Zudem warf Speich den Großaktionären um die Familien Porsche und Piech vor, die Chance auf einen mögliche Neuordnung der Machtverhältnisse in Wolfsburg verpasst zu haben.

Herr Speich, VW-Chef Müller hat vor wenigen Tagen die neue Strategie 2025 vorgestellt. Was halten Sie davon?


Die stärkere Ausrichtung auf Elektromobilität, autonomes Fahren, Digitalisierung und Mobilitätsdienstleistungen ist zu begrüßen. Leider hat der VW-Konzern diese Zukunftsthemen lange ignoriert und verschlafen, Daimler und BMW sind hier schon weiter. Erst der Dieselskandal hat in Wolfsburg zu einem Umdenken geführt. Die alte Strategie 2018, mit der man sich zu stark auf Wachstum und Stückzahlen fokussierte und Toyota vom Thron stoßen wollte, ist gescheitert.

Wie bewerten Sie den Schaden, der durch den Dieselskandal entstanden ist?


Der Schaden ist enorm. VW hat bereits Rückstellungen von mehr als 16 Milliarden Euro gebildet und verliert seit Bekanntwerden des Skandals auch Marktanteile. Gesetzgeber und Regulierer schauen jetzt viel strenger auf die Abgaswerte bei allen Herstellern und auf die Messverfahren. Die Klage- und Reputationsrisiken für die gesamte Automobilindustrie steigen, der klassische Verbrennungsmotor könnte schneller zum Auslaufmodell werden als gedacht. Die Folgen des Dieselskandals sind nicht auf VW beschränkt, er beschädigt auch den bislang makellosen Ruf deutscher Ingenieurskunst und damit die Exportnation Deutschland.

Für zusätzlichen Ärger sorgt bei vielen Investoren und in der Öffentlichkeit auch noch die geplante Bonus-Zahlung


Das gesamte Niveau der Bezahlung ist sehr hoch und steht in keiner Relation zu der Arbeit, die Vorstand und Aufsichtsrat in der Vergangenheit geleistet haben. Die Bonuszahlungen für den Vorstand werfen auch ein schlechtes Licht auf den Aufsichtsrat und bestätigen leider alle Vorurteile über mangelnde Bodenhaftung der Konzernspitze. Es droht ein Vertrauensverlust bis zum Kundenboykott. Der Aufsichtsrat sollte alle Boni einfrieren und erst auszahlen, wenn klar ist, wer welche Verantwortung für den Skandal trägt. Der Bonusgedanke wird pervertiert, wenn der Vorstand am Ende vom Dieselskandal noch profitiert. Die Hürden für die Auszahlung der zurückbehaltenen Bonusanteile sind viel zu niedrig, weil der Aktienkurs nach Bekanntwerden des Dieselskandals als Referenzkurs herangezogen wird. Bei guter Kursentwicklung in den nächsten drei Jahren könnte sogar der doppelte Betrag zur Auszahlung kommen.

Auf der Hauptversammlung am Mittwoch gibt es also jede Menge Zündstoff?


Für Vorstand und Aufsichtsrat wird es Kritik hageln, sie werden den aufgebrachten Aktionären Rede und Antwort stehen müssen. Was das Abstimmungsergebnis und ihre Entlastung angeht, haben sie paradoxerweise aber nichts zu befürchten, weil sie fest mit den Stimmen der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch sowie des Landes Niedersachsen rechnen können, die die klare Mehrheit stellen. Der Aufstand der Minderheitsaktionäre dürfte erst einmal folgenlos bleiben. Hinzu kommt, dass sich erst nach der Hauptversammlung entscheidet, ob das US-Gericht den Vorschlag von VW zur Entschädigung seiner US-Kunden akzeptiert. Die Hoffnung auf mehr Transparenz in der Aufarbeitung des Dieselskandals wird die Hauptversammlung also auch nicht erfüllen können.

Die Familien Porsche und Piëch haben sich nach längerem Gezerre nun doch auf die Zustimmung zur Ausschüttung einer Mini-Dividende verständigt. Damit bleibt der Frontal-Angriff auf das Land Niedersachsen erst mal aus. Wie stehen Sie dazu?


Eine Ablehnung der Dividende hätte die Machtverhältnisse im Konzern verändern können, die stark von den Interessen der Arbeitnehmer und der Sicherung von Arbeitsplätzen dominiert sind. Dafür setzen sich im Aufsichtsrat im Schulterschluss die Arbeitnehmervertreter, Betriebsrats- und Gewerkschaftsmitglieder und der niedersächsische Ministerpräsident ein. Das Land Niedersachsen hat nach dem VW-Gesetz mit einem Aktienanteil von 20 Prozent sogar eine Sperrminorität, also ein Vetorecht bei wichtigen Entscheidungen. Wenn zwei Jahre in Folge keine Dividende gezahlt wird, werden stimmrechtslose Vorzugsaktien automatisch zu stimmberechtigten Stammaktien, was den Anteil des Landes Niedersachsen deutlich verwässern und die Sperrminorität gefährden würde. Doch mit der Mini-Dividende bleibt alles beim Alten und die Machtverhältnisse im Konzern sind zementiert.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind bei VW trotz des Dieselskandals immer noch dieselben Manager an Bord wie vor Ausbruch des Skandals. Hat VW die Gelegenheit zu einem personellen Neuanfang verpasst?


VW braucht jetzt einen starken Vorstandsvorsitzenden und einen starken Aufsichtsratsvorsitzenden. Mit der gegenwärtigen Führung ist es kaum möglich, Vertrauen am Kapitalmarkt zurückzugewinnen. Natürlich gilt für Herrn Müller und Herrn Pötsch die Unschuldsvermutung, aber ihre Autorität und Glaubwürdigkeit sind geschwächt, weil sie seit langem zum innersten Machtzirkel von VW gehören. Der Konzern hat bei seinen Krisen in den vergangenen zehn Jahren nie drastische Maßnahmen ergriffen. Jetzt wäre die Chance, das Unternehmen und seine Kultur von Grund auf zu verändern und fit für die Zukunft zu machen. Das geht nicht ohne einen personellen Neuanfang an der Spitze des Unternehmens. Herr Müller und Herr Pötsch können nur Übergangskandidaten sein. utz