Spontan hatte die IG Metall die Demonstration vor der Siemens-Zentrale am Münchner Wittelsbacher Platz organisiert. Rund 40 Gewerkschafter versammelten sich hinter einem riesigen Plakat, das Fotos Hunderter vom Jobabbau bedrohter Kollegen zeigte. Im historischen Gebäude selbst nahm derweil die Bilanzpressekonferenz ihren Gang. Viele der Fragen an den Vorstand um Chef Joe Kaeser drehten sich um das eine Thema: Wie viele Mitarbeiter der schwächelnden Sparte Öl und Gas verlieren ihren Job? Welche Standorte in Deutschland sind von Schließungen bedroht? Und wie geht es mit dem Bereich weiter?

Ausgerechnet das einstige Glanzstück des Industriekonzerns, das Geschäft mit Gasturbinen, ist in einem bedauerlichen Zustand. Der Markt schrumpft, nicht nur in Deutschland, wegen der Energiewende und des Ausstiegs aus der Kernkraft. Auch international sieht es kaum besser aus. Im abgelaufenen Geschäftsjahr fiel die operative Marge des einstmals größten Gewinnbringers unter ihren Zielkorridor von elf bis 15 Prozent: Zehn Prozent Rendite waren es noch. Die Folge: Siemens blieb beim operativen Quartalsgewinn hinter den Erwartungen zurück, die Aktie fiel.

Im Anfang Oktober angelaufenen neuen Geschäftsjahr soll alles noch viel schlimmer kommen. Es stehen große Umstrukturierungen an. Wie teuer es wird, wollten und konnten Kaeser und sein Finanzchef Ralf Thomas noch nicht sagen, schließlich laufen die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern erst an. Ende kommender Woche soll es hierzu mehr geben.

Windkraft in der Flaute



Dass es eine erhebliche Summe wird, steht indessen fest. Womöglich mehr als eine Milliarde Euro, wenn man die Umbaukosten des ebenfalls kriselnden Windkraftgeschäfts hinzurechnet. Im Frühjahr hatte Siemens seine Windanlagen mit der Sparte der spanischen Gamesa fusioniert. Die mehrheitliche Siemens-Tochter notiert an der Börse. Bislang aber streben Kurs und Geschäft nach unten. Die Wind-Tochter schrieb im jüngsten Quartal 92 Millionen Euro Verlust. Im Vorjahr standen noch 132 Millionen Euro Gewinn zu Buche.

Damit sind Geschäfte mit einem guten Viertel des Konzernumsatzes in bedenklichem Zustand. Der Rest läuft. Die Bandbreite reicht dabei von "läuft wieder besser" - wie die soeben ins Plus gedrehte Sparte Process Industries and Drives, die schwierige Branchen wie die Rohstoffindustrie mit Anlagen ausstattet - bis "läuft gut": Die Automatisierungssparte Digital Factory etwa, die Planungs- und Fertigungssoftware sowie Anlagen für Fabriken herstellt, ist ebenso auf hohem Niveau wie die Energienetze, die Gebäudetechnik oder die Verkehrstechnik, die Kaeser mit der französischen Alstom fusionieren will.

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Medizintechnik strahlt



Perle im Konglomerat aber ist die Gesundheitssparte Healthineers. Rechtzeitig vor dem für das erste Halbjahr 2018 geplanten Börsengang erzielt der Bereich mit einer operativen Rendite von 19 Prozent und allein 702 Millionen Euro operativem Quartalsgewinn Rekorde - und liefert damit fast ein Drittel des Ergebnisses des industriellen Siemens-Geschäfts. Das lässt für den geplanten Börsengang hoffen. Auch für den Konzern sind die Aussichten für das laufende Jahr wegen des Aufschwungs im Medizinbereich sowie der kurzzyklischen Industriegeschäfte wie der Automatisierung nicht schlecht. "Der Auftragseingang wird im laufenden Jahr deutlich gegenüber 2017 steigen", sagte Kaeser - und konterte damit Fragen, ob das mühsam erreichte Wachstumstempo des Tankers nach dem leichten Rückgang beim Ordereingang 2017 schon wieder nachlasse.

Die größte Frage aber blieb offen: die zur künftigen Struktur des Konzerns. Kaeser lässt seine Leute an einer "Vision 2020+" arbeiten, die Siemens weiterentwickeln und fit machen soll. Siemens betreibt ein Kerngeschäft um die Energiesparten und hält eine Mehrheitsbeteiligung an der ausgegliederten Windkraft, künftig folgen hier Verkehrs- und Medizintechnik. Dabei bleibt es nicht. Weitere Ausgliederungen und Börsengänge, etwa der Industrieautomatisierung, sind gut möglich. In den kommenden Monaten will Kaeser hierzu aufklären. Auch die Mitarbeiter warten.

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Prognose nebulös: Die Prognose für 2018 hat es in sich: Klar ist, dass der Auftragseingang deutlich, der Umsatz leicht steigen soll. Die operative Marge, 2017 bei 11,2 Prozent, soll zwischen elf und zwölf Prozent liegen. Ob der Nettogewinn 2018 steigt oder fällt, hängt von der Höhe der Umbaukosten ab. Der starke Euro belastet, hier ist ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag avisiert. Positiv: Die Dividende steigt von 3,60 auf 3,70 Euro. Die Aktie lebt von der Börsengangs- und Ausgliederungsfantasie.