Jürgen Fitschen sitzt im hintersten Winkel des Gerichtssaals B 273. In der dritten Reihe der Angeklagten und ihrer 17 Rechtsanwälte, direkt hinter Josef Ackermann, seinem Vorgänger an der Spitze der Deutschen Bank. Dort ist der Co-Chef von Deutschlands größtem Geldhaus kaum sichtbar für die Zuschauer und für die drei Staatsanwälte, die Fitschen und den vier anderen Top-Bankern schwere Betrugsversuche vorwerfen im Zusammenhang mit der Pleite des Medienmoguls Leo Kirch. Fitschen beugt sich vor auf dem Sitz, den das Gericht ihm zugewiesen hat, er rückt seine Lesebrille auf die Nasenspitze. Mit ruhigem Blick studiert er seine Unterlagen, während abwechselnd Oberstaatsanwältin Christiane Serini und ihr Kollege Stephan Necknig im Stakkato-Stil die Anklage vorlesen.

Nach 20 Minuten, auf Seite 12 der Anklageschrift, kommt der entscheidende Satz. Er hat die nicht enden wollenden Streitigkeiten über die Kirch-Pleite ausgelöst: "Was alles man darüber lesen und hören kann, ist ja, dass der Finanzsektor nicht bereit ist, auf unveränderter Basis noch weitere Fremd- oder gar Eigenmittel zur Verfügung zu stellen", zitiert Serini die Interview-Äußerung des früheren Deutsche-Bank-Chefs Rolf Breuer aus dem Jahr 2002 über seinen damaligen Kunden Kirch.

Breuer, mit verschränkten Armen als Hauptangeklagter in der ersten Reihe, verzieht die zusammengekniffenen Lippen. Welch verheerende Folgen auch für die Bank hatte dieser Satz, den Breuer längst als "Unfall" bedauert hat: 13 Jahre an Gerichtsprozessen, einen 925 Millionen Euro schweren Vergleich mit den Kirch-Erben und eine Anklage gegen fünf Spitzenmanager der Deutschen Bank.

Die Staatsanwältin glaubt nicht den früheren Angaben der Angeklagten, sie hätten sich nichts zuschulden kommen lassen: Breuer habe Kirch mit dem Interview gezielt unter Druck gesetzt, sagt sie. Ausführlich schildert Serini, wie Breuer, Ackermann, Fitschen, weitere Banker und ihre Juristen danach das Oberlandesgericht systematisch belogen hätten, um Kirchs Schadenersatzklage gegen die Bank abzublocken. Als Richter Peter Noll nach zwei Stunden zur Mittagspause aufruft, ist Serini trotz ihres rasend schnellen Vortrags noch nicht einmal zur Hälfte fertig mit ihrer 110 Seiten dicken Anklage. Am Nachmittag wird sie von ihrem Kollegen abgelöst.

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DIESES MAL KEIN VICTORY-ZEICHEN

Die Banker sind an diesem Tag tunlichst darauf bedacht, möglichst wenig aufzufallen. Vor Verhandlungsbeginn im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen vermeiden sie ein breites Lächeln und jegliche Gesten. In der Sitzung beantworten sie nur knapp die Fragen zu ihren Personalien. In der Pause verlassen sie den Saal wortlos mit steinernen Mienen. Die Manager haben gelernt vom Missgeschick Ackermanns, der vor elf Jahren als Angeklagter im Düsseldorfer Mannesmann-Prozess die Hand zum "Victory"-Zeichen reckte - und sich später mit eben diesem Foto in allen Zeitungen wiederfand. Für Kritiker gilt es noch heute als Sinnbild für die Überheblichkeit und Gier von Bankern. Ackermann hat sich später zwar voller Reue über die Pose gezeigt, ist sie aber nie ganz losgeworden. An diesem Dienstag im Münchner Landgericht will er keine Angriffsfläche bieten.

Kurz vor 13 Uhr geht es weiter. Saal B 273 ist wieder gefüllt. Hier wurde schon der Prozess gegen Michael Kemmer geführt, der zusammen mit Fitschen an der Spitze des Bundesverbandes deutscher Banken steht. Vielleicht hat sich Fitschen bei ihm ein bisschen Rat geholt. Ernst und geduldig harrte Kemmer in dem Prozess aus, in dem er sich mit anderen früheren BayernLB -Vorständen wegen angeblicher Untreue verantworten musste. Am Ende wurde Kemmers Verfahren gegen Geldauflage eingestellt. Auf derselben Anklagebank sitzt nun Fitschen.

Reuters