Der Rahmen für die Hauptversammlung von Siemens stimmt. Die Aktionäre füllen die Münchner Olympiahalle fast bis auf den letzten Platz. Doch operativ ist der Wurm drin beim DAX-Wert. Im ersten Quartal des Geschäftsjahres bricht der Gewinn des größten deutschen Industriekonzerns gleich um ein Viertel auf 1,1 Milliarden Euro ein. Joe Kaeser muss den Anteilseignern auf seiner zweiten Hauptversammlung als Konzernchef einen Rückgang beim Auftragseingang um 13 Prozent auf rund 18 Milliarden Euro erklären. Das lag deutlich unter den Erwartungen, Analysten hatten im Schnitt von Oktober bis Dezember mit einem neuen Ordervolumen von 19,5 Milliarden Euro gerechnet. Immerhin der Umsatz stieg moderat auf 17, 4 Milliarden Euro und traf die Prognosen.

Der schwache Euro könnte dem Konzern laut Finanzchef Ralf Thomas jedoch im laufenden Geschäftsjahr Rückenwind bei der operativen Gewinnmarge verleihen. "Wir reden hier im besten Fall über einen positiven Effekt in Höhe von 30 bis 40 Basispunkten, wenn der Euro zum Dollar weiter auf diesem Niveau bleibt", sagte Finanzchef Ralf Thomas gegenüber Börse Online am Rande der Veranstaltung. Im Geschäftsjahr will Siemens zwischen zehn und elf Prozent Gewinnmarge erreichen. Mit dem Euro-Effekt könnte die Gewinnspanne somit zwischen 13 und 14 Prozent liegen. Für das abgelaufene Quartal hatte Siemens eine Gewinnmarge im operativen Geschäft von 10,2 Prozent berichtet.

Auf Seite 2: Kaeser baut Vorstand weiter um



Kaeser baut unterdessen auch den Vorstand weiter um. Sowohl die Medizintechnik wie auch die Sparte Power & Gas stehen künftig unter neuer Leitung. Der langjährige Chef der Medizintechnik, Hermann Requardt, scheidet aus. Künftig soll Siegfried Russwurm, bislang Personalvorstand, die Verantwortung auf Konzernvorstandsebene übernehmen, Manager Bernd Montag die Division führen. Neue Personalchefin des Konzerns wird Janina Kugel.

Die abermalige Rochade im engsten Führungskreis ist offensichtlich auf operative Probleme in den beiden wichtigen Kerngeschäften zurückzuführen. In der Medizintechnik, eine von zehn Divisionen des Konzerns, den Kaeser mit seiner "Vision 2020" gerade grundlegend umbaut, sank die Gewinnmarge im ersten Quartal des Geschäftsjahres deutlich auf unter 15 von knapp 18 Prozent im Vorjahr. Kaeser sprach von Preisdruck insbesondere in Japan und China sowie einem ungünstigen Mix zwischen Neuverkäufen und Servicegeschäft. "Das ist sind vorrübergehende Einflüsse", sagte der Vorstandschef.

Auf Seite 3: Großbaustelle Power & Gas



Die größte Konzernbaustelle ist jedoch die Sparte Power & Gas. Hier brach der Gewinn im Quartal um fast 40 Prozent ein und zog damit auch den gesamten Konzerngewinn in die Tiefe. "Power & Gas benötigt ein deutlich weiterreichendes Konzept, um längerfristig zu den früheren Margen zurückzukehren", sagt Vorstandschef Kaeser.

Siemens bietet hier Kompressoren etwa für die Öl- und Gasindustrie sowie Turbinen an. Das Geschäft steht gleich von mehreren Seiten unter Druck: Das traditionelle Turbinengeschäft wandelt sich und wird dezentraler, beispielweise in Deutschland aufgrund der Energiewende. Zudem ist der Ölpreis dramatisch gesunken und große Energiekonzerne fahren ihre Investitionen zurück. "Das wird Siemens treffen", gab Kaeser zu. Siemens hatte im vergangenen Jahr den US-Kompressorenhersteller Dresser Rand für 7,6 Milliarden Dollar übernommen und war damit auch ins Fracking-Geschäft eingestiegen, das vom Ölpreis stark abhängig ist. Es war die größte Übernahme in der 167-jährigen Konzerngeschichte.

Sorgen des Kapitalmarkts, der Preis für Dresser Rand könne wegen des schwachen Euro noch steigen, trat Finanzchef Ralf Thomas entgegen. "Die übernehmende Einheit sitzt in den USA und ist mit ausreichend Dollar ausgestattet", sagte der Finanzchef. Die Übernahme soll spätestens bis im Sommer abgeschlossen sein. Zusätzliche Kosten entstünden erst, wenn das so genannte Closing bis Oktober noch nicht vollzogen sei, sagte Kaeser. Der Konzernchef rechnet überdies mit einem rasch wieder steigenden Ölpreis und verwies auf die Entwicklung nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008, als die Notierung nach starkem Einbruch rasch wieder anstieg. Viele Experten halten hier jedoch auch eine längere Schwäche für möglich.

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Kaeser bestätigte die Jahresprognose. Demnach soll der Nettogewinn vor allem aufgrund von Verkäufen von Unternehmensteilen um mindestens 15 Prozent steigen, der Umsatz aber wieder stagnieren. Aktionärsvertreter zeigten sich von der Entwicklung des Geschäfts jedoch enttäuscht - insbesondere davon, dass Kaeser bereits das zweite Übergangsjahr ohne Umsatzzuwächse in Folge unter seiner Ägide angekündigt hat. "Der Kapitalmarkt schaut vor allem auf Kennzahlen wie Profitabilität, Umsatzwachstum und Cashflow. Die sehen bei General Electric, ABB und Schneider Electric besser aus als bei Siemens", sagte Ingo Speich, Fondsmanager der Gesellschaft Union Investment.

Die jüngste Personalrochade und die Berufung seiner Vertrauten Janina Kugel zur Personalchefin befördern zudem Vorwürfe, der Konzernchef baue systematisch seine persönliche Macht im Konzern aus. So kritisierte etwa Fondsmanager Speich die zunehmende Machtfülle. "Siemens ist keine One-Man-Show", sagte der Aktionärsvertreter. Kaeser hatte bei seinem Amtsantritt als Konzernchef im August 2013 auch die Verantwortung für die Beziehungen zum Kapitalmarkt, die so genannten Investor Relations, übernommen.

Andere Investoren zeigten sich mit der Aktienentwicklung zwar zufrieden, monierten aber die immer noch hohen Sonderbelastungen im Konzern sowie den hohen Preis für die Übernahme von Dresser Rand. "Der Einstieg macht für uns den Eindruck, als wäre er unter hohem Druck zustande gekommen", sagte Henning Gebhardt, Vertreter der Fondsgesellschaft Deutsche Asset & Wealth Management. Gebhardt spielte damit auf das Bietergefecht von Siemens mit dem Schweizer Konkurrenten Sulzer an. Ausgerechnet der ehemalige Siemens-Chef Peter Löscher hatte als Verwaltungsratschef von Sulzer den Preis in die Höhe getrieben. Positiv überrascht zeigte sich der Aktionärsvertreter aber vom erzielten Verkaufspreis für den Anteil am Hausgeräte-Joint-Venture BSH an Bosch sowie der Hörgerätesparte. Hier hatte Siemens insgesamt rund drei Milliarden Euro eingenommen.

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Siemens zahlt Aktionären für das abgelaufene Geschäftsjahr mit 3,30 Euro zehn Prozent mehr Dividende. Der Vorstand stellte zudem eine bessere Entwicklung in Aussicht. "Das Geschäftsjahr 2016 wird operativ deutlich besser", sagte Kaeser am Rande der Veranstaltung. Um den Gewinn zu steigern, will der Chef noch mehr sparen. Kaeser kündigte an, demnächst Einzelheiten zu den geplanten Maßnahmen bekannt zu geben. Eine Milliarde Euro sollen bei den Personalkosten gekürzt werden. Konzernbetriebsratschefin Birgit Steinborn, die im Dezember zur stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden des Unternehmens berufen wurde, hatte bereits vor dem Aktionärstreffen gegen den erneuten Einschnitt protestiert. "Siemens geht von einem Sparprogramm ins nächste", mahnte Steinborn.

Die Aktie reagierte mit Kursverlusten. Wir bleiben bei unserer Einschätzung: Das Papier ist wegen der soliden Dividendenrendite haltenswert.