Was kostet der Dieselskandal?



Bis die endgültigen Kosten aus dem Dieselskandal bei Volkswagen einigermaßen feststehen, dürfte es angesichts der absehbaren Gerichtsverfahren wohl noch Jahre dauern. Aber spätestens seit der Einigung mit den US-Behörden vor gut einer Woche gibt es dafür erste Anhaltspunkte. So erwarten etwa die Analysten der UBS aus Rechtsstreitigkeiten, Rückruf-Aktionen oder Reparaturen und Rückkäufen Belastungen von insgesamt 45 Milliarden Euro (siehe Grafik).



Dazu kommen Schadenersatzforderungen von Aktionären. Alleine in Deutschland steht der Konzern vor Milliarden-Risiken. Erst Mitte März hatte etwa der Anleger-Anwalt Andreas Tilp eine Schadenersatz-Klage über 3,3 Milliarden Euro eingereicht. Tilp vertritt 278 institutionelle Investoren, darunter Versicherungen und Fondsgesellschaften.

Reichen die bisherigen Rückstellungen für den Dieselskandal aus?



Volkswagen hat mit der Vorlage der Zahlen zum dritten Quartal für Rückrufaktionen, Entschädigungen und weitere Belastungen aus Dieselgate zunächst rund 6,7 Milliarden Euro zurückgestellt. Am vergangenen Freitag hat der Konzern diese Positionen auf 16,2 Milliarden Euro erhöht.

Das geht nur mit Zustimmung der Wirtschaftsprüfer. Seit 2004 prüft PwC die VW-Bilanz. Allerdings gab es zuletzt massive Kritik an der Gesellschaft. Dem Handelsblatt zufolge sollen die Bedenken der US-Behörden wegen falscher Abgaswerte bereits 2014 intern bekannt gewesen sein. Sollte das stimmen und PwC davon nichts gewusst haben, hätte PwC sein Testat für den Jahresabschluss 2015 zumindest widerrufen müssen, kritisierte etwa die Partei "Die Linke" unlängst.

Davon abgesehen stellt sich die Frage, ob die 16,2 Milliarden Euro tatsächlich reichen, um alle Belastungen abzudecken. Immerhin drohen nicht nur Strafzahlungen in den USA, sondern auch Schadenersatz-Forderungen aus den Kursverlusten der VW-Aktie. Sollte VW - wie von Tilp und anderen Anwälten behauptet - tatsächlich kursrelevante Tatsachen nicht unverzüglich öffentlich gemacht haben, könnte es teuer werden. Denn bei Verstößen gegen die Ad-hoc-Publizitätspflicht reagieren Richter in Deutschland und den USA ziemlich verschnupft.

Wann werden die internen Ermittlungen abgeschlossen?



Das ist derzeit noch offen. Ursprünglich wollte Volkswagen die Ergebnisse einer internen Untersuchung zu Dieselgate Ende April präsentieren. Doch habe man sich auf eindringlichen Rat der Konzernanwälte entschlossen, die Erkenntnisse erst später zu veröffentlichen, um laufende Verhandlungen mit dem US-Justizministerium nicht zu gefährden.

Wie will der Konzern die Marktanteilsverluste in Europa stoppen?



Die Abgas-Affäre hat das Vertrauen viele VW-Kunden erschüttert. Das schlägt sich offenbar inzwischen auch in den Absatzzahlen nieder. Im ersten Quartal 2016 kam der Konzern mit seinen Marken VW, Audi, Seat, Skoda und Co. bei den Neuzulassungen in Europa gerade noch auf 23,4 Prozent. Das war der tiefste Stand seit 2011. Im ersten Quartal 2015 hatte Volkswagen mit seinen Marken noch 24,4 Prozent aller Neuzulassungen verbucht. Doch seit Bekanntwerden des Dieselskandals Mitte September geht es bergab.

Hat die Marke VW noch eine Zukunft in den USA?



Der Dieselskandal hat das Image von VW gründlich verbeult. Vor allem in den USA hat das Folgen. Dabei ist der Markt für die Wolfsburger auch ohne Abgasskandal schon schwierig genug. Auf dem lange Zeit größten Pkw-Markt der Welt kämpfen VW seit Jahren mit eigens angepassten US-Modellen um die Gunst der Käufer - mit überschaubarem Erfolg. Der Dieselskandal hat dem Konzern nun einen schlimmen Rückschlag beschert.

Unter Beobachtern wachsen nun die Zweifel, ob sich die Marke von dem Image-Desaster überhaupt erholen kann. "Die Marke VW", glaubt etwa Autoexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen, werde "in den USA nicht mehr funktionieren". Statt Abermillionen in eine sündteure Wiederbelebung der Marke zu pumpen, sollte der Konzern sich mit VW laut Dudenhöffer lieber komplett aus den USA zurückziehen und stattdessen einen Neuanfang wagen - zum Beispiel mit Skoda. Die Marke sei unbelastet und stehe für Autos "vergleichbarer Qualität", bei "teilweise besserem Design, aber deutlich günstigeren Kosten je Fahrzeug", sagte der Leiter des Centre Automotive Research unlängst in einem Interview mit BÖRSE ONLINE.

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Wie will der Konzern mit seiner Kernmarke VW wieder wettbewerbsfähiger werden?



Das Image der Marke VW ist schwer ramponiert. Zwar bemüht sich der Vorstand mit aller Kraft, ein Übergreifen der Krise auf andere Marken - vor allem aber auf die Hauptergebnisträger Audi und auch Porsche - zu verhindern. Aber einfach wird das nicht. Um VW mittelfristig wieder aufzurichten und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, muss Volkswagen den Skandal transparent und ohne Ansehen der Person aufklären und den entstandenen Schaden wieder gut machen. Daran arbeitet der Konzern gemeinsam mit einem Heer von Anwälten.

Zugleich muss Volkswagen sicherstellen, dass sich ähnliches nicht wiederholen kann. Doch das geht nur, wenn sich auch die Unternehmenskultur ändert. Der streng hierarchisch geführte Konzern braucht mehr Freiräume und mehr Toleranz und Offenheit auf allen Ebenen. Eine solche Veränderung wird dauern, ein Erfolg derzeit völlig ungewiss - mit weitreichenden Folgen für VW.

Braucht Volkswagen frisches Kapital?



Da gehen die Einschätzungen der Analysten auseinander. Während einige Analysten Kapitalbedarf sehen, verweisen andere auf das starke operative Ergebnis des Konzerns. Denn mit Porsche und Audi hat Volkswagen zwei Marken, die nach wie vor satte Gewinne schreiben.

Warum erhält der Vorstand eigentlich einen Bonus?



Die Diskussion um die Ausschüttung eines Bonus’ für den Vorstand sorgt für reichlich Unmut - bei Mitarbeitern, Investoren und in der Öffentlichkeit. Viele Beobachter hatten im Vorfeld der entsprechenden Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag einen kompletten Bonus-Verzicht gefordert. Auch Betriebsratschef Bernd Osterloh hat einen Verzicht angemahnt.

Doch offenbar pochten mehrere Vorstände auf eine Ausschüttung, Presseberichten zufolge hatten einige Bosse sogar auf eine volle Ausschüttung beharrt. Am Ende verständigte sich der Aufsichtsrat mit dem Vorstand auf eine Kürzung um 39 Prozent.

Die Volkswagen-Vorstände haben in den vergangenen Jahren Millionen verdient. Spitzenverdiener war Ex-Chef Martin Winterkorn. Alleine 2014 steckte er 15,9 Millionen Euro ein.

Ähnlich wie bei vielen anderen Unternehmen setzt sich die Vergütung auch in Wolfsburg aus mehreren Komponenten zusammen. Neben dem Grundgehalt gibt es einen Bonus, der sich nach dem operativen Gewinn bemisst. Hinzu kommt ein individueller Leistungsbonus für jedes Vorstandsmitglied, etwa für das Erreichen bestimmter Ziele wie einer erfolgreichen Integration. Dazu kommt ein Langfrist-Bonus (Long Term Incentive, LTI). Er soll das Erreichen bestimmter Ziele über mehrere Jahre honorieren, wie Kundenzufriedenheit oder die Absatzentwicklung.

Zwar steht den Vorständen eine Ausschüttung vertraglich zu, weshalb eine Kürzung freiwillig sein muss. Und bislang gibt es auch keinen konkreten Hinweis, dass ein Vorstand bei der Einführung der Schummelsoftware bei Dieselmotoren persönlich involviert war. Aber ungeachtet dessen gibt es eine gemeinsame Verantwortung der Unternehmensleitung. Diesem Vorwurf müssen sich die VW-Vorstände stellen.

Dass sie dennoch auf ihre Boni pochen, während der Konzern demnächst eine zweistellige Milliarden-Strafe stemmen muss, die Vorzugsaktionäre mit einer homöopathischen Dividende von 0,17 (Vj. 4,86) Euro abgespeist werden und sich zwischendurch rund 60 Milliarden Euro Investorengeld in Luft aufgelöst hat, ist, nun ja, sehr fragwürdig, manche würden auch einfach sagen: Dreist.

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Was bedeutet der Diesel-Skandal für die Arbeitsplätze bei VW?



Volkswagen hat weltweit rund 600.000 Beschäftigte. Die bei VW traditionell (über)mächtige IG Metall hat seit Jahrzehnten zuverlässig dafür gesorgt, dass sich die Arbeitnehmer praktisch keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen mussten. Doch mit den absehbaren Milliarden-Kosten wegen des Dieselskandals hat sich das nun ändern. Bei den Beschäftigten in Wolfsburg und Umgebung wachse wegen der Abgaskrise die Nervosität. Alleine in der Verwaltung könnte Berichten zufolge womöglich rund 3000 Stellen wegfallen.

Bei der IG Metall ist man sich der dramatischen Lage und den möglichen Folgen durchaus bewusst. Volkswagen stehe vor "dramatischen sozialen Folgen", warnte der stellvertretende Aufsichtsratschef und Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh auf der Mitarbeiterversammlung Anfang März schon mal vorsorglich und stimmte die Kollegen auf beinharte Gegenwehr ein.

Aber für Osterloh und die IG Metall steht viel auf dem Spiel. Personalkürzungen gelten in Wolfsburg als absolutes Tabu. In der Vergangenheit hat der machtbewusste Betriebsratsboss im Schulterschluss mit dem Land Niedersachsen in schöner Regelmäßigkeit Überlegungen zu Stellenstreichungen oder Auslagerungen von Produktionsteilen abgewehrt. Würde an diesem Tabu jetzt doch gerüttelt, wäre auch Osterlohs Macher-Nimbus als heimlicher Herrscher von Wolfsburg erschüttert. Das wird er nicht zulassen und sich mit aller Macht wehren.

Wie kann VW wieder profitabler werden?



Die Kernmarke VW hat sich zu einem Sorgenkind entwickelt (siehe oben). In den vergangenen Jahren haben Analysten immer wieder auf die im Branchenvergleich schwache Profitabilität von VW hingewiesen. Verbessert hat sich indes nichts. Im Gegenteil: Von Januar bis September 2015 schaffte VW Analysen zufolge operativ eine Marge von mageren 2,8 Prozent. Selbst der lange Zeit kriselnde französische Hersteller Peugeot hat die Wolfsburger mittlerweile überholt und kommt inzwischen auf akzeptable fünf Prozent.

VWs eigene Wertschöpfung sei zu hoch, monieren Experten. Statt etwa einfache Bauteile teuer selbst zu produzieren, solle VW mehr bei Zulieferern einkaufen. Dies sei häufig günstiger, heißt es. Außerdem ist das Personal zu teuer.

Doch Besserung ist auch hier kaum in Sicht. Als der neue VW-Markenvorstand Herbert Diess im März erklärte, die Marke Volkswagen müsse "noch einiges tun, um in den nächsten Jahren profitabler zu werden", warf Osterloh dem Ex-BMW-Mann öffentlich den Fehde-Handschuh hin. Es gebe ein "gravierendes Vertrauensproblem", schrieb Osterloh in einem Brief an die Belegschaft. Offenbar solle der "Dieselskandal hinterrücks dazu genutzt werden soll, personelle Einschnitte vorzunehmen, die bis vor wenigen Monaten kein Thema waren".

Konzernchef Matthias Müller bemühte sich eilig, die Wogen zu glätten. Die Mitarbeiter sollten "bei den Zukunftsfragen" künftig stärker eingebunden werden, ließ Müller nach einem Treffen mit Osterloh brav mitteilen. Diess war bei dem Gespräch offenbar gar nicht dabei.

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Wird Volkswagen jetzt zu einem Übernahmeziel?



Der Dieselskandal erschüttert Volkswagen in seinen Grundfesten - mit entsprechenden Folgen. Seit Bekanntwerden des Abgasskandals im September ist der Börsenwert des Konzerns in der Spitze um rund zwei Drittel abgestürzt. Doch eine feindliche Übernahme muss in Wolfsburg wohl dennoch niemand fürchten. Das liegt vor allem an der Eigentümer-Struktur. Nach dem 1960 verabschiedeten so genannten VW-Gesetz hat kein Anteilseigner mehr als 20 Prozent der Stimmrechte - unabhängig von seinem tatsächlichen Anteil an den stimmberechtigten VW-Stammaktien. Die Regelung garantiert dem Land Niedersachsen de facto ein Veto-Recht. Ein feindliches Übernahmeangebot hätte also praktisch keine Chance.





Aber es gibt zumindest Avancen für einen freiwilligen Zusammenschluss. Erst vor ein paar Tagen hatte Fiat-Chrysler-Boss Sergio Marchionne unverhohlen um die Gunst der Wolfsburger geworben. Er sehe in Volkswagen einen potenziellen Partner für einen Zusammenschluss, hatte Marchionne am Rande der Hauptversammlung des Konzerns in Amsterdam Journalisten offenbart. Auch Ford und Toyota seien interessante Kandidaten. Aber Ford hat schon abgewunken - und in Wolfsburg dürfte sich der auf Freiersfüßen wandelnde Italiener ohnehin einen deftigen Korb abholen. Denn trotz der Chaostage in Wolfsburg: Weder das Land Niedersachsen noch die Großaktionäre um die Familie Porsche und Piech werden sich auf absehbare Zeit wohl kaum auch nur von einer einzigen VW-Aktie trennen.