Die Aktie des Medizinsoftware-Spezialisten ist tief gefallen. Die Gründe sind nachvollziehbar, die Wende ist aber in Sicht. 

Die Digitalisierung der Gesundheitsbranche ist ein Projekt, das zäh vorankommt und immer wieder stockt. Dabei liegt es nicht an Krankenhäusern, Arztpraxen oder Apotheken. Laut aktuellem e-Health-Monitor der Strategieberatung McKinsey sind 96 Prozent aller Arztpraxen sowie 99 Prozent der Apotheken — also nahezu flächendeckend — an sogenannte Telematiksysteme angeschlossen. Was allerdings nicht verwundert, weil Praxen und Krankenhäuser, die nicht teilnehmen, teils hohe Strafen bezahlen müssen. Es sei denn, sie behandeln lediglich Privatpatienten. Die Systeme vernetzen die Akteure im Gesundheitssektor untereinander, sollen die Kommunikation erleichtern und Patienten Arbeit und Papierkram ersparen. Bei ihnen ist allerdings die Akzeptanz noch gering: Weniger als ein Prozent nutzt bislang etwa die elektronische Patientenakte.

Führender Anbieter für Software in der Gesundheitsbranche in Deutschland ist Compugroup. Bei Tests landen die Produkte der Koblenzer regelmäßig auf den vorderen Rängen. Insgesamt haben sie 1,6 Millionen Nutzer, darunter Ärzte, Zahnärzte, Apotheken, Labore und Krankenhäuser. Vor allem zu den Hochzeiten der Pandemie war die Software im Dauereinsatz: Videosprechstunden waren stark nachgefragt. Daher kletterte auch der Aktienkurs zwischen März 2020 und November 2021 von knapp 50 auf 85 Euro. Doch seitdem geht es sukzessive bergab.

Darum ist das Comeback bei der Compugroup in Sicht

Was ist passiert? Vor allem operativ lief es im Jahr 2022 nicht so rund. Lange Zeit peilte das SDAX-Unternehmen auch für dieses Geschäftsjahr Rekordergebnisse an. Doch im Lauf des Jahres musste das Management die Prognosen zurücknehmen. So war das Unternehmen lange davon ausgegangen, dass der freie Mittelzufluss für das laufende Geschäftsjahr bei mehr als 100 Millionen Euro liegen soll. Ende Oktober kam dann die Kehrtwende. Nun sollen lediglich zwischen 40 und 70 Millionen Euro in die Kasse fließen. Was Anleger schockte, war vor allem, dass die noch im August erhöhte Prognose für das bereinigte operative Ergebnis zwischen 240 und 260 Millionen Euro um 20 Millionen Euro gekürzt wurde. Die Aktie ging auf Talfahrt und erreichte ein Zwischentief bei rund 36 Euro — so weit unten war der Kurs zuletzt im März 2016.

Aktuell geht es wieder etwas aufwärts, jedoch eher tröpfchenweise Insgesamt dürfte der Titel deutlich zu tief gefallen sein. Gut möglich, dass die Gewinnwarnung Ende Oktober auf Effekten beruht, die nicht direkt beim Unternehmen liegen. Größtenteils handelt es sich wohl um die verzögerte Auslieferung eines Upgrades für die Software PTV5. Die wichtige Anwendung für die Telematikinfrastruktur stellt verschiedenen Leistungserbringern relevante Gesundheitsdaten zur Verfügung. Mit einer Markteinführung wird nun für das erste Halbjahr 2023 gerechnet — und das sollte sich dann positiv auf das kommende Geschäftsjahr auswirken. Auch höhere Preise sollten sich durchsetzen lassen. Ab Januar 2023 will der Konzern etwa für sein Praxisverwaltungssystem CGM M1 Pro den Preis um neun Prozent anheben. Das Unternehmen führt die hohe Inflationsrate, steigende Energiekosten, Corona und den Krieg in der Ukraine als Gründe auf. Der Kurs könnte jedoch noch aus ganz anderen Gründe neue Impulse erhalten.

Schon in den vergangenen Jahren ist Compugroup durch Übernahmen stark gewachsen: Erst vor Kurzem kauften die Koblenzer einen 20-Prozent-Anteil am italienischen Unternehmen New Line. Bereits seit mehreren Jahren gibt es eine Kooperation zwischen den Firmen. Jetzt soll diese weiter ausgebaut werden. Rund um Daten im Gesundheitswesen wollen sich die Rheinländer zum führenden europäischen Unternehmen entwickeln. 

Compugroup – Neuer Konkurrent ante portas

Allerdings wird auch der Wettbewerb härter: So kündigte etwa das französische Start-up Doctolib an, stark auf den deutschen Markt vordringen zu wollen. Bislang ist es vor allem für seine Buchungen und Erinnerungen für Arzttermine bekannt. Künftig will Doctolib auch eine Verwaltungssoftware für Arztpraxen anbieten. Datenschutzrechtlich gerieten die Franzosen bereits in die Kritik. Bei Investoren scheint das noch keine Rolle zu spielen: In einer Finanzierungsrunde sammelte das Unternehmen bereits 500 Millionen Euro ein. Insgesamt wird der Wert auf rund sechs Milliarden taxiert. Die weitaus größere Compugroup kommt aktuell gerade Mal auf knapp zwei Milliarden Euro. Zudem sind die Deutschen hochprofitabel, Doktolib schreibt noch rote Zahlen. Selbst wenn die Trendwende im Aktienkurs nicht sofort glücken sollte, können sich Anleger bereits jetzt positionieren. An der Digitalisierung des Gesundheitssystems führt kein Weg vorbei, auch wenn es einige politische und wirtschaftliche Hindernisse zu überwinden gilt. Compugroup ist im Markt sehr gut aufgestellt und geht mutig voran. Selbst wenn das eine oder andere Projekt mal scheitern sollte, ist der Titel mittelfristig aussichtsreich. Nach den zuletzt schwächeren Zahlen muss das Softwarehaus allerdings in den kommenden Quartalsberichten zeigen, dass es sich um einen Ausrutscher handelte.