Optimistischer können sich Manager zur weiteren Entwicklung kaum äußern: "Wir starten mit einem Rekordabsatz in das zweite Halbjahr und werden den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen. Die Ergebnisentwicklung zeigt erneut, dass unser Unternehmen über alle Bereiche hinweg hervorragend aufgestellt ist und unsere langfristig ausgerichtete Strategie nachhaltig Früchte trägt", sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche selbstbewusst bei der Vorstellung der jüngsten Bilanz. Gerade vor dem Hintergrund der beeindruckenden Produktoffensive - Daimler verfügt über das jüngste Modellportfolio - sollte die Aktie eigentlich den Turbo einlegen. Doch die Realität sieht anders aus: Seit dem Vorjahreshoch büßte die Aktie um gut 35 Prozent ein, der DAX verlor hingegen rund 15 Prozent.

Die Fakten sprechen eigentlich eine andere Sprache. Der Umsatz legte im zweiten Quartal um drei Prozent auf 38,6 Mrd. Euro zu, ähnlich deutlich rückte das Konzernergebnis auf 2,5 Mrd. Euro vor. Beim Absatz profitierten die Schwaben von guten Geschäften in China sowie der neuen E-Klasse und überholten BMW im ersten Halbjahr. Ein wichtiger Prestigeerfolg. Besonders das Premium-Pkw-Segment läuft rund: Mit einem Anstieg von neun Prozent auf 546.500 Einheiten war das zurückliegende Vierteljahr das bisher absatzstärkste Quartal der Unternehmensgeschichte. Im größten Einzelmarkt China erreichte Daimler einen Bestwert, auch in Europa gab es einen Absatzrekord. Für den Konzern ist das Auto-Segment entscheidend: Gut 55 Prozent steuerte 2015 die Sparte zum Gesamtumsatz bei.

An der Börse ist aber nicht nur die Erlösentwicklung wichtig, sondern auch die Rendite. Das operative Ergebnis fiel im Autogeschäft im zweiten Quartal deutlich von 2,2 auf 1,4 Mrd. Euro und führte zu einer Umsatzrendite von 6,4 Prozent. Die Gewinnkraft der Auto-Sparte war somit klar im Rückwärtsgang, nachdem im Vorjahr noch 10,5 Prozent erreicht wurden. Daimler peilt hier einen Wert von zehn Prozent an.



Kratzer auf dem glänzenden Stern



Inzwischen hat das Saubermann-Image der Schwaben erste Risse bekommen. Nachdem im Frühjahr ein verlorener Rechtsstreit über eine Sonderausstattung bei Cabrios zu einem Verkaufsverbot bei bestimmten Modellen führte und sich der Konzern juristischen Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Abgasskandal gegenübersieht, folgte kürzlich eine Rekordstrafe über 1,1 Mrd. Euro wegen Preisabsprachen im Lkw-Geschäft von den EU-Kartellbehörden. Belastet haben zuletzt auch Sonderfaktoren wie Aufwendungen für den Rückruf von Autos mit Takata-Airbags und Anlaufkosten für die neue E-Klasse.

Aufwärts zeigt der Pfeil hingegen bei den Segmenten Trucks und Vans, die allerdings mit 22 und gut sieben Prozent deutlich weniger zum Umsatz beisteuern. Dennoch: In einem herausfordernden Umfeld blieb die Umsatzrendite bei den Trucks mit 7,2 Prozent stabil, im Segment Vans legte die Kennzahl sogar deutlich von 8,3 auf 11,7 Prozent zu.

Gerade an der Börse ist der Blick aber auf die Zukunft gerichtet. Schätzungen zufolge wird die globale Pkw-Nachfrage im laufenden Jahr um rund drei Prozent steigen. Triebfeder ist hier vor allem der chinesische Markt, doch der Grund dafür kann weniger überzeugen. Der erwartete Anstieg beruht vor allem auf staatlichen Stimuli. So wurde die Kaufsteuer auf einige Pkw-Motoren um die Hälfte gesenkt - die Maßnahme läuft Ende des Jahres aber sehr wahrscheinlich aus. Für den US-Markt rechnet Daimler mit einem im Jahresvergleich unveränderten Volumen. BMW äußerte sich hingegen zuletzt skeptischer: Vertriebschef Ian Robertson hatte durchblicken lassen, dass der US-Markt 2016 bestenfalls stagnieren wird.

Daimler Trucks wird deutlich weniger Einheiten absetzen, die konjunkturelle Lage in Südamerika bleibt schwierig. Die Vans dürften hingegen auf der Überholspur bleiben, vor allem da im zweiten Halbjahr der neue "Vito" in China eingeführt wird. Insgesamt sieht sich der Autobauer auf einem guten Weg, die Jahresziele zu erreichen. Daimler geht davon aus, dass der Konzernumsatz im Jahr 2016 leicht zunehmen wird. In regionaler Hinsicht erwartet das Unternehmen für Asien und Westeuropa die höchsten Zuwächse.



Bewertungsfalle oder günstige Gelegenheit?

Analysten haben auf die Bilanz überwiegend positiv reagiert und Kaufempfehlungen ausgesprochen. Goldman Sachs, Commerzbank und JPMorgan sehen das Kursziel zwischen 69 bis 95 Euro.

Richtig billig sind die Papiere aus Bewertungssicht. Basierend auf den derzeit maßgeblichen 2017er-Konsensschätzungen rechnen die Profis mit einem Ergebnis je Aktie von 8,47 Euro, was zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von sieben führt. Hingegen liegt der Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2015 bei einem Faktor von 12,6. Die Daimler-Aktie weist somit einem Abschlag von gut 40 Prozent auf. Allerdings hat die Sache einen Haken: In den vergangenen Monaten sind die Gewinnschätzungen deutlich gefallen. Dies betrifft nicht nur die Prognosen für 2017, sondern auch 2018. Im Spätsommer des vergangenen Jahres unterstellten Analysten für 2018 noch ein Ergebnis von 9,30 Euro, aktuell werden für 2018 nur noch 8,80 Euro erwartet. Sollte die Tendenz anhalten, wäre die derzeit sehr attraktive Bewertung nicht so verlockend, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Auf der anderen Seite könnte sich die Skepsis der Experten auch als übertrieben herausstellen, entsprechend groß wäre das Nachholpotenzial. Mit den fallenden Kursen ist zumindest die Dividendenrendite kräftig gestiegen und liegt mit derzeit rund sechs Prozent deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von 3,6 Prozent.

Fazit: Die zuletzt unter dem Strich überraschend starken Quartalszahlen könnten darauf hindeuten, dass Analysten ein zu negatives Szenario erwarten. Liefert Daimler weiterhin solide Absatzzahlen, sollte der Trend bei den Gewinnschätzungen drehen. Die Daimler-Aktie zählt mit zu den günstigsten Papieren im DAX und verfügt daher über viel Luft nach oben. Einsteigen sollten aber nur antizyklische Anleger, denn auch der langfristige Trend (200-Tage-Linie) verläuft noch fallend. Abgesichert mit einem Stopp knapp unter dem jüngsten Bewegungstief bei rund 49,50 Euro bietet die Aktie aber durchaus eine interessante Turnaround-Spekulation im Blue-Chip-Segment. Ziele liegen im Bereich um 65 und 75 Euro.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". www.index-radar.de