Erst die verkorkste Hinrunde, dann Gerüchte um das Interesse internationaler Spitzenklubs an Leistungsträgern wie Ilkay Gündoğan, Mats Hummels und Marco Reus - Fans und Aktionäre von Borussia Dortmund haben allen Grund, sich Sorgen zu machen. Doch Fußballfachmann Reiner Calmund, früher Manager bei Bayer Leverkusen, rät: Ruhe bewahren.

Herr Calmund, Borussia Dortmund ist Deutschlands einziger börsennotierter Fußballklub. Müssen die Aktionäre den Abstieg fürchten?
Nee. Die kommen wieder, da bin ich mir sicher. Die kicken sich wieder hoch, vielleicht sogar bis auf die internationalen Plätze. Ich drücke den Jungs kräftig die Daumen.

Kaufen, wenn die Kanonen donnern, heißt es an der Börse. Würden Sie jetzt Borussia-Aktien kaufen? Der Kurs ist seit Saisonbeginn um über 20 Prozent gefallen.
Für risikofreudige Börsianer ist der BVB jetzt natürlich das ideale Spekulationsobjekt: enttäuschende Hinrunde in der Bundesliga, klasse Management, super Image, hervorragendes Produkt, wertvolles Humankapital und top Kundschaft im Stadion und vor der Flimmerkiste. Hummels, Gündoğan und Reus sind erst mal zurück, das sind Weltklassespieler. Lass die jetzt aus der Winterpause kommen. In der Rückrunde der Bundesliga geht’s dann wieder richtig ab beim BVB.

Jetzt also BVB-Aktien kaufen?
Ruhig bleiben, mein Lieber. Ich bin zwar optimistisch, was den Klub betrifft, würde aber keine Fußballaktien kaufen. Mir persönlich hängt bei Fußballmannschaften zu viel von unberechenbaren Faktoren wie Verletzungen, Glück, Pech und psychologischen Verfassungen ab. Das sehen wir ja gerade bei Dortmund. Der Klub ist nach wie vor internationale Spitzenklasse mit riesigem Potenzial. Und doch hat das Abstiegsgespenst dort geklingelt. Unglaublich.

Auf Seite 2: Calmund über hohe Gehälter und Ablösesummen



Dauerhafte Spitzenklubs wie der FC Bayern München oder Real Madrid kaufen sich - anders als Borussia Dortmund - Weltstars des Fußballs. Was halten Sie von der kolportierten Ablösesumme von einer Milliarde Euro für Real-Madrid-Star Cristiano Ronaldo, der rund 50 000 Euro Gehalt pro Kalendertag bei den "Königlichen" kassiert?
Wenn ein dürres Model 50 000 Dollar am Tag fürs Laufen auf dem Laufsteg bekommt und Millionen für Werbung kassiert oder ein Rennfahrer zehn Millionen für zwei Handvoll Rennen, kann man die Frage genauso stellen. Der Markt bestimmt den Preis …

Finden Sie die …
Nee, warte mal. Es gibt Milliardäre, die hängen sich ein paar Picassos in den Keller, machen ihre Alarmanlage an, trinken einen schönen Rotwein vor den Bildern, gucken die einsam und alleine an und gehen wieder hoch. Dann habe ich doch lieber auch einen teuren Ronaldo in der Mannschaft! Wenn ich Milliardär wäre, würde auch ich einen Ronaldo gegen einen Picasso tauschen - und den Ronaldo aller Welt seine Künste zeigen lassen.

Finden Sie die ständig steigenden Ablösesummen okay?
Ich finde die Ablösesummen inzwischen zu hoch, glaube aber auch, dass sich die Preisspirale weiter dreht. Es profitieren einfach sehr viele Menschen von guten Fußballern, auch Politiker und Oligarchen. Aber die Milliarde für Ronaldo ist natürlich Quatsch, die ist virtuell. Damit sagt der Real-Präsident lediglich, dass der Junge unverkäuflich ist. Aber "Ronaldo ist mir eine Milliarde wert" klingt eben besser als "Der ist nicht verkäuflich".

Auf Seite 3: Calmund über Ausgaben und Einnahmen



Die deutschen Fußballmanager rechnen im harten Wettbewerb mit weiter steigenden Ausgaben. Werden die meist profitablen Bundesliga-Unternehmen in eine Kosten- und Schuldenspirale geraten, wie es bei den italienischen, englischen und spanischen Vereinen passiert ist?
Das glaube ich nicht, weil die Deutsche Fußballliga ein strenges Lizenzierungsverfahren hat und hemmungsloses Schuldenmachen hierzulande eher verpönt ist.

Wie werden sich die Einnahmen in Zukunft entwickeln?
Auch die steigen weiter. Gerade erst hat die Deutsche Fußballliga verkündet, dass sie die Auslandserlöse vor allem durch TV-Vermarktung mehr als verdoppeln will. Das ist ein Riesenpotenzial. Das konnte man Ende November wieder sehen, als die Partie Arsenal London gegen Manchester United in den USA die höchste Quote aller Fußball-Sportsendungen hatte. Die Engländer haben ManU, wir haben den FC Bayern München, den Klub mit den meisten Mitgliedern auf der Welt.

Auf Seite 4: Calmund über die Rolle des FC Bayern und des BVB bei der Internationalisierung der Bundesliga



Welche Rolle spielt der FC Bayern bei der Internationalisierung der Bundesliga?
Die würde ohne die Bayern nicht funktionieren. Das ist das deutsche Fußball-Flaggschiff. Auch wenn Ronaldo letztlich gewonnen hat - zur Wahl des Weltfußballers 2014 waren zunächst neben Neuer auch Lahm, Schweinsteiger, Götze, Müller, Robben und Kroos nominiert, sieben Spieler allein vom FC Bayern! Das strahlt weltweit aus und nützt der ganzen Bundesliga.

Und der BVB?
Durch seine meist starken Auftritte in der Champions League entwickelt sich auch die Borussia zu einem Aushängeschild, ist nach den Bayern die zweite Visitenkarte der Bundesliga. Aber die Bayern spielen auch international in anderen Sphären.

Manche Experten sagen, die Bayern machen die Bundesliga langweilig.
Weil die Bayern in den nächsten 20 Jahren Meister werden wollen? Ich sage trotzdem: Die Bundesliga bleibt superspannend. Da fighten jedes Jahr zehn Mannschaften um die Champions-League- und UEFA-Cup-Plätze, und der Rest spielt gegen den Abstieg. Wahnsinn. Und wenn es nur um Geld ginge, hätte Chelsea schon zehn Mal die Champions League gewonnen, und Dortmund stünde in diesem Winter viel weiter oben in der Bundesligatabelle.

Wo schauen Sie lieber Fußball - zu Hause oder im Stadion?
Zu Hause schaue ich es natürlich auch gerne. Sky gucken, schön gemütlich auf dem warmen Sofa, alle Spiele, alle Tore - Sie wissen schon. Mit 25 oder 30 Kameras jede Emotion einfangen und sich mit Freunden über Taktik in die Wolle kriegen, das liebe ich!

Zu Hause auch gerne? Heißt das, Ihre wahre Liebe ist das Stadion?
Ja, ist doch klar! Das absolute Highlight bleibt der Stadionbesuch: mitschwimmen in den Emotionen, die Atmosphäre mit Zigtausenden anderen Fans genießen und - das sieht man mir ja an - hier und da mal ein leckeres Würstchen essen.

Auf Seite 5: Reiner Calmund im Profil



Reiner Calmund

Sein Wort hat Gewicht im Profifußball: Reiner Calmund wurde am 23. November 1948 in Brühl im Rheinland geboren. Der studierte Betriebswirt war bis 2004 Geschäftsführer der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH. Seither ist er bei Europa- und Weltmeisterschaften als Botschafter der Verbände UEFA und FIFA aktiv. Seine 2008 erschienene Autobiografie trägt den Titel "fußballbekloppt!"

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