Organisch verzeichnet der Münchener Technologieriese seit Jahren kein Wachstum mehr, der Umsatzschwund setzte sich nach Analysteneinschätzung auch im abgelaufenen dritten Quartal des Geschäftsjahres 2013/14 fort. Siemens kommt demnach in den Monaten von April bis Juni auf Einnahmen von gut 18,5 Milliarden Euro. Das sind fast vier Prozent weniger als vor einem Jahr, als Kaesers Vorgänger Peter Löscher letztmals die Siemens-Bilanz verantwortete.

Mit viel Vorschusslorbeeren wurde Kaesers Aufstieg vom Finanzchef nach ganz oben bedacht. So gewann Siemens nach dem Chefwechsel mehrere Milliarden an Börsenwert. In den vergangenen Monaten krempelte Kaeser die Struktur des Elektroriesen um, schaffte große Organisationsbereiche ab und gliederte den Konzern neu, um gegen die legendäre Siemens-Bürokratie anzukommen. Mehr als 11.000 Arbeitsplätze stehen zur Disposition, der Abbau zumindest eines Teils davon steht bevor.

Hinzu kommen Pläne für Zukäufe im Öl- und Gasgeschäft in Nordamerika. Kaeser will dort vom Schiefergasboom profitieren und installiert eigens die neue Energiespartenchefin Lisa Davis vor Ort. Konkret wird Siemens Interesse an Dresser-Rand nachgesagt. Die Münchner sollen Insidern zufolge den bislang eigenständigen US-Turbinenspezialisten mit seinem großen Servicegeschäft beschnuppern und erste Kontakte knüpfen. Weiter seien die Annäherungsversuche noch nicht gediehen, sagten mehrere Kenner der Situation. Der Preis für Dresser-Rand liegt an der US-Börse bei knapp fünf Milliarden Dollar, was Experten als stolz beurteilen. Um sich die Amerikaner zu schnappen, müsste Kaeser noch etwas drauflegen, was ihn letztlich von einer Übernahme abschrecken könnte. Doch Kaeser kann sich in Geduld üben. Als Siemens 2007 die Pfälzer Softwareschmiede IBS übernehmen wollte, setzten Aktionäre eine Preisspirale für die Anteile in Gang. Kaeser blies das Angebot ab - und schlug fünf Jahre später überraschend zu.

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BERUHIGUNG MEINT NICHT STILLSTAND

Aber nicht nur über Verstärkungen wird bei Siemens nachgedacht, sondern auch darüber, wie der Konzern weniger geliebte Geschäftsbereiche künftig aufstellt. So soll die Hörgerätesparte an die Börse gebracht werden und die gesamte Medizintechnik steht inzwischen im konzerneigenen Schaufenster. Selbständiger solle sie werden, ein Mehrheitsverkauf sei aber bisher nicht geplant.

Kaeser rechtfertigt die Aufregung, die auch durch das zwischenzeitliche Bieterduell mit dem Erzrivalen GE um die französische Alstom befeuert wurde. "Beruhigung meint nicht Stillstand. Für mich heißt Beruhigung des Unternehmens auch, eine klare Richtung vorzugeben und den Menschen im Unternehmen aufzuzeigen, wo es lang geht", erklärte er im Vorfeld seines ersten Amtsjubiläums. Sein Konzerumbau weise den Weg in eine bessere Zukunft. "Mit der Vision 2020 wissen die Mitarbeiter woran sie sind, weil die Richtung und die Prioritäten klar beschrieben sind. Am Ende wird das Unternehmen besser dastehen und größer sein." Er bedauert allerdings, nicht schneller agiert zu haben. "Rückblickend würde ich die Neuausrichtung der Organisation rascher implementieren."

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ANALYSTEN HOFFEN AUF QUARTAL OHNE SCHNITZER

Die neuerliche Quartalsbilanz dürfte nach Ansicht von Analysten in etwa so aussehen wie die vorangegangenen. Während Großaufträge für gute Laune in der Energietechnik sorgten, herrsche in der Sparte für Industrieausrüstung weiter Konjunkturflaute. Zunehmend Kopfschmerzen macht Analyst Ben Uglow von Morgan Stanley die hochrentable Medizintechnik. Laue Geschäfte in China würden auf dem Gebiet ähnlich wie beim Konkurrenten Philips für Stagnation sorgen, erwartet der Experte. Kaeser selbst räumt eine gewisse Schwäche im Fernen Osten ein. "In China nimmt der Stellenwert inländischer Unternehmen deutlich zu und ändert die Verhältnisse für multinationale Unternehmen." Die Analysten erwarten jedoch, dass es Kaeser zumindest in den vergangenen drei Monaten gelungen sein dürfte, böse Überraschungen wie zuletzt in der Stromübertragungssparte weitgehend zu vermeiden und so die operative Rendite auf über zehn Prozent zu treiben.