Bald wird es spannend für den Euro. Vermutlich sogar sehr spannend. Denn in gut einem Monat dürfen Europas Bürger wieder einmal ein Kreuzchen machen. Zu behaupten, dass sie "wählen" können, wäre ein wenig übertrieben. Denn Europa ist nicht (mehr) demokratisch. Wer hat den Euro gewählt? Wer hat den EU-Rat, die Europäische Kommission, wer hat die Besetzung der EZB gewählt? Wer hat den SoFFin beschlossen, den EFSF, den nur sich selbst verantwortlichen ESM, wer hat die EU ermächtigt, Vertrag nach Vertrag zu brechen, wer hat der EZB erlaubt, Staatsanleihen zu kaufen - ggf. auch in Billionenhöhe, wie wir seit dem Wochenende wissen? Niemand. Es geschieht einfach so. Im Gegenzug:

Wer beschließt den Einsatz der sgn. Energiesparlampen, den Krümmungswinkel von Salatgurken, die Spülkraft von Toiletten, die Saugleistung von Staubsaugern, die Heizdauer von Kaffeemaschinen, die Austauschpflicht energieeffizient arbeitender Heizanlagen, die Richtung, in die Sprungtürme in Freibädern weisen müssen? Wer plant, ab September d. J. auch die Gewinne aus Drogengeschäften, Schmuggel, Prostitution etc. in die offizielle Berechnung des Bruttoinlandsprodukts einfließen zu lassen? Richtig: die EU. Wer verhandelt hinter verschlossenen Türen das Freihandelsabkommen mit den USA, das zur Folge haben könnte, dass europäische Staaten US-Unternehmen künftig für nicht gekaufte Waren entschädigen müssen, wenn diese etwa aufgrund nationaler Umwelt- oder Ernährungsstandards etc. nicht vertrieben werden können? Ebenfalls die EU. Und das tut sie nicht im EU-Parlament, sondern mit Hilfe ihrer nicht gewählten, demokratisch nicht kontrollierbaren "Kommissare".

Die meisten der geradezu lächerlich anmutenden Diktate aus Brüssel könnten von unvoreingenommenen Zeitzeugen durchaus verdächtigt werden, nicht den Zielen der Maastricht-Verträge, der Demokratie, der Grundrechte, des Umwelt- und Klimaschutzes oder dem Wohlergehen der Bürger zu dienen, sondern einzig der Profitmaximierung einiger Großunternehmen.

So ganz falsch dürfte dieser Verdacht nicht sein. In Brüssel tummeln sich über 20.000 Lobbyisten. Vor allem aber: Schon 1983 wurde von 17 europäischen Wirtschaftsführern und zwei Mitgliedern der Europäischen Kommission den ERT (European Roundtable of Industrialists) ins Leben gerufen. Mit am Tisch mit jetzt 41 Stühlen sitzen heute die Vertreter von immerhin neun DAX-Unternehmen. Ziele des Forums sind (Wikipedia) "das Entwickeln langfristiger wirtschaftsfreundlicher Strategien und die Organisation von Treffen mit Mitgliedern der Europäischen Kommission, einzelnen Kommissaren oder der Kommissionspräsidenten, um die Richtung des Integrationsprozesses innerhalb der EU zu gestalten." Geplant war dabei (ebenfalls Wikipedia) "Europa im Sinne der großen Firmen zu gestalten und die EG zu stärken. Nationale Vetos der Mitgliedsstaaten, die eine Entscheidung der EG verzögern oder behindern konnten, sollten abgeschafft werden." Wie es aussieht, scheint das Vorhaben ganz gut geglückt zu sein. Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger? Stimmt. Aber wir brauchen kein Europa der Wirtschaftsbosse, sondern ein Europa freier, selbstbestimmter Europäer.

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EU: Wahlgeschenke für die Kritiker

Zu Zeiten der EG und der ihr nachfolgenden EU hat Europa recht gut funktioniert. Sand ins Getriebe hat erst der Euro gebracht. Dass die EU dennoch ausgerechnet jetzt, wenige Wochen vor der Europawahl, mit ständig neuen für Unmut sorgenden Vorschlägen an die Öffentlichkeit prescht, gibt Rätsel auf. Besonders aktiv: EU-Kommissar Günter Oettinger (CDU), der nun zuerst die "Rente ab 70" und dann die europaweit flächendeckende PKW-Maut ins Spiel brachte. Zu Ersterem führte Deutschlands mächtigster Mann in der EU-Kommission aus, dass es den Griechen schwer vermittelbar sei, wenn Deutschland von ihnen eine längere Lebensarbeitszeit bei weniger Lohn fordere, selbst aber den entgegengesetzten Weg gehe. Wer das Thema auf diese Weise verbalisiert und nicht ganz dumm im Kopf ist (und das ist Herr Oettinger wahrlich nicht), der sollte wissen, dass diese Art der Wortwahl billigsten gegenseitigen Ressentiments sowohl in Deutschland als auch in Griechenland Vorschub leistet. Ressentiments, die angesichts der wirklichen Profiteure der Rettungsmilliarden unverantwortliche Volksverdummung sind.

Und was die PKW-Maut betrifft (oder auch den vom Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Albig (SPD) am Wochenende ins Spiel gebrachten "Schlagloch-Soli"), darf ich einmal kurz ein paar Daten nennen: Zur Finanzierung des Straßenbaus wurde 1950 eine zweckgebundene Mineralölsteuer in Höhe von 4,5 Pfennigen pro Liter Benzin eingeführt. 1989 wurde diese Zweckbindung aufgehoben. Aus Mineralölsteuer (die heute anders heißt), KFZ-Steuer, LKW-Maut und der fast ausschließlich zur Stabilisierung der Rentenkasse verwendeten sgn. Ökosteuer hat der Staat im vergangenen Jahr rund 54 Milliarden Euro eingenommen, in den Straßenbau investiert wurden davon rund 17 Milliarden Euro, also weniger als ein Drittel. Was jetzt läuft, ist an Absurdität kaum noch zu toppen. Aber es wird getoppt werden!

Der Vorstoß von Mario Draghi, künftig notfalls Staatsanleihen in Billionenhäppchen aufkaufen zu wollen und die verqueren Renten- und Maut-Ideen von EU-Energiekommissar Oettinger, die Reglementierung von Kaffeemaschinen und künftig auch anderen Haushaltsgeräten - das alles kommt tatsächlich rund vier Wochen vor der Europawahl. Kann das noch Zufall sein? Entweder die EU will sich aus zumindest mir unklaren Gründen selbst demontieren oder aber man ist einfach nur strunzdumm. Die AfD braucht nun wirklich keine Plakate mehr zu kleben! "Die Griechen leiden, die Deutschen zahlen, die Banken kassieren!", las ich vorgestern unterwegs. Wahlplakate lügen meist. Dieses nicht.

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Flaschenpost aus alten Zeiten

Im August 2012 wurde vor den Shetland-Inseln von einem Fischer eine Flaschenpost aus dem Wasser gefischt, die im Juni 1914 ins Meer geworfen wurde. Länger trieb laut Guinessbuch der Rekorde keine andere Flaschenpost im Meer. Eine andere Botschaft ist nun ähnlich lange unterwegs. Aufgespürt haben sie die Kollegen von www.cross-currents.net

Quelle: www.cross-currents.net

Glaubt man den Aussagen des Bundesfinanzministers, verfolgen all die politischen und geldpolitischen Extremmaßnahmen der letzten Jahre ja das Ziel, das "Vertrauen der Investoren" zurück zu gewinnen. Was Sie im Chart sehen, ist die in Monaten berechnete Haltedauer von Aktien in den USA. Investoren sind, da wundern Sie sich sicherlich, Leute, die investieren. Warren Buffett beispielsweise ist ein Investor. Er kauft eine Aktie dann, wenn er vom Unternehmenskonzept und den Perspektiven überzeugt ist und den Kurs für günstig hält. Wie der Chart zeigt, hat die sich aus dem Nichts geldschöpfende Füllhornpolitik der vergangenen Jahre diese Spezies von Anlegern aber so stark abgeschreckt wie zuletzt vor Beginn der Großen Depression der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Gefördert hat sie hingegen das, zu dessen Eindämmung sie angetreten war: Das kurzfristige Zocken. Den Hintergrund hatte ich Ihnen ja kürzlich bereits dargelegt: Wer sich bei der EZB für 0,25 Prozent Geld leihen und sich damit mit 5 Prozent verzinste Anleihen etwas Griechenlands kaufen kann, deren Ausfallrisiko von genau dieser EZB abgesichert ist, der wäre noch dümmer als die EZB, wenn er das nicht wahrnähme. Noch viel dümmer sind nur die EU-Bürger, die nicht verstehen, welches Spiel da mit ihrem Geld gespielt wird. Denn die EZB hat kein Geld. Und "macht" sie welches, ist es reales Risiko. Für Sie und für mich. Natürlich muss sich Geschichte nicht wiederholen. Aber sie kann. Und das gilt auch für den nächsten Chart.

Quelle: www.cross-currents.net

Den Ihnen bekannten Chart der Nachfrage nach Börsenkrediten kann ich heute nicht liefern, da am Freitag auch in den USA Feiertag war und die Damen und Herren keine Lust hatten, die Daten schon am Donnerstag zu veröffentlichen. Der abgebildete Chart zeigt aber mindestens ebenso gut den ultraengen Zusammenhang zwischen dem Kauf von Aktien auf Pump und der Entwicklung der Wall Street. Gretchenfrage nun: Sieht das eher nach einer weiteren Fortsetzung der Hausse oder aber nach dem Risiko eines (vielleicht auch fulminanten) Gegenschlags nach unten aus?

Auf Seite 4: EUR/USD: Wünsche werden wahr

EUR/USD: Wünsche werden wahr

Momentan mehren sich vehement die Stimmen der deutschen Industrie, die den starken Euro als Grund rückläufiger Auftragseingänge oder Gewinne sehen. Da schauen wir uns doch einfach einmal einen Chart an:

Gejammert hat die deutsche Industrie eigentlich immer. 1985, als der (zurück gerechnete) Euro bei 0,55 lag. Und ebenso, als er 2008 das Dreifache wert war. Ganz vorne im Export stand sie aber immer. Weil es sehr leicht ist, sich gegen Wechselkursschwankungen abzusichern.

Aktuell ist EUR/USD charttechnisch zweifellos nach oben ausgebrochen. Aber wie bereits in den letzten Wochen skizziert, habe ich mich da in Abstinenz geübt. Und warte lieber auf den Einstieg nach unten.

Meine Gründe:

Erstens: Der Ukraine-Konflikt, in dem es einzig um Machtfragen zwischen Ost und West geht, steht erst am Anfang. Und da der Westen keine militärische Auseinandersetzung riskieren wird, bleibt nur der Weg von Sanktionen. Die aber werden nicht unbeantwortet bleiben. Vor dieser sanktionsspirale hatte ich ja bereits gewarnt. Nun ist sie angelaufen. Und sie wird dem Euro weit mehr wehtun als dem Dollar.

Zweitens: Mario Draghi, der vor zwei Monaten jedes Deflationsrisiko der Eurozone noch weit von sich wies, kündigte am Wochenende an, die Deflation ggf. mit Anleihekäufen in Höhe von einer Billion Euro bekämpfen zu wollen. Und sollte das nicht reichen, dann eben mit der nächsten Billion. D. h.: Die EZB konstatiert die Wirkungslosigkeit ihrer bisherigen Politik und schwenkt auf den japanischen Kurs um: Exzessiv lockere Geldpolitik bis zum bitteren Ende. Die Fed hingegen hat begonnen, die Zügel vorsichtig zu straffen. Die Zinsschere dürfte sich also zugunsten des US-Dollars öffnen.

Und drittens: Die Europa-Wahlen. Hier wird sich zeigen, inwieweit sich die Bürger von der Dauerberieselung positiver Meldungen zur Euro-Rettung emanzipiert haben oder ob sie zu ahnen beginnen, welcher Mühlstein hier unverdrossen um den Hals gehängt wird. 81 Prozent der Bundesbürger, so eine heute Früh veröffentlichte, repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA, glauben nicht, dass die Eurokrise ausgestanden ist. Und das, so Institutsleiter Hermann Binkert, wird auch Einfluss auf die Wahlen zum Europäischen Parlament haben. Das glaube ich auch. Und das wissen auch die großen Parteien, die die ihnen zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel zur Wahlkampffinanzierung nicht ausschöpfen werden. Eine klare Botschaft.

Ich meine: Ein Put auf den Euro gegen den US-Dollar ist in der Pipeline. Die Fundamentals sind bestens.

Und das Chartsignal dürfte binnen Kürze erfolgen!

Viel Erfolg und beste Grüße

Axel Retz

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal www.private-profits.de.

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal www.private-profits.de.