"Wir haben versucht, eine Lösung zu finden, aber die angebotenen Zugeständnisse waren nicht mal annährend geeignet, unsere Bedenken auszuräumen", erklärte der damalige Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia, als er den Deal zwischen Deutscher Börse und New York Stock Exchange endgültig untersagte.

Der neue Deutsche-Börse-Chef Carsten Kengeter hat aus den Fehlern von damals gelernt. Beim geplanten Zusammenschluss mit der London Stock Exchange (LSE) geht er nicht auf Konfrontationskurs mit der EU, sondern versucht die Bedenken der Wettbewerbshüter frühzeitig durch ein größere Zugeständnisse zu zerstreuen. Beide Fusionspartner haben angeboten, dass französische Abwicklungshaus LCH.Clearnet SA zu verkaufen, das zur LSE-Tochter LCH.Clearnet gehört. Aus Sicht von Finanzaufsehern und Experten hat die Deutsche Börse damit bessere Chancen, grünes Licht aus Brüssel zu bekommen.

"In der EU-Mitteilung wird das Clearinghaus der LSE als eines der größten Probleme genannt, weil von ihm auch andere Börsenbetreiber abhängig sind", sagt Wettbewerbsrechtler Martin Gramsch von der Kanzlei Simmons & Simmons. "Es macht deshalb viel Sinn, einen Teil davon zum Verkauf zu stellen." Durch eine Veräußerung von LCH.Clearnet SA adressieren die Fusionspartner auch eine Reihe anderer Bedenken der EU, zum Beispiel bei bestimmten Optionen und bei der Abwicklung von Repo-Geschäften, wie die Analysten von Credit Suisse betonen.

GEPLATZTER NYSE-DEAL KANN HELFEN



Politisch könnte der Verkauf aus Sicht eines Aufsehers ebenfalls ein kluger Schachzug sein, um den Widerstand gegen die Fusion in Frankreich, Belgien, Portugal und den Niederlanden zumindest aufzuweichen. In diesen vier Ländern ist die Mehrländerbörse Euronext aktiv, die bereits vorab Interesse an LCH.Clearnet SA angemeldet hat.

Bei EU-Wettbewerbsprüfungen sei es grundsätzlich gut, möglichst früh Zugeständnisse zu machen und Verkäufe anzubieten, sagt Gramsch. "So hat die EU-Kommission mehr Zeit, darauf zu reagieren und kann den Unternehmen auch mitteilen, wenn sie noch in anderen Bereichen Anpassungsbedarf sieht." Gramsch kennt sich gut mit EU-Verfahren aus, ist bei der Börsenfusion aber nicht beteiligt. "Je später Konzessionen eingereicht werden, desto geringer ist der Entscheidungszeitraum für die EU-Kommission." Beim untersagten Deal mit der Nyse hätten die Fusionspartner erst Zugeständnisse gemacht, als die Kommission bereits "auf Verbots-Kurs" war. Die EU hatte damals große Bauchschmerzen in einem Bereich - dem Derivatehandel. Beim LSE-Deal hat die EU aus Sicht von Gramsch "weniger starke Bedenken formuliert - dafür in mehr Bereichen".

Im Derivategeschäft könnte die Deutsche Börse dieses Mal paradoxerweise sogar von der blockierten Nyse-Fusion profitieren. Damals erklärte die EU nämlich, dass außerbörslich gehandelte Derivate (OTC) und börsengehandelte Derivate aus ihrer Sicht zwei verschiedene Märkte sind, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen. Wenn die EU bei dieser Marktdefinition bleibt, wäre das positiv für die deutsch-britische Börsen-Hochzeit, bei der es in diesen Teilmärkten wenig Überschneidungen gäbe. Die Deutsche Börse ist vor allem stark bei börsengehandelten Derivaten, die LSE im OTC-Geschäft.

DIPLOMATIE STATT GROSSSPURIGE AUFTRITTE



Hinzu kommt, dass Wettbewerber aus den USA im europäischen Börsengeschäft inzwischen deutlich aktiver sind als vor fünf Jahren - allen voran die Chicago Mercantile Exchange (CME) und die Intercontinental Exchange (ICE). Und im Aktienhandel, den die EU ebenfalls unter die Lupe nimmt, luchst die alternative Handelsplattform Bats etablierten Börsenbetreibern seit Jahren Marktanteile ab.

Auch bei den "weichen Faktoren" ist die Ausgangslage besser. Deutsche-Börse-Chef Kengeter und sein LSE-Pendant Xavier Rolet präsentieren sich als überzeugte Europäer und betonen bei jeder Gelegenheit, die Börsenfusion sei wichtig für den Aufbau einer EU-Kapitalmarktunion. Das ist ein großer Kontrast zu den Jahren 2011 und 2012, in denen Nyse-Chef Duncan Niederauer polterte. Die EU-Analyse des Börsenmarktes "strotze nur so von Fehlern", sagte der Amerikaner einmal. Und spätestens als Niederauer bei einer Anhörung in Brüssel viele EU-Beamte mit einem großspurigen Auftritt vor den Kopf stieß, war allen klar: Der Deal ist tot.

Doch auch wenn die Chancen in Brüssel diesmal besser stehen, ist die Deutsche Börse noch lange nicht am Ziel. Denn auch die hessische Börsenaufsicht muss den Deal noch absegnen. Und sie hat Insidern zufolge gerade nach dem Brexit-Votum große Probleme damit, dass die fusionierte Mega-Börse den bisherigen Plänen zufolge in London angesiedelt werden soll.

rtr