Herr Wöhrmann, die EZB will bis September 2015 pro Monat 60 Milliarden Euro in Anleihen stecken. Über die gesamte Laufzeit liegt das Volumen damit insgesamt bei rund 1140 Milliarden Euro. Beobachter hatten zuvor ein deutlich geringeres Wachstum erwartet. Wie überrascht sind Sie?
Die Erwartungen im Markt waren schon hoch, aber die EZB hat es geschafft, diese Hürde sogar noch zu übertreffen. Man muss allerdings beachten, dass die 60 Mrd. Euro inklusive der bereits laufenden Kaufprogramme zu verstehen sind und dass auch Anleihen von europäischen Institutionen gekauft werden, so dass für Staatsanleihen ca. 40 Mrd. Euro pro Monat übrigbleiben dürften.

Als Begründung für Ihren radikalen Schritt verweist die EZB auf Deflationsgefahren. Halten Sie diese Begründung für stichhaltig?
Die aktuellen Inflationsraten machen uns noch nicht nervös, auch wenn sie ein negatives Vorzeichen aufweisen. Der Inflationsrückgang der letzten Monate war hauptsächlich dem fallenden Ölpreis geschuldet, und das ist für Nicht-Erdölproduzenten wie die Eurozone ein Konjunkturprogramm. Was die EZB nervös macht, sind die rückläufigen Inflationserwartungen. Diese sind aber auch erst seit letztem Sommer gesunken, also zeitgleich mit den Ölpreisen. Wir vermuten hier einen Zusammenhang. Da der Ölpreis anders als vielleicht Zinsen aber nicht negativ wird und nicht noch einmal um 60 Dollar fallen wird, werden die Inflationsraten auch wieder ansteigen, zumindest auf das Niveau der Kerninflation.

Auf Seite 2: Wird die Rallye weitergehen?



Was bedeutet die Entscheidung für die Aktienmärkte: Wird die jüngste Rallye weiter gehen?
Für die Aktienmärkte in der Eurozone ist die Entscheidung positiv: Der Euro-Wechselkurs wird weiter nachgeben und das ist ein schöner Rückenwind für die Unternehmensgewinne. Mit ihren Maßnahmen hat die EZB das Risiko einer Deflation reduziert. Dies sollte auch die Risikoprämien an den Aktienmärkten sinken lassen. Und die Tatsache, dass Anleiherenditen noch weiter gefallen sind, lässt Dividendenrenditen noch attraktiver erscheinen. Summa summarum also definitiv positiv. Anders sieht es für US-Unternehmen aus: Da ist der Wechselkurs natürlich negativ.

Falls ja: Wo haben Sie den Dax bislang zum Jahresende gesehen und wo sehen Sie ihn nun Ende Dezember?
Im Hintergrund der jüngsten Entwicklungen waren wir mit unserer Jahresprognose für den DAX von 10.400 vielleicht etwas zu konservativ. Hier sehen wir Potential nach oben, abhängig insbesondere vom Verlauf der Unternehmensgewinne.

Der Euro hat seine Talfahrt gegenüber dem Dollar zuletzt weiter beschleunigt. Wie tief kann der Euro gegenüber dem Dollar noch fallen?
Trends an den Währungsmärkten, wenn sie einmal etabliert sind, sind in der Regel kräftiger und langlebiger, als man das denkt. Insofern sollte sich der Euro noch weiter abschwächen. Als langfristigen Maßstab kann man die Kaufkraftparität zwischen zwei Währungen heranziehen: Diese liegt zwichen Euro und US Dollar nach verschiedenen Schätzungen bei 1,16. Das bedeutet, der Euro ist eigentlich noch gar nicht "schwach". Es gibt also noch viel Spielraum und nachdem wir noch im Mai 2014 mehr als 20 Cent über der Kaufkraftparität gehandelt haben, ist auch ein 20 Cent niedrigerer Wert, also die Parität, keine spektakuläre Prognose.

Auf Seite 3: Was die Talfahrt des Euro für die deutsche Wirtschaft bedeutet



Aber das käme den traditionell exportstarken deutschen Unternehmen ja zugute. Sind die Pläne der EZB also indirekt ein Konjunkturprogramm für Deutschland?
Kurzfristig ist der Wechselkurs ein Konjunkturprogramm und nebenbei bemerkt auch der direkteste Hebel der EZB, um die Wachstums- und Inflationsdynamik zu beeinflussen. Langfristig hat es sich jedoch bewährt, seine Währung eher festzuhalten, weil das wie ein Fitnessprogramm für die Wirtschaft wirkt. Deswegen sollte der Euro hoffentlich nicht auf Dauer zu niedrig bewertet sein.

Umgekehrt sind die Sparer die Gekniffenen?
Ja, und das haben wir unter dem Stichwort "Finanzielle Repression" schon seit Jahren thematisiert. Anleger müssen sich entweder nach Alternativen umschauen und bereit sein, kontrolliert und diszipliniert Risiken einzugehen, oder aber realen und teilweise auch nominalen Vermögensverlust zu akzeptieren.

Für Banken und Versicherer sind das ja ebenfalls keine gute Botschaften: Das Zinsniveau bleibt auf absehbare Zeit auf einem Rekordtief - und der Anlagenotstand wächst?
Für institutionelle Anleger gelten die gleichen Marktkonditionen wie für Privatanleger. Deshalb besteht auch hier die Notwendigkeit, sich mit dem Thema "kontrolliert Risiken eingehen" zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang beobachten wir zum Beispiel vermehrt Interesse an Wertsicherungskonzepten, also Strategien, bei denen der Anteil an risikobehafteten, aber dafür höher rentierlichen Anlagen erhöht wird, ohne dabei ein maximales Verlustrisiko zu überschreiten.

Auf Seite 4: Was Anleger jetzt tun sollten



Was sollten Anleger jetzt also tun: Weiter Aktien kaufen und den Aktienanteil in ihren Depots erhöhen?
Aktien sind im gegenwärtigen Umfeld alternativlos, wenn es um realen Kapitalerhalt geht. Allerdings raten wir mehr denn je zu einer breiten Diversifikation, die neben Festverzinslichen als Stabilitätsanker und Aktien als Renditebringer auch Fremdwährungen und Anlagen aus Schwellenländern umfasst. Für Rohstoffe ist es noch etwas zu früh, aber im Laufe des Jahres könnte auch das wieder ein Thema werden. Risiken sollten nur kontrolliert und mit einem disziplinierten Vermögensverwaltungsansatz eingegangen werden.