Schwankungen muss man aushalten - das ist der Schlüssel zur Aktienanlagestrategie von Börsenprofi Max Otte. Was das bedeutet, erfährt der gebürtige Westfale derzeit am eigenen Leib mit seinem Max Otte Vermögensbildungsfonds (siehe Kasten). Manche der Titel "tun jeden Tag weh, wenn man draufguckt", sagt er im Interview mit BÖRSE ONLINE. Trotzdem gibt es für ihn keine Alternative: Wenn sich die politische Lage stabilisiert, schießen die Kurse in die Höhe. Bei Weltwirtschaftskrisen oder gar Währungsreformen sichern Sachwerte wie Aktien das Vermögen trotz vorübergehender Verluste.

Der Jahreswechsel ist die Zeit der DAX-Prognosen für das neue Jahr. Wo sehen Sie den deutschen Leitindex zum Jahresende 2015?
Aufgrund der vielen Unsicherheiten kann ich für 2015 nur eine bedingte Prognose abgeben. Falls die politische Situation sich stabilisiert und es nicht zu einer Eskalation kommt, traue ich dem DAX bis zum Jahresende ein Potenzial von 11 000 bis 12 000 Punkten zu. Falls die Situation eskaliert, kann man nichts mehr sagen.

Von welcher Seite droht aus Ihrer Sicht am ehesten eine Eskalation?
Die Finanzkrise 2008 war im Grunde eine reine Finanzpanik, die mit viel Liquidität bekämpft wurde. Heute spielen dagegen viele Faktoren eine Rolle: Russland, Rohstoffe, eine schwächelnde Konjunktur in Europa, die neue Zuspitzung in Griechenland. Anstelle einer Panik haben wir viele chronische Krankheiten. Wir sehen die aggressive Haltung Amerikas gegenüber dem Rest der Welt. Es herrscht Endspielcharakter, die Situation kann jederzeit entgleisen.

Inwieweit werden die Verwerfungen an den Märkten künstlich beeinflusst?
Ich glaube, dass es den Amerikanern nicht unrecht ist, wenn es hier in Europa drunter und drüber geht. Die Auseinandersetzungen mit Russland schaden Europa unendlich. Es gibt meiner Meinung nach auf jeden Fall Situationen, die strategisch beeinflusst sind. Hier stecken wohl Interessen und Einflussnahme drin.

Auf Seite 2: Wo die größeren Risiken bestehen



Wo sehen Sie größere Risiken: am Aktien- oder am Anleihenmarkt?
Ehrlich gesagt, die größte Gefahr liegt in der Weltpolitik. Ich sehe zurzeit wirklich Kriegsgefahr. Anleihen sind in ihrer Substanz gefährdet. Und wenn die Politik des unendlichen Geldes irgendwann vor die Wand läuft, dann kriegt man sein Anleihengeld nicht mehr zurück - etwa wenn es Schuldenschnitte gibt. Die Aktien behält man trotz möglicher Kursrückgänge immer noch als Sachwert.

Weil Sie gerade die Politik des unendlichen Geldes ansprechen: Es wird damit gerechnet, dass die Europäische Zentralbank (EZB) demnächst ein groß angelegtes Staatsanleihenkaufprogramm startet. Welche Effekte wird dieses Programm auf die Märkte haben?
Ich erwarte, dass die EZB mit ihrem großen Anleihenkaufprogramm 2015 beginnen wird. Die Effekte werden aber anders als in Amerika nicht so ganz klar sein, weil wir hier eine andere Marktstruktur haben, die Anleihenmärkte sind nicht so tief. Es muss sich noch zeigen, wie so ein Anleihenkaufprogramm auf unseren Kreditmärkten wirkt, wo sich viele Unternehmen über Kredite finanzieren. Der Euro wird weiter unter Druck geraten.

Die Neuwahlen in Griechenland haben die Diskussion um ein Auseinanderfallen der Eurozone wieder entfacht, wenn auch nicht in der Schärfe wie vor drei Jahren. Wie sehen Sie die Zukunft des Euro?
Wenn es allein nach ökonomischer Vernunft ginge, müsste der Euro längst abgeschafft sein. Unsere politische Elite verteidigt diese Kunstwährung jedoch mit Klauen und Zähnen. Und wir haben auch genug Reserven, den Euro noch einige Jahre zu erhalten - so schnell wird uns der nicht auseinanderfallen. Aber die riesigen schädlichen Nebenwirkungen sehen wir jetzt schon, also Verwerfungen in der Wirtschaft, eine schrumpfende Mittelschicht, die Reichen werden reicher, die Armen dagegen ärmer. Der Süden Europas steckt in einer großen Wirtschaftskrise. Das ist alles Folge dieser wahnsinnigen Euro- Politik. In Europa kommt es zu einer Katastrophe, aber den Euro, den haben wir trotzdem weiter.

Eine Währungsreform erwarten Sie also nicht?
Nein, das geschieht eher schleichend. Aber die Ergebnisse sind am Ende dieselben. Die Kleinsparer sind gekniffen, sie werden schleichend enteignet, und keine etablierte politische Partei verliert auch nur ein Wort darüber. Und die schleichende Entwertung ist gefährlich für alles, was in Geld benannt wird: Lebensversicherungen, auch die Renten.

Auf Seite 3: Was das für die Anlagepolitik bedeutet



Wie wirkt sich der Hintergrund dieser ungemütlichen Szenarien auf die Anlagepolitik Ihrer Fonds aus?
Wir sind sehr stark in Aktien engagiert, auch in Gold, was in den vergangenen Monaten beides nicht so toll war. Wenn wir aus diesem politischen Schlamassel heil rauskommen, stehen wir mit Aktien sehr gut da. Wenn die Situation eskaliert, dann haben wir eine echte Weltwirtschaftskrise mit Schuldenschnitten und möglicherweise am Ende doch mit einer Geldreform. Für mich lautet deshalb das Fazit: Sachwerte statt Geldwerte, Immobilien in guten Lagen, Gold, Edelmetalle und selektiv Aktien.

Sie haben in Ihren Fonds zum Teil auch Werte wie den Goldkonzern Barrick Gold, den Rohstoffkonzern Vale und den Ölkonzern Statoil, die in den vergangenen Monaten teilweise um mehr als ein Drittel eingebrochen sind. Was machen Sie damit?
Das tut in der Tat jeden Tag weh, wenn man da draufguckt, da sieht man immer nur das große Minus. Das lässt sich aber nicht ändern, und es wäre schon ungeschickt, jetzt zu verkaufen. Irgendwann dreht es über Nacht, und man kriegt es gar nicht mit. Man muss zudem berücksichtigen, dass gerade Unternehmen wie Statoil und Vale stattliche Dividenden ausschütten. Diese Titel sollte man, sofern es keine Riesenpositionen im Depot sind, auch in den nächsten Jahren im Depot lassen, man wird ja fürs Warten bezahlt. Und am Ende gehen die Aktien wieder rauf - schließlich sind das Weltkonzerne mit gewaltigen Reserven, die werden nicht pleitegehen.

Welche Aktien haben Sie noch?
Wir haben auf der einen Seite Qualitätstitel wie Nestlé, Procter & Gamble, die alle nicht billig sind, aber eine langfristige Wertsteigerung ermöglichen. Und dann Aktien, die sehr billig sind, neben den Ölwerten etwa südeuropäische Aktien. Wenn sich die Lage stabilisieren sollte, schießen die 30 bis 50 Prozent in die Höhe. Aber wenn sich die Lage verschlimmert, sitzt man erst mal drauf.

Auf Seite 4: Die Mischung macht's


Wie sieht eine gute Depotstruktur aus?
Ich würde ein Mischung fahren: Im sicheren Feld etwa finde ich Werte wie Fuchs Petrolub und den Luxuskonzern Richemont nicht schlecht. Im mittleren Feld käme die Allianz oder die Münchener Rück in Frage. Und wenn man es etwas sportlicher mag, kann man im Goldminen- und Ölbereich zukaufen - Werte wie Total, Statoil, vielleicht sogar Gazprom.

Sie würden in Gazprom jetzt einsteigen?
Gazprom ist eine sehr billige, sehr gute Aktie, das ist schon eine heiße Kiste, aber zurzeit gibt es eben gewaltige politische Risiken in Russland. Wir haben in unserem Fonds seit Frühjahr, nach Ausbruch der Krise, fünf Prozent Russland-Aktien. Das macht derzeit keine Freude. Jetzt einzusteigen wäre hochspekulativ.

Und wie sehen Sie derzeit generell die Schwellenländer?
Gar nicht schlecht. Aktuell spricht niemand über die Schwellenländer, deshalb ist es vielleicht gerade interessant. Brasilien ist zurzeit recht billig, deshalb haben wir dort investiert. Russland ist wie gesagt eine Riesengeschichte. Aber wie weit das noch runtergeht, weiß keiner.

Was halten Sie von Banken? Kann man bei einzelnen Werten auf eine Erholung hoffen?
Das sind nach wie vor sehr spekulative Titel. Gerade bei den Banken gibt es viele Fragezeichen. Die starke Kurserholung kann kommen, oder sie kommt nicht. Ich würde zumindest ein Drittel in solide Langfristanlagen investieren. Bei einer Total-Aktie bekommen Sie beispielsweise im Jahr über fünf Prozent Dividende, das ergibt nach fünf Jahren mehr als 25 Prozent Rendite.

Auf Seite 5: Wie hoch Anleger momentan investieren sollten



Wie hoch sollte man derzeit grundsätzlich in Aktien investiert sein?
Das kommt darauf an. Man kann nur das investieren, was derzeit entbehrlich ist. Den norwegischen Staatsfonds kann man als gutes Beispiel nennen, der hat eine Aktienquote von 60 Prozent.

Sie haben Edelmetalle angesprochen. Was empfehlen Sie - Gold, Silber?
Ich würde schon in Gold anlegen, in Standardgoldmünzen wie den Krügerrand. Das hat man dann zu Hause oder dort, wo man rankommt. Es schafft eine gewisse Freiheit. Das ist quasi der Geldersatz für die große Krise, also auch eine Versicherung. Die bringt zwar keine Rendite, aber es könnte Situationen geben, in denen man sich wirklich freut, dass man sie hat.

Auf Seite 6: Investor-Info