäche erkennbar. Die Schwaben verkauften im August 32 763 Modelle der Marke Mercedes-Benz im Reich der Mitte, ein Plus von 53,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. In diesem Jahr will Daimler in China mehr als 300 000 Autos absetzen. Die Vorzeichen, dieses Ziel zu erreichen, stehen gut: Bis Ende August waren es rund 230 000, ein Plus von 28 Prozent.

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Lage weniger dramatisch als angenommen



Auch in anderen Märkten scheint die Lage nicht so dramatisch zu sein, wie die jüngsten Kursabschläge der großen deutschen Autobauer suggerieren: Alle drei im DAX notierten Autohersteller fielen im August unter die von BÖRSE ONLINE zur Gewinnsicherung mehrfach nachgezogenen Stoppkurse. Dabei kamen etwa aus den USA zuletzt überraschend starke Zulassungszahlen und auch die Produktionszahlen in Deutschland übertrafen die Erwartungen.

Obwohl der Kursrutsch übertrieben erscheint, ist das Momentum derart negativ, dass ein Wiedereinstieg auf breiter Front zurzeit dem berüchtigten Griff ins fallende Messer gleichkäme. Allein bei Daimler bietet sich der antizyklische Aufbau erster Positionen an. Weltweit legten die Verkäufe der Marken Mercedes-Benz und Smart in den ersten acht Monaten um 15,9 Prozent auf 1,27 Millionen Autos zu. Bei BMW konnte sich immerhin die nicht im DAX notierte (und günstiger bewertete) Vorzugsaktie über dem Stopp bei 55 Euro halten und ist daher erste Wahl. Die BMW-Stammaktie sowie Volkswagen stuft die Redaktion bis auf Weiteres mit "Beobachten" ein. Hier gilt es zunächst abzuwarten, ob die 52-Wochen-Tiefs bei 76 Euro (BMW) und 150 Euro (VW-Vorzüge) halten.

Trotz der Kursschwäche können sich Audi, BMW und Mercedes auch weiterhin der Strahlkraft deutscher Premiummarken sicher sein - zulasten der Volumenproduzenten. IHA-Analyst Urquhart: "Die Mittelklassehersteller bekommen zunehmend Konkurrenz von den Premium-Automobilbauern, die dabei sind, ihren Umsatz in diesem Segment zu erhöhen. Modelle wie Mercedes-Benz A-Klasse, BMW 1er und Audi A3 erfreuen sich großer Beliebtheit."

BMW hat gute Chancen, sich ein ansehnliches Stück der Marktanteile im sogenannten C-Segment (C steht für Compact) zu erobern. "In den kommenden Jahren wird das Kompaktsegment um 25 Prozent wachsen", ist Vertriebsvorstand Peter Schwarzenbauer überzeugt. Ein Spaziergang wird die Eroberung der Kunden freilich nicht. Im Kalkül der Strategen in München, Ingolstadt und Stuttgart spielen jedoch nicht nur wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. Das Bekenntnis zum gepflegten Understatement kommt den Unternehmen gerade recht - auch aus politischen Gründen: Bis 2020 müssen 95 Prozent der Neuwagen einen Ausstoß von 95 Gramm CO2 pro Kilometer einhalten, ab 2021 gilt das für die gesamte Flotte. Das ist mit einem (zwar höchst rentablen) 7er im Falle BMW, dem A8 von Audi oder dem Mercedes-Flaggschiff S-Klasse nicht machbar, schon gar nicht, weil die Flotten mit klangvollen Namen wie Rolls-Royce, Maybach, AMG, Bentley und Lamborghini nach oben abgerundet werden. Um die Vorgaben zu erfüllen, müssen die Kompakten herhalten.

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Welcher Widerstand erwartet wird



Die dortigen Platzhirsche wie Ford, Hyundai, Toyota (Kurs mittlerweile sehr nah am Stopp!) und VW werden das Feld den Premiumherstellern nicht kampflos überlassen. Die Kompaktklasse ist ein wesentlicher Rentabilitätsgarant. Das zeigt schon die Tatsache, dass Ford Focus oder Toyota Corolla zu den meistververkauften Fahrzeugen weltweit gehören.

Die Volumenhersteller wollen über das Preis-Leistungs-Verhältnis punkten. So plant Ford, seine Kompaktwagenproduktion aus Kostengründen von den USA nach Mexiko zu verlagern, Hyundai bringt mit Modellen wie dem i30 europäische Ansprüche auf asiatischem Preisniveau. Auch aus diesem Grund sieht Hyundais Deutschland-Statthalter Markus Schrick den Angriff der Premiummarken gelassen.

Trotzdem verschärft der Einstieg der Oberklassler die Schwierigkeiten für Volumenhersteller wie Hyundai. Die Attacke kommt zur Unzeit für die Koreaner, bei denen der Nettogewinn sinkt - im ersten Halbjahr um 23,8 Prozent. Schon im vergangenen Jahr mussten die Koreaner ein Minus von rund 15 Prozent hinnehmen. Belastungsfaktoren sind die starke Währung Won und sinkende Marktanteile in den Exportmärkten, denen Finanzchef Lee Won-hee mit einem aggressiven Rabattprogramm begegnen will.

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Sonderaktionen sichern Hyundai Spitzenposition



Sonderaktionen mit bis zu 30 Prozent Preisnachlass auf den i30 machen Hyundai zum Spitzenreiter in Sachen Rabattschlacht, hat das CAR-Center Automotive Research der Uni Duisburg-Essen ermittelt. Dessen Direktor Ferdinand Dudenhöffer hat den Eindruck, die Deutschen seien automüde: "Das Durchschnittsalter der Neuwagenkäufer beträgt mittlerweile fast 53 Jahre, das Durchschnittsalter der Autos auf Deutschlands Straßen ist mit neun Jahren so hoch wie seit den 60er-Jahren nicht mehr. Neuwagen finden nur mit hohen Nachlässen Käufer."

Ein Indiz für die angespannte Lage hierzulande sind auch die aktuellen Zahlen der Marke VW. Die lieferte im ersten Halbjahr 2015 weltweit 2,95 Millionen Fahrzeuge aus, ein Minus von 3,9 Prozent. Da kann man als Kunde sicher sein, dass pünktlich zur IAA (ab 15. September) mit Rabatten um Absatzzahlen gekämpft wird. Wie weit sich die Premiumhersteller an der Preisschlacht beteiligen werden, hängt vom zweiten Halbjahr ab, da erst dann die Verkaufszahlen von 2er-BMW und Co aussagekräftig sind. Dann zeigt sich auch, inwieweit sich der Ausflug ins Kompaktsegment rechnet - und ob sich BMW-Kunden mit dem Frontantrieb anfreunden können.



Anm. d. Red: Der Artikel wurde im Vorfeld der IAA verfasst. Die BMW-Aktie steht bei BÖRSE ONLINE derzeit auf "Beobachten" statt auf "Kaufen".

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