Der europäische Energiemarkt ist komplett außer Rand und Band geraten. Die EU plant nun Obergrenzen für Strom und gleichzeitig Abschöpfungen auf "Zufallsgewinne" der Stromproduzenten. Einige Aktien reagieren bereits mit satten Kursaufschlägen. BÖRSE ONLINE nennt Gewinner und Verlierer der Verwerfungen.

Der Strompreis an der Leipziger Strombörse EEX ist von seinen Extremkursen nahe 1.000 Euro pro Megawattstunde zwar deutlich zurückgekommen. Zuletzt wurden nach massiven Schwankungen Preise von gut 400 Euro bezahlt (siehe Chart). Doch damit liegt der Strompreis immer noch um ein Vierfaches über den Preisen, die noch vor 12 Monaten gezahlt wurden.

Strompreis (EEX, in Euro je Megawattstunde)
TradingEconomics
Strompreis (EEX, in Euro je Megawattstunde)

Nach einem Vorschlag aus der EU-Kommission könnten die Preise für nicht mittels Gas erzeugten Strom künftig auf 200 Euro pro Megawattstunde begrenzt werden. Summen, die darüber hinausgehen, sollen beispielsweise an Verbraucher umverteilt werden. Das geht aus einem ersten Entwurf für ein Gesetz hervor, das der dpa vorliegt. Die EU-Länder sollen die Mehreinnahmen demnach selbst einsammeln.

Die EU sucht nach einer Lösung, die die Preisobergrenze hoch genug ansetzt, um weitere Investitionen in nicht-gasbasierte Technologien nicht auszubremsen. Die genannte Obergrenze liegt etwa bei der Hälfte des gegenwärtigen Strompreises auf dem deutschen Großhandelsmarkt.

Energie-Aktien mit teils kräftigen Gewinnen

Die Diskussion über die überraschend hohe Preisgrenze für Strom in der Europäischen Union hat am Mittwoch bereits zu deutlichen Kursgewinnen bei einigen Versorger-Aktien geführt. Der Stoxx Europe 600 Utilities zog im Tagesverlauf fast vier Prozent an, bevor er wieder etwas zurückkam. An der DAX-Spitze schossen RWE-Aktien zwischenzeitlich rund elf Prozent nach oben und näherten sich damit ihrem 11-Jahres-Hoch bei 43,97 Euro aus dem Mai. E.on-Papiere gewannen hingegen nur unterdurchschnittlich hinzu.

Der Gesetzesentwurf bescherte auch dem Solar- und Windpark-Betreiber Encavis Kursgewinne von zehn Prozent und damit den ersten Platz im MDax. Die Aktien des von Gaslieferungen besonders abhängigen Uniper-Konzerns reduzierten nach einem weiteren Rekordtief bei 4,20 Euro ihren Verlust auf rund ein halbes Prozent. Am Donnerstag geben alle Vortagsgewinner wieder leicht nach.

Deutliche Zuwächse verzeichnete die österreichische Verbund-Aktie, die um über 13 Prozent zulegte. Die Anteile des Versorgers EVN verteuerten sich um 3,5 Prozent.

Analysten bewerten Preisobergrenze positiv

Analysten stuften die kolportierte Summe als überraschend hoch ein. Die Preisgrenze 200 Euro sieht der Goldman-Sachs-Experte Alberto Gandolfi "enorm positiv für die Branche, wenn sie sich bestätigt". Die meisten Pläne der Versorger kalkulierten laut dem Analysten aktuell mit rund 50 Euro je Megawattstunde. Gandolfi selbst hatte eine Preisgrenze von 75 Euro angesetzt.

Auch Analyst Ahmed Farman vom Investmenthaus Jefferies wertete die kolportierte Preisgrenze positiv für die Versorger. Allerdings müsse mehr getan werden, um das Problem der Energieknappheit anzugehen. Denn niedrigere Preise könnten dazu führen, dass weniger Energie gespart werde.

Etwas kritischer sieht den Vorschlag Börsenkenner Konstantin Oldenburger von CMC Markets: "Dass Unternehmen wie RWE und E.on diese Nachricht positiv aufnehmen, zeugt davon, dass der Markt von einer weitaus niedrigeren Obergrenze ausgegangen war und die Strompreise dadurch nicht merklich fallen sollten."

Gewinnabschöpfung bremst Euphorie

Außer der Preisobergrenze gibt es noch einen weiteren Aspekt. Denn die Gewinne von Produzenten, die Strom etwa aus Windkraft, Solar, Erdwärme oder Atomkraft herstellen, sollen abgeschöpft werden. Diese Abschöpfung von "Zufallsgewinnen", die einzig aus den extrem gestiegenen Strompreisen resultieren, stoßen in der Ökostrom-Branche auf Skepsis.

Zwar sei es richtig, dass sich die Regierung den Verwerfungen auf den Energiemärkten zuwende und Instrumente für eine Stabilisierung suche, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands Windenergie, Wolfram Axthelm, der dpa. Maßnahmen für diesen Winter dürften dabei aber nicht Probleme im folgenden Winter heraufbeschwören. Anreize für schnelle Investitionen in den Ausbau dürften nicht ausgebremst werden.

Italien, Spanien, Großbritannien und Ungarn haben die Zufallsgewinne in der Energie-Branche bereits auf unterschiedliche Weise abgeschöpft.

Energieminister beraten am Freitag

Am morgigen Freitag treffen sich die EU-Energieminister, um über die Vorschläge der EU-Kommission zur Abschöpfung übermäßiger Gewinne von Energiefirmen zu beraten. Die Vorschläge ähneln den Plänen der Bundesregierung, übermäßige Gewinne von Stromproduzenten abzuschöpfen.

Wenn nicht extreme Spekulationen den Strompreis in Europa beherrschen, wird dieser vor allem von teuren Gas-Kraftwerken bestimmt, die zur Stromproduktion genutzt werden. Andere Energiefirmen, die billiger Strom erzeugen, machen große Gewinne, weil sie ihren Strom auch zu dem höheren Preis verkaufen können.

Richtiges Augenmaß benötigt

"Es wird sehr darauf ankommen, die Rückführung von ungewollten Erträgen mit richtigen Augenmaß vorzunehmen", sagte Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig vom Bundesverband Solarwirtschaft. Es dürften dabei nicht ausgerechnet jene belastet werden, die man dringend brauche, um die fossile Energiekrise zu überwinden. "Entzieht man ihnen den Nährboden und die Planungssicherheit, dann werden sie im Ausland in Solar- und Windparks investieren, nicht aber in Deutschland."

Auch große Ökostrom-Player wie RWE wollen, dass kurzfristige Markteingriffe so gestaltet werden, "dass die Funktionsweise des Marktes und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen unter allen Umständen erhalten bleibt". Solche Markteingriffe müssten befristet werden, hatte RWE-Chef Markus Krebber erklärt.

Fazit

Eine hohe Strompreis-Obergrenze dürfte die Kurse aller Unternehmen stützen, die Strom nicht mittels Gas erzeugen – zumindest so lange, wie die Obergrenze gilt. Wenn sich die Hyper-Preisschwankungen am Strommarkt auf einem niedrigeren Niveau einpendeln, dürfte auch der Deckel wieder entfernt werden.

BÖRSE ONLINE meint: Auch auf Sicht darüber hinaus bleiben Aktien der Erneuerbaren Energien langfristig aussichtsreich. Werte wie Encavis, RWE und SMA Solar oder auch Neoen aus Frankreich oder Grenergy Renovables aus Spanien gehören ins Depot.