Nicht wenige Analysten meinen, das Umdenken - etwa bei der Deutschen Bank - hätte viel früher einsetzen müssen. Aber gerade in den USA, wo die Geldhäuser als besonders kostenbewusst und radikal gelten und schnell mal Tausende Mitarbeiter vor die Tür setzen, ist das große Filialsterben kein Thema. Die Institute würden hier zwar gerne den Rotstift ansetzen, kommen jedoch an ihre Grenzen. Denn die heimischen Kunden nutzen das Online-Banking überraschend zögerlich. Sie schätzen es, persönlich beraten zu werden - am liebsten in der Niederlassung an der nächsten Straßenecke bei einem Becher Kaffee. Lange Wege nimmt niemand in Kauf, schon gar nicht in den Großstädten. Dann geht man lieber zur Konkurrenz.

"Unsere Kunden wollen uns nach wie vor sehen", sagt Jonathan Velline, der bei der Großbank Wells Fargo für die Filialstrategie zuständig ist. An den Besucherzahlen habe sich in den vergangenen Jahren kaum etwas geändert. Das dürfte maßgeblich daran liegen, dass automatische Überweisungen und Daueraufträge in den USA nicht annähernd so verbreitet sind wie in Europa. Stattdessen werden viele Rechnungen noch mit Schecks beglichen, die eben in die Bank gebracht werden müssen. Der Chefvolkswirt des Einlagensicherungsfonds FDIC, Richard Brown, hält die These, dass Filialen wegen der fortschreitenden Digitalisierung vom Aussterben bedroht sind, deshalb auch für "absolut übertrieben". Die größte US-Bank JP Morgan Chase musste unlängst sogar wieder mehr Leute an den Bankschaltern einstellen, weil sich die Kunden über zu lange Wartezeiten beschwert hatten.

Entsprechend moderat sind die branchenweiten Kürzungen bislang ausgefallen: Die US-Banken haben die Zahl ihrer Filialen seit dem Höchststand im Jahr 2009 um sechs Prozent reduziert, wie die FDIC ermittelt hat. Ende 2015 gab es insgesamt noch 93.283 Niederlassungen. Der Internationale Währungsfonds hat die Zahl ins Verhältnis gesetzt zur Bevölkerung - und kommt zu dem Ergebnis, dass die sonst so dynamischen US-Banken mit ihren Filialschließungen im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liegen: vor Deutschland, Frankreich und Kanada, aber weit hinter Griechenland, Irland, Spanien oder Italien.

VIER MILLIONEN DOLLAR ANLAUFKOSTEN



Dabei ist der Kostenhebel hier sehr groß, wie Analyst Ed O'Brien von der Mercator Advisory Group betont. Nach seinen Berechnungen kostet es in den USA zwei bis vier Millionen Dollar, eine Filiale zu eröffnen. Hinzu kämen im Schnitt Betriebskosten von 200.000 bis 400.000 Dollar pro Jahr.

Langfristig verdiene eine Filiale aber auch eine Million Dollar pro Jahr - zumindest wenn man die Größe genau der Kundenzahl anpasse, hält JP Morgan dagegen. Das Institut hat seit 2013 etwa fünf Prozent seiner Niederlassungen dichtgemacht - sehr vorsichtig und möglichst so, dass es dem Kunden in Sachen Bequemlichkeit nicht wehtut, wie der zuständige Manager Gordon Smith erklärt. "Ich werde oft gefragt, warum wir die Schließungen nicht beschleunigen", berichtete er vor kurzem auf einer Investorenveranstaltung. "Die Antwort lautet: Die Kunden machen nicht mit." Das sieht auch Manager John Elmore vom Konkurrenten U.S. Bancorp so. Er verweist auf kleinere Geschäfte und Firmen. Sie wollten eine Bank um die Ecke, um Geld einzuzahlen oder Kredite persönlich zu verhandeln, erzählt er. Die Nähe sei ein "sehr, sehr wichtiger Faktor".

Die Hoffnung der Banken: Wenn der Kunde einmal im Laden ist, kann man ihm gleich mehrere Sachen verkaufen - Hypotheken, Konsumentenkredite, Investmentfonds. Das treibt die Provisionen nach oben. Vor allem aber spielt den US-Häusern etwas anderes in die Hände: Selbst die grundlegenden Dienstleistungen gibt es in der größten Volkswirtschaft der Welt in der Regel nicht umsonst. Die Schnäppchenkultur, die in Europa vor vielen Jahren mit Gratiskonten Einzug gehalten hat, war den Amerikanern schon immer fremd. Hier haben die europäischen Banken Nachholbedarf, die Zinsflaute erhöht den Druck.

rtr