Volkswagen will dem milliardenteuren Diesel-Abgasskandal keine seiner Tochtermarken opfern. Gerade weil er zwölf erfolgreiche Marken habe, sei der Konzern "toll", sagte VW-Chef Matthias Müller am Donnerstag in Wolfsburg, wo er einen Zwischenbericht zur Aufarbeitung der massiven Abgas-Manipulationen bei Diesel-Pkw aus dem Hause Volkswagen abgab. Es gebe keine Pläne, eine der Luxusmarken oder eine andere Tochter zu verkaufen. "Wir denken keine Sekunde daran", betonte Müller. Den Konzern sieht er gut gewappnet, die hohen Kosten des Skandals und mögliche Absatzrückgänge gut zu überstehen. "So ernst die aktuelle Situation auch ist: Dieses Unternehmen wird daran nicht zerbrechen."

VW hatte sich in der vergangenen Woche bei Banken eine Kreditlinie von 20 Milliarden Euro gesichert. Dabei soll der Konzern versprochen haben, zur Rückzahlung notfalls Tochterfirmen zu verkaufen oder an die Börse zu bringen, wie Insider der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Dies sei aber nicht konkretisiert worden.

Zum größten europäischen Autokonzern gehören nicht nur die Volumenmarken VW, Audi, Seat oder Skoda. Der im Streit abgetretene Firmenpatriarch und Sportwagenfan Ferdinand Piech hatte die Nobelmarken Lamborghini, Bugatti und Bentley dazugekauft. Nach dem neuen Bugatti Chiron, einem Auto mit mehr als 1000 PS, gebe es eine überraschend hohe Nachfrage, so dass er kein Defizit machen werde, erklärte Müller.

Auf das operative Geschäft habe sich der Skandal noch nicht niedergeschlagen. Nach Worten Müllers lag der Bestelleingang bis November 3,5 Prozent über Vorjahr. Zudem könne die Erholung in China mögliche Rückgänge auffangen.

Auf Seite 2: AUFKLÄRUNG DAUERT NOCH





AUFKLÄRUNG DAUERT NOCH



Die Aufklärung des Skandals werde sich bis ins kommende Jahr hinziehen, sagte Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch auf der ersten Pressekonferenz seit Bekanntwerden der Manipulationen Ende September. Die Affäre, die den Wolfsburger Konzern in die größte Krise seiner Geschichte gestürzt hat, werde konsequent aufgeklärt. "Alles kommt auf den Tisch, nichts wird unter den Teppich gekehrt." Insgesamt seien 450 interne und externe Experten an der Aufklärung der Vorfälle beteiligt. Ein umfassender Bericht sei für die Hauptversammlung im April 2016 geplant.

Persönlich Verantwortliche würden noch nicht benannt, weil ihnen ihr Fehlverhalten erst juristisch wasserdicht nachgewiesen werden müsse, erklärte Pötsch. Wahrscheinlich handele es sich um eine überschaubare Anzahl von Mitarbeitern. "Verlassen Sie sich darauf, diese Personen werden zur Rechenschaft gezogen", betonte Pötsch. Freigestellt worden seien bisher neun Manager.

An der Börse kam der Zwischenbericht zeitweise nicht gut an. Die Aktien des Autobauers, die zunächst 3,7 Prozent zugelegt hatten, drehten während der Pressekonferenz ins Minus und notierten zeitweise 2,5 Prozent schwächer, bevor sie einen Teil der Kursverluste wieder wett machten. "Offenbar hatten einige auf weitere positive Nachrichten gehofft", sagte ein Börsianer. "Darum nehmen sie jetzt Gewinne mit."

NEUE UNTERNEHMENSKULTUR - OHNE EIGENEN AIRBUS



Pötsch erläuterte, drei Faktoren hätten zu der Manipulation geführt: Individuelles Fehlverhalten, Schwachstellen in Prozessen und das Tolerieren von Regelverstößen in einigen Teilen des Unternehmens. Künftig solle in der Entwicklung deshalb das Vier-Augen-Prinzip strikt eingehalten werden. Emissionstests würden von externen, unabhängigen Experten überprüft. "Künftig wird es sehr schwierig sein, an unseren Prozessen vorbeizuarbeiten", sagte Pötsch.

Die Aufarbeitung leiten soll Einkaufschef Francisco Javier Garcia Sanz. Der frühere Porsche-Chef Müller, ein langjähriger Weggefährte seines im Abgasskandal zurückgetretenen Vorgängers Martin Winterkorn, will den bisher autoritär geführten Konzern einem Kulturwandel unterziehen. "Jeder muss verinnerlichen, dass ein Fehler bei uns erlaubt ist, wenn wir ihn als Chance zum Lernen nutzen", betonte Müller. Er und seine Kollegen müssen künftig auf eine besondere Annehmlichkeit verzichten: Der firmeneigene Airbus soll verkauft werden.

Reuters