von W. Hagl/C. Ingerl

Schon heute steht fest: Das Börsenjahr 2014 wird einen besonderen Eintrag in die Geschichtsbücher bekommen. Im Juni übersprang der DAX erstmals in seiner 26-jährigen Geschichte die Marke von 10 000 Punkten. Aber allzu lange währte die Freude nicht: Denn geopolitische Risiken und eine schwache Quartalssaison zum Halbjahr verdarben den Bluechips zwischenzeitlich die Party.

Getrieben von einer neuerlichen Geldspritze der Europäischen Zentralbank (EZB) befindet sich der DAX seit einigen Wochen aber wieder im Aufwärtstrend. Anleger stellen sich nun die Frage: Schafft es das wichtigste deutsche Börsenbarometer wieder in den fünfstelligen Bereich? Die Analysten sind in dieser Frage gespalten: Während die Experten der Unicredit bis zum Jahresende nur 9200 Zähler erwarten, gehen ihre Kollegen bei Berenberg von einem Indexstand bei 10 300 Punkten aus. M. M.-Warburg-Chefvolkswirt Carsten Klude ist sogar noch optimistischer: "Unser DAX-Ziel für das Jahresende 2014 beträgt 10 400 Punkte." Bereits Ende 2013 hatte Warburg dieses Ziel ausgegeben, es dann aber Anfang August aufgrund geopolitischer Spannungen reduziert. "Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands in der Ukraine und der noch expansiveren geldpolitischen Maßnahmen der EZB halten wir unser ursprüngliches Ziel nun aber wieder für realistisch", erklärt Klude die erneute Wende.

Die Pessimisten sehen dagegen die mögliche konjunkturelle Abschwächung als Hauptrisiko für weiter steigende Kurse. Erst kürzlich haben die Ökonomen der Deutschen Bank ihre Prognose für das Bruttoinlandsprodukt 2014 von 1,8 auf 1,5 Prozent und für 2015 von zwei auf 1,8 Prozent gesenkt. "Die Risiken, dass auch dies noch zu optimistisch ist, haben deutlich zugenommen", mahnt Deutsche-Bank-Experte Bernhard Gräf. "Der deutsche Investitionszyklus wird wegen des nach wie vor schwachen Welthandels und zunehmender geopolitischer Belastungen voraussichtlich schwächer ausfallen als erwartet."

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Schwacher Dollar? Gut für Exportwerte

Die Optimisten am deutschen Aktienmarkt verweisen dagegen darauf, dass das jüngste Maßnahmenpaket der EZB den Euro spürbar geschwächt hat, womit für die Exportunternehmen im DAX der - durch einen stärkeren Euro verursachte - Gegenwind stetig abnimmt. Während der Euro vor ein paar Monaten etwa gegenüber dem US-Dollar noch eine Aufwertung von einem Zehntel gegenüber dem Vorjahr aufwies, notiert er derzeit rund fünf Prozent unter dem Niveau vor einem Jahr. "Dank dieser Trendwende am Devisenmarkt sollte die Zahl der negativen Gewinnrevisionen am deutschen Aktienmarkt nun stetig abnehmen", glaubt Commerzbank-Stratege Andreas Hürkamp. Die Analysten hatten im vergangenen Quartal für 17 der 30 DAX-Unternehmen ihre Gewinnprognosen für das laufende Geschäftsjahr nach unten angepasst.

Wie der DAX derzeit bewertet ist, zeigt sich im Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Das aktuelle KGV liegt bei 12,6 und damit klar über dem Zehnjahresdurchschnitt von 11,4 - trotz der nachlassenden Gewinndyna- mik. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg rechnen die Analysten im Schnitt mit einem Ergebniswachstum von zwölf Prozent im kommenden Jahr und mit zehn Prozent für 2016.
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Bluechips in der Einzelanalyse
Wie aber werden sich die DAX-Unternehmen im restlichen Jahr schlagen? Wer hat noch Potenzial? Von welchen Titeln sollten Anleger lieber die Finger lassen? Um dies herauszufinden, haben wir eine groß angelegte DAX-Analyse gestartet und alle 30 Indexmitglieder genau durchleuchtet. Dabei haben sich mit Allianz, Bayer und Infineon drei Top-Picks herauskristallisiert. Aber es gibt auch jene, die derzeit nicht als Investment taugen. Dazu zählt SAP. Nach dem jüngst bekannt gegebenen Zukauf von Concur stufen wir die Aktie von "Kaufen" auf "Beobachten" herab. Die Walldorfer streben mit dem Kauf des US-Anbieters von Firmensoftware für Reisemanagement und -kostenabwicklung die teuerste Übernahme ihrer Firmengeschichte an - Kostenpunkt: 6,5 Milliarden Euro. Zwar baut SAP damit sein Angebot im Cloud-Geschäft aus - neben Big Data und Mobiltechnologie eine der drei Wachstumsinitiativen des Konzerns. Doch verschlingt der Deal erst mal viel Geld. Neben dem Kaufpreis dürften auch hohe Integrationskosten auf die zuletzt stagnierende Rendite drücken. "Die angekündigte Akquisition strapaziert SAPs Bilanz. Und die von SAP erklärten Ziele für operative Marge und Wachstum dürften nicht mehr realistisch sein." Das erwartet Oskar Schenker, Analyst von J. Safra Sarasin.

Nach der Herabstufung von SAP haben derzeit acht DAX-Werte ein neutrales Rating. Darunter befinden sich beispielsweise auch die Energieriesen E.ON und RWE. Zwar dürfte E.ON mit einem Kurs-Buchwert- Verhältnis von lediglich 0,89 bei Substanzjägern ganz oben auf der Liste auftauchen, doch sind die Zukunftsaussichten weiterhin derart unsicher, dass wir von einem Einstieg noch abraten.

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Vier Aktien auf der Negativliste

Bei vier Titeln - Beiersdorf, Commerzbank, Deutsche Bank und Lufthansa - raten wir sogar zum Verkauf. Immer wiederkehrende Streiks sowie Spekulationen im Markt, die Airline könne ihre Ziele für 2014 nicht erreichen, belasten beispielsweise das Lufthansa-Papier. Mit einem Kursverlust von mehr als 14 Prozent ist die Kranich-Aktie das drittschwächste DAX-Mitglied in diesem Jahr. Die rote Laterne trägt Adidas mit einem Wertverlust von über 34 Prozent. Aufgrund schwacher Geschäftszahlen, gekappter Prognosen und wiedererstarkter Wettbewerber gaben viele Investoren dem Sportartikelhersteller in diesem Jahr den Laufpass. Doch auf dem mittlerweile ermäßigten Niveau steigen die Chancen auf einen Rebound. Zum einen keimen Gerüchte, dass sich Hedgefonds bei Adidas positionieren, zum anderen wackelt der Stuhl von Vorstandschef Herbert Hainer. Einige Anleger setzen bereits auf einen Neuanfang; die Aktie legte auf Wochensicht um neun Prozent zu und kämpfte sich wieder über die 60-Euro-Marke. Mutige Anleger setzen bei diesem Papier auf eine kurzfristige Kurswende.
Auf Seite 5: Daimler und Telekom im Aufwind

Daimler und Telekom im Aufwind
Bei Daimler stehen hingegen die Zeichen langfristig auf Erfolg. Der Stuttgarter Autobauer hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 seine Rivalen BMW und Audi zu überholen und zum weltweit führenden Premiumhersteller aufzusteigen. Dafür dreht der Konzern nicht nur an der Kostenschraube, sondern schickt auch am laufenden Band neue Modelle auf die Straßen. Außerdem fahren die Schwaben eine ehrgeizige China-Strategie und setzen dabei auch auf Elektromotoren. Bis 2017 sollen zehn neue Fahrzeugmodelle mit Hybridantrieb vom Band laufen. Auch wenn der Aktienkurs von Daimler sowohl dem Gesamtmarkt als auch dem Konkurrenten BMW (noch) hinterherhinkt, hat die Aktie das Potenzial, auf die Überholspur zu wechseln.

Dies gilt auch für die Aktie der Deutschen Telekom. Das Unternehmen war jahrelang vom Radar der Investoren verschwunden, und die Aktie dümpelte im einstelligen Bereich vor sich hin. Doch voriges Jahr schaffte der Kurs die nachhaltige Rückkehr über die Zehn-Euro-Marke. Auch wenn der Titel danach erneut in eine lethargische Phase fiel, könnte schon bald wieder Leben einkehren. Zum einen zeigen sich opera- tive Verbesserungen, zum anderen könnten das neue iPhone von Apple sowie neue Tarife die Aufmerksamkeit wieder verstärkt auf die Deutsche Telekom lenken. Obendrein winkt ein lukrativer Verkauf der Tochter T-Mobile US.

Auf Seite 6: Der erste Dax-Topfavorit von BÖRSE ONLINE



Allianz-Aktie: Mit wehenden Fahnen nach oben

Die Allianz-Aktie lässt zurzeit die Herzen der Trader höher schlagen. Nicht nur, dass der Versicherungstitel den Ausbruch aus einem kurzfristigen Abwärtstrend geschafft hat. Nur wenig später setzte er ein "Golden Cross". Dabei kletterte die gleitende 100-Tage-Linie über ihr auf 200 Handelssitzungen basierendes Pendant. Diese Konstellation gilt als ein besonders starkes Kaufsignal. Zu unseren Favoriten aus dem DAX zählt die Allianz nicht nur wegen eines hohen technischen Momentums. Vielmehr weiß der Assekuranzkonzern auch operativ zu überzeugen. Obwohl die US-Fondstochter Pimco gerade ein wenig schwächelt, steuert das Unternehmen auf ein Rekordjahr zu. Vorstands- chef Michael Diekmann peilt für 2014 ein operatives Ergebnis von bis zu 10,5 Milliarden Euro an. Von Januar bis Juni hat die Allianz bereits mehr als die Hälfte dieser Zielmarke eingefahren.
Insofern besteht durchaus die Chance, dass Diekmann die Jahresprognose noch weiter nach oben schraubt. Gelegenheit dazu wäre am 7. November. Dann präsentiert der Versicherer die Zahlen für das dritte Quartal. Im Zwischenbericht dürfte einmal mehr die erfreuliche Entwicklung der Schaden- und Unfallversicherung zum Ausdruck kommen. In der ersten Jahreshälfte profitierte der Konzern zudem von einem starken Neugeschäft im Segment Lebens- und Krankenversicherung. Diekmann ruht sich nicht auf den Erfolgen aus. Zuletzt legte der Topmanager bei der US-Tochter Fireman’s Fund Hand an. Der defizitäre Versicherer soll zerlegt werden. Möglicherweise sorgt der Vorstandschef selbst demnächst für Schlagzeilen. Im Oktober möchte der Allianz-Aufsichtsrat über die Verlängerung von Diekmanns Vertrag entscheiden. Der läuft Ende des Jahres aus. Nachdem der knapp 60-Jährige Lust aufs Weitermachen signalisiert hat, dürfte einem "Ja" nichts im Wege stehen. Für den Aktienkurs wäre es jedenfalls positiv, wenn die Allianz mit Kontinuität an der Konzernspitze in das Jahr ihres 125-jährigen Bestehens gehen würde.

Investor-Info

Neben dem kurzfristigen Momentum und der starken operativen Verfassung spricht die Bewertung für die Allianz-Aktie. Das erwartete KGV für 2015 liegt im einstelligen Bereich.

Kursziel: 155,00 €

Stoppkurs: 120,00 €
Auf Seite 7: Der zweite Dax-Topfavorit von BÖRSE ONLINE

Bayer-Aktie: Auf diese Pillen stehen Börsianer
Inmitten einer an Unternehmensnachrichten relativ armen Zeit sorgte Bayer vergangene Woche für einen Paukenschlag. Fortan will man sich auf die Bereiche Pharma und Agrochemie konzentrieren. Dagegen möchte das Management das Kunststoffgeschäft abstoßen. Für die weniger rentable Sparte Material Science plant Vorstandschef Marijn Dekkers einen Börsengang. Innerhalb der kommenden zwölf bis 18 Monate soll das IPO über die Bühne gehen. Dekkers ist aber auch für einen Verkauf des Segments offen. "Wenn ein Angebot käme, hätten wir als Vorstand die Verantwortung, uns das zu überlegen", sagt er. Ein Blick in die Um- satz- und Gewinnaufteilung von Bayer zeigt, dass die von Investoren seit Längerem geforderte strategische Neuausrichtung Sinn ergibt. Material Science steht aktuell zwar für rund 30 Prozent der Kon- zernerlöse. Allerdings steuert die Sparte nur etwas mehr als ein Zehntel zum Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) bei.

Die Fondsgesellschaft Main First geht in einer Analyse davon aus, dass Material Science die Ebitda-Marge als eigenständiges Unternehmen in den kommenden Jahren deutlich verbessern kann. Aktuell taxieren die Analysten den Wert der Sparte - inklusive Schulden - auf mehr als zehn Milliarden Euro. Ihrer Ansicht nach zeigt die Bayer-Aktie einen deutlichen Abschlag zur Bewertungssumme der einzelnen Unternehmensteile. "Dieser Discount sollte sich nun abbauen", so der Kommentar.

Offenbar ist Main First mit dieser Einschätzung nicht allein. Das DAX-Schwergewicht reagierte mit einem Kurssprung von mehr als sechs Prozent auf die Ankündigung. Damit hat sich Bayer von den Fesseln des horizontalen Widerstands um 106/107 Euro befreit. Auch wenn es zu- nächst zu einer Kurskonsolidierung käme: In der verschlankten Aufstellung ist Bayer bestens positioniert, um eine langfristige Wachstumsstory zu schreiben. Daher stufen wir den Bluechip auf "Kaufen" herauf.

Investor-Info

Bayer fokussiert das Geschäft in Zukunft auf die Life-Science-Bereiche Pharma und Agrochemie. Damit legt der DAX-Krösus den Grundstein für eine Fortsetzung der Kursrally.

Kursziel: 130,00 €

Stoppkurs: 98,00 €

Auf Seite 8: Der dritte Dax-Topfavorit von BÖRSE ONLINE



Infineon-Aktie: Hier wird an der Zukunft gebastelt
Mit einem Plus von 15,9 Prozent zählt Infineon 2014 bis dato zu den drei stärksten DAX-Aktien. Der Chiphersteller hat auch operativ einen Lauf. Zuletzt gelang es Infineon, fünf Quartale in Folge gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu wachsen. "Unsere Strategie bewährt sich, und die Investitionen zahlen sich aus", sagt Vorstandschef Reinhard Ploss. Das gilt auch für die Marge: Im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2013/14, das bis 30. September läuft, erreichten die Münchner eine operative Rendite von 15,3 Prozent. Damit lag die Kennzahl wieder über dem langfristigen Zielwert von 15 Prozent. Für Juli bis September dürfte die Profitabilität noch besser ausfallen, weshalb Ploss die Prognose für das Gesamtjahr leicht erhöhte. Gute Geschäfte macht Infineon im Bereich erneuerbare Energien. Hier liefert der Konzern unter anderem Halbleiter, die zu einer optimalen Stromnutzung beitragen. Punkten kann das Unternehmen auch bei Smartphone-Produzen- ten. Derweil legte die dominierende Automobilsparte im dritten Quartal weniger stark zu.

Dessen ungeachtet bastelt Ploss weiter an der Zukunft des Konzerns. Zuletzt meldete Infineon die bisher größte Übernahme der Firmengeschichte. Für etwa drei Milliarden US-Dollar schlucken die Münchner den US-Konkurrenten International Rectifier. Zur Hälfte finanziert das Unternehmen den Deal über neue Fremdmittel, der Rest kommt aus der Kasse. Der Vorstandschef begründet den Aufschlag von 50 Prozent auf den Rectifier-Aktienkurs mit Kostenvorteilen und einer beschleunigten Umstellung der Fertigung auf größere Siliziumscheiben. Aus strategischer Sicht ergänzt der Zukauf die Palette an Halbleitern für das Strommanagement in Haushaltsgeräten und Netzwerkrechnern. Geografisch stärkt er die Position in den USA sowie in Asien. Wir rechnen damit, dass Ploss die Marge der neuen Tochter rasch auf das Infineon-Niveau hieven kann. Gleichwohl sollte Anlegern die Zyklizi- tät des Halbleitersektors und das damit einhergehende spezielle Risiko dieses DAX-Favoriten bewusst sein.

Investor-Info

Im Zuge der scharfen Korrektur von Juli/August testete die Infineon-Aktie die 200-Tage-Linie. Mittlerweile hat sich der Halbleitertitel an den kurzfristigen Abwärtstrend herangearbeitet.

Kursziel: 11,00 €

Stoppkurs: 7,25 €