Deutsche-Börse-Vize-Chef Andreas Preuß hatte entsprechenden Forderungen der Politik zuvor eine Absage erteilt. Mit einem neuen Börsensegment lasse sich das Problem nicht lösen, dass es hierzulande zu wenig Wagniskapital gebe, sagte er in Frankfurt. Stattdessen kündigte Preuß den Aufbau einer Internet-Plattform an, auf der sich junge Wachstumsfirmen und Geldgeber beschnuppern sollen. Das Umfeld für Investoren und Börsengänge in Deutschland müsse insgesamt verbessert werden, forderte Preuß. Das müssten Politik und Wirtschaft gemeinsam angehen.

Die Deutsche Börse hat in den vergangenen Monaten in Gesprächen mit Start-Ups und Investoren ausgelotet, wie sich mehr Kapital für junge Wachstumsfirmen mobilisieren lässt. "Die Finanzierungssituation deutscher Wachstumsunternehmen lässt sich in fünf Worten zusammenfassen: Es gibt zu wenig Wagniskapital", sagte Preuß. In der Gründungsphase bekämen sie dank öffentlicher Förderung meist noch ausreichend Geld. "Doch es fehlt an Kapital in der späteren Wachstumsphase, gerade dann, wenn Unternehmen für ein schnelles Wachstum einen größeren Kapitalbedarf haben - und der beginnt bereits in einer Größenordnung ab 20 Millionen Euro", erklärte Preuß. Wichtige Wachstumschancen blieben so ungenutzt oder würden im Ausland realisiert, wo Investoren oft risikofreudiger sind und mehr Geld in Start-Ups pumpen.

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DEUTSCHE BÖRSE "OFFENSICHTLICH NICHT ATTRAKTIV GENUG"

Eine weiteres Defizit ist laut Preuß, dass Investoren in Deutschland bisher keinen Überblick über wachstumsstarke Hightech-Firmen haben. Diesen Mangel will das Unternehmen durch den Aufbau der "vorbörslichen IPO-Plattform" beheben. "Daran arbeiten wir derzeit mit Hochdruck und sind überzeugt, damit einen signifikanten Beitrag zur Förderung der Wachstumsfinanzierung in Deutschland leisten zu können", sagte Preuß. Auf der Plattform sollen sich Start-Ups vorstellen und mit potenziellen Geldgebern ins Gespräch kommen. Findet ein Unternehmen auf der Plattform genügend Investoren, kann es anschließend an die Börse gehen, beispielsweise in den Entry Standard, wo die Hürden vergleichsweise niedrig sind.

Vize-Kanzler Gabriel, der sich im Oktober zusammen mit dem Start-Up-Verband für einen "Markt 2.0" stark gemacht hatte, wünscht sich dagegen weiter ein neues Segment. "Der Entry Standard der Deutschen Börse, der weniger stark reguliert ist und sogar neben Aktien auch Unternehmensanleihen mit einschließt, ist in seiner heutigen Form offensichtlich nicht attraktiv genug für junge Wachstumsunternehmen", erklärte Gabriels Wirtschaftsministerium. "Wir beobachten stattdessen, dass erfolgreiche deutsche Unternehmen den Gang an die amerikanische Börse vorziehen."

Reuters hatte bereits Anfang November berichtet, dass die Deutsche Börse ein neues Börsensegment ablehnt. Insidern zufolge fürchtet der Konzern einen Reputationsschaden, falls viele halbfertige Unternehmen an die Börse kommen und sich dort nicht gut entwickeln. Die Erinnerungen an den "Neuen Markt" sind in Frankfurt noch sehr präsent. Das Segment wurde 1997 inmitten des Technologie-Booms geschaffen, damit junge Firmen rasch an Eigenkapital kommen. Bis 2000 schossen die Kurse vieler Internet- und IT-Firmen in astronomische Höhen. Nach dem Platzen der "Dotcom-Blase" stürzten die Kurse dann jedoch ins Bodenlose. Viele Firmen gingen Pleite, zahlreiche Betrugsfälle landeten vor Gericht. 2003 stellte die Deutsche Börse das Segment ein.

Reuters