Ein einzelnes Fläschchen allein bewirkt wenig. Doch wie so oft: Die Masse macht es. Und schließlich kommt doch Erträgliches dabei heraus. Der Hersteller von Spezialverpackungen Gerresheimer will bis Ende 2021 insgesamt 1,2 Milliarden Injektionsfläschchen für die Abfüllung des Covid-19-Impfstoffs verkaufen. Den Düsseldorfern beschert dies eine Sonderkonjunktur, die so schnell nicht abebben dürfte. Vorstandschef Dietmar Siemssen hat bereits einige nennenswerte Bestellungen für das Jahr 2023 vorliegen.

Allein im ersten Halbjahr lieferten die Rheinländer 300 Millionen Fläschchen aus. Experten gehen davon aus, dass in diesem Jahr alle Hersteller zusammen bis zu sieben Milliarden Fläschchen verkaufen werden. Auch wenn der Umsatz an den Gesamterlösen noch relativ gering ist: Rund 20 Millionen Euro machen die Gläschen bei einem erwarteten Gesamterlös für das Jahr 2021 von rund 1,5 Milliarden Euro aus. Doch das Positive daran ist, dass der Markt aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter stark wachsen wird. Und hat man bei großen Kunden erst einmal einen Fuß in der Tür, können Folgeaufträge für andere Produkte winken. Denn nahezu alle Pharmaunternehmen stehen auf der Kundenliste von Gerresheimer. Zudem steht zu erwarten, dass dieser Umsatz mittelfristig deutlich nach oben klettern kann. Wie beim Grippeimpfstoff oder dem gegen Zeckenbisse ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Spritzen direkt mit dem Vakzin befüllt werden. Und hier hat Gerresheimer bereits viel Erfahrung.

Potenzial nach Kursenttäuschung

Den Großteil des Umsatzes erwirtschaftet der MDAX-Konzern mit Produkten aus Glas- und Kunststoff - von Arzneiflaschen für Hustensäfte und Behältern für die Kosmetikindustrie über Spritzensysteme bis hin zu Inhalatoren zur Dosierung von Medikamenten. Das Produktportfolio ist riesig. Und zuletzt lief das Geschäft auch gut: Zum Halbjahr stieg der Umsatz um fünf Prozent. Das bereinigte Ergebnis je Aktie legte im Vergleich zum Vorjahreshalbjahr organisch um 22,3 Prozent zu.

Wie an der Schnur gezogen, ging es vor der Bekanntgabe der Zahlen mit dem Aktienkurs bergauf. Doch trotz der eigentlich guten Ergebnisse wurde dieser Trend jäh beendet. Vor allem Befürchtungen über steigende Rohstoff- und Energiekosten verschreckten die Anleger. Über leichte Preiserhöhungen sollen diese künftig abgefedert werden. Ob sich das negativ auf den Absatz auswirken wird, bleibt abzuwarten. Auch monierten Investoren, dass der operative Cashflow im zweiten Halbjahresabschnitt unter dem des Vergleichsquartals im Vorjahr gelegen habe.

Und dennoch: Die Zahlen waren nicht so schlecht, wie der Kurssturz der Aktie den Anschein erweckt. Auch zahlreiche Analysten blieben bei ihren Kaufempfehlungen. Nach wie vor hält Gerresheimer sowohl an den Jahres- als auch an den mittelfristigen Zielen fest.

Nach teils schwierigen Zeiten ist Gerresheimer wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Im kommenden Jahr soll der Umsatz dann im hohen einstelligen Bereich zulegen. Auch BÖRSE ONLINE bleibt optimistisch.

 


INTERVIEW

"Impffläschchen sind ein nachhaltiger Trend"

Dietmar Siemssen ist seit November 2018 Vorstandschef des Spezialverpackungsherstellers Gerresheimer

Börse Online: Für Injektionsfläschchen wollen Sie Kapazitäten ausbauen. Um wie viel bis Ende 2022, wie viele Behältnisse werden für Covid-Impfstoffe verkauft?

Dietmar Siemssen: Wir investieren in Wachstum, das gilt auch für den Ausbau unserer Kapazitäten für Injektionsfläschchen. Einer der globalen Megatrends in Pharma und Healthcare ist der steigende Bedarf nach Medikamenten, die nicht oral eingenommen, sondern injiziert werden. Wir bauen derzeit unsere globalen Produktionskapazitäten für Injektionsfläschchen von drei auf mehr als vier Milliarden bis Ende 2022 aus. Wir gehen davon aus, dass wir dieses und nächstes Jahr davon jeweils mehr als 600 Millionen Stück für Covid-19-Impfstoff verkaufen werden.

Wie lange wird der Hype um die Impffläschchen anhalten?

Wir sehen ganz klar einen langfristigen Trend in der Nachfrage nach unseren Injektionsfläschchen. Aber nicht nur das: Auch der Bedarf an vorfüllbaren Glasspritzen steigt kontinuierlich. Das liegt an der grundsätzlich zunehmenden Nachfrage nach Vakzinen und auch an dem steigenden globalen Bedarf nach zu injizierenden Medikamenten.

Es gibt Spekulationen, dass Sie weitere Auftragsfertigungen wie etwa von GlaxoSmithKline gewinnen könnten. Was ist da dran?

Wir haben in den vergangenen 18 Monaten den besten Auftragseingang der Gerresheimer-Geschichte verzeichnet. Wir sind einer der größten Auftragsfertiger für Insulin-Pens, Inhalatoren und andere Medical Devices. Und für uns ist klar: Wir sehen weiterhin starkes Potenzial in diesem Geschäftsfeld.

Die hohen Investitionen in den weiteren Kapazitätsaufbau bereiten Anlegern etwas Sorge. Teilen Sie diese?

Nein, die teile ich nicht. Denn wir transformieren unser Unternehmen aktuell in ein Wachstumsunternehmen. Deswegen investieren wir kontinuierlich in Digitalisierung, Automatisierung, neue technische Lösungen und in Kapazitätserweiterungen. Für das laufende Geschäftsjahr sind wir auf bestem Wege, ein organisches Umsatzwachstum im mittleren einstelligen Prozentbereich zu erreichen. Bereits ab dem nächsten Geschäftsjahr wollen wir hohe einstellige Wachstumsraten erreichen.

Höhere Rohstoff- und Energiepreise drückten im zweiten Quartal das Ergebnis. Rechnen Sie in den Folgequartalen mit ähnlichen Auswirkungen?

Unsere Marktposition ermöglicht es uns, Steigerungen bei Rohstoff- und Energiepreisen an unsere Kunden weiterzugeben - teilweise geschieht dies jedoch zeitversetzt. Die Ergebniswirkung, die dieser zeitliche Versatz mit sich bringt, belief sich im zweiten Quartal des laufenden Geschäftsjahres auf einen kleinen einstelligen Millionenbetrag und ist damit gut zu managen. Insofern ist dies ein beherrschbares zeitliches Thema für uns.

Ihr drittes Geschäftsfeld, Advanced Technologies, schreibt noch rote Zahlen. Sehen Sie hier die größten Wachstumschancen und wann wird es schwarz?

Ja, wir sehen hier in der Tat signifikante Wachstums- und Entwicklungschancen für unser Unternehmen. Das Segment ist unser Nukleus für intelligente und vernetzte Produkte. Auf unserem Weg zum Lösungsanbieter werden wir zukünftig stärker eigene IP entwickeln und unseren Kunden eigene, smarte Devices anbieten. Bereits heute haben wir eine Mikropumpe zur Behandlung von Parkinson erfolgreich am Markt etabliert. Und wir arbeiten an weiteren, vielversprechenden Projekten, die mittel- bis langfristig zum Wachstum beitragen können.

Empfehlung: Kaufen