Herr Dr. Krämer, die Italiener haben der geplanten Reform von Ministerpräsident Renzi gestern die Rote Karte gezeigt. Renzi tritt zurück. Kommt nun die Diskussion um die Zukunft der EU mit Macht zurück?



Jörg Krämer: Im asiatischen Handel haben die Märkte gefasst reagiert. Der EUR-USD-Wechselkurs sank um knapp 1 US-Cent auf 1,057. Natürlich ist es tragisch, dass die Italiener die Chance vertan haben, sich einen effizienteren parlamentarischen Entscheidungsprozess zu geben, der sicherlich die Voraussetzung für dringend benötigte Wirtschaftsreformen ist. Aber die Ablehnung der Reform bedeutet nicht automatisch den Durchmarsch der euro-kritischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise. Schließlich will Präsident Mattarella eine Übergangsregierung einsetzen, die das Wahlrecht zu Lasten der Fünf-Sterne-Bewegung ändern könnte. Trotzdem ist das Risiko einer Fünf-Sterne-Regierung und einer Rückkehr der Staatsschuldenkrise nicht vom Tisch.

Manche Beobachter befürchten gar, dass Italien dem Beispiel Großbritanniens folgen könnte und aus der EU austreten könnte. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein solches Szenario?



Zwar ist die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S)mittlerweile für einen Verbleib Italiens in der Währungsunion. Aber sie will sie "von innen heraus verändern". Dabei hat sie vor allem die Haushaltsregeln der EU im Blick, die Italien angeblich davon abhalten, seine Wirtschaft durch mehr Staatsausgaben auf Trab zu bringen. Eine von der M5S maßgeblich beeinflusste Regierung würde eine sehr expansive Finanzpolitik verfolgen und die Staatsschulden weiter in die Höhe treiben. In diesem Falle könnten die privaten Anleger in einen Käuferstreik treten und eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise auslösen. Die Fünf-Sterne-Bewegung bleibt ein Risiko für die Währungsunion.

Die italienischen Banken sitzen auf faulen Krediten in Milliardenhöhe. Wie groß ist jetzt die Gefahr einer neuen Finanzkrise in Italien und in der Eurozone?



Die italienischen Banken ächzen unter der großen Last der faulen Kredite - nahezu jeder fünfte Kredit ist ausfallgefährdet. Die Ablehnung der Senatsreform stellt ein weiteres Risiko für die Pläne der italienischen Banken dar, sich von Privatanlegern Eigenkapital zu besorgen.

An den Börsen hat die Nervosität im Vorfeld des Referendums deutlich zugenommen. Droht dem Dax nun ein neuerlicher Rückschlag?



Auch die Aktienmärkte haben gefasst auf das Nein der Italiener reagiert. Aber natürlich würde der Dax leiden, wenn sich wider Erwarten ein Durchmarsch der Fünf-Sterne-Bewegung abzeichnete.

Erwarten Sie politische Börsen, mit ein paar Tagen Unsicherheit oder könnte es schlimmer kommen?



Staatspräsident Mattarella versucht, eine Übergangsregierung zu bilden. Das senkt aus Sicht der Aktienmärkte die Risiken.

Sie haben es vorhin schon erwähnt: Der Euro ist in Asien heute morgen in Asien bereits unter Druck geraten. Steuert der Euro jetzt auf die Parität zum Dollar zu?



Das ist nicht ausgeschlossen, aber nicht unser Hauptszenario. Nach der Wahl von Trump hat der Dollar massiv aufgewertet. Es ist schon viel Dollar-Stärke eingepreist, so dass die Abwärtsrisiken für EUR-USD-Wechselkurs begrenzt sind.

Viele Beobachter erwarten, dass die EZB am Donnerstag die milliarden-schweren Anleihekäufe um weitere sechs Monate verlängern wird, das Volumen von 80 Milliarden Euro aber beibehalten wird. Erwarten Sie vor dem Hintergrund des Referendums in Italien hier Abstriche, oder wird Mario Draghi das Programm uneingeschränkt verlängern?



Vermutlich wird die EZB das Kaufprogramm um sechs Monate verlängern und das monatliche Kaufvolumen bei 80 Milliarden Euro belassen. Ein Absenken der Anleihekäufe könnte als Einstieg in den Ausstieg interpretiert werden. Das will die EZB wohl vermeiden - zumal wegen der angespannten politischen Situation in Italien.

Wird eine solche Verlängerung des Quantitativ Easing der Startschuss für eine Jahresend-Rallye?



Die meisten Volkswirte rechnen mit einer Verlängerung der Anleihekäufe. Das ist größtenteils eingepreist und sollte die Aktienmärkte nicht mehr beflügeln.