Anfang 2012 überschlagen sich die Ereignisse in Europa. Nachdem Griechenland nur dank eines zweiten europäischen Hilfspakets und eines Schuldenschnitts haarscharf an einer Staatspleite vorbeigeschrammt ist, bedroht ein neues Problem den Kontinent: Viele Banken haben existenzgefährdende Risiken in ihren Büchern. Ohne Hilfe droht ein Zusammenbruch des europäischen Finanzsystems mit unabsehbaren Folgen. Die Renditen für Staatsanleihen einiger Peripherieländer steigen in den zweistelligen Bereich, weil Anleger die Papiere nur noch mit der Kneifzange anfassen. Lieber schaffen sie ihr Geld in Sicherheit - raus aus dem Euro. Innerhalb eines Jahres verliert die Gemeinschaftswährung fast 20 Prozent ihres Werts. Das Vertrauen in Banken, die Politik und den Euro - es ist weg.

"Whatever it takes" - was auch immer nötig ist: Es waren nur drei Worte, mit denen Mario Draghi vor zwei Jahren die Lage in Europa beruhigte. Bei einer Rede in London am 26. Juli 2012 kündigte der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) an, alles Erdenkliche zu unternehmen, um den Euro vor einem Zusammenbruch zu retten. Es war eine Kampfansage an Spekulanten, ein Hoffnungssignal für Investoren und der Wendepunkt in einer Krise, die den Kontinent an den Rand einer Katastrophe hat rutschen lassen.

Seine Worte zeigten Wirkung: Heute ist von einem Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung kaum noch die Rede. Die Krisenstaaten erholen sich und können sich wieder zu erträglichen Konditionen am Kapitalmarkt mit Geld versorgen. Dabei ist kaum eines der ursprünglichen Probleme der Länder gelöst. Das macht Europa weiterhin anfällig. Die Gefahr eines Wiederaufflammens der Eurokrise ist noch lange nicht gebannt.

Wie schnell die Unsicherheit zurückkehren kann, zeigt der Fall der portugiesischen Privatbank Banco Espírito Santo (BES). Berichte über Zahlungsprobleme der Bankiersfamilie hatten das Geldhaus unter Druck gesetzt. Die Sorgen, dass die Probleme auf andere Institute übergreifen könnten, ließ die Renditen für südeuropäische Staatspapiere steigen und schickte die Aktienmärkte auf Talfahrt.

Die Ansteckungsgefahr bei den Kreditinstituten ist indes gesunken. "Der Bankensektor ist weniger risikobehaftet als vor der Finanzkrise", sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Die Finanzhäuser hätten zusätzliche Kapitalpuffer geschaffen und könnten Krisen besser bewältigen - auch dank des EZB-Chefs. "Für sich genommen hat Mario Draghi mit seiner Rede keines der Probleme gelöst, die viele Länder damals hatten. Aber er hat dazu beigetragen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Länder ihre Schwierigkeiten in den Griff bekommen."

Das heißt vor allem: Die Regierungen haben Zeit, Wirtschafts- und Strukturreformen einzuleiten, ohne fürchten zu müssen, sich nicht mehr über den Kapitalmarkt mit Geld versorgen zu können. Dafür, das enthielt Draghis Äußerung, würde im Notfall die EZB sorgen. Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stellte der Italiener nur zwei Monate später ein Notfallprogramm vor, das den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen der Eurostaaten durch die EZB garantiert, wenn diese sich im Gegenzug der Kontrolle des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) unterwerfen.

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Der Wunsch nach Inflation

Der Deal machte als sogenannter Draghi-Put die Runde bei Anlegern: Wenn die EZB Staatsanleihen unsolider Emittenten um jeden Preis zurückkauft, dann sind die Papiere, deren hohe Verzinsung das nun geringe Ausfallrisiko mehr als ausgleicht, lukrative Investments. Die einst als riskant geltenden Papiere erfreuten sich plötzlich großer Beliebtheit. Die Nachfrage trieb die Kurse, und die Renditen fielen. Für eine zehnjährige spanische oder italienische Anleihe verlangten Anlegriechische weit über 20 Prozent. Mittlerweile pendeln die Renditen der erstgenannten Staaten bei rund drei Prozent, Griechenlands Papiere bieten etwa sechs Prozent. "Während die Risikoprämien für Anleihen der europäischen Krisenstaaten in der Schuldenkrise aus meiner Sicht zu hoch waren im Verhältnis zum Risiko, sind sie nun eher zu niedrig", sagt Hüther.

Tatsächlich gaukeln die Renditen eine heile Welt vor, die nicht existiert: Fast alle Euroländer haben heute mehr Schulden als noch vor zwei Jahren. Im Schnitt um zehn Prozent ist der Schuldenstand von Griechenland, Portugal, Spanien, Italien und Irland in den vergangenen zwei Jahren gestiegen. Die Zinslast, welche die Länder zu stemmen haben, ist also weiterhin hoch.

Neben eisernen Einsparungen, könnte Inflation die Schuldensituation verbessern: Denn steigen die Preise in der Eurozone, erhöht sich automatisch auch die Wirtschaftsleistung, während die Schulden entwertet würden. Was in der Theorie gut klingt, ist in der Praxis ein schwieriges Unterfangen. Obwohl die EZB ihre Geldpolitik in den vergangenen zwei Jahren weiter gelockert hat, fiel die Teuerungsrate von 2,5 Prozent 2012 auf derzeit 0,5 Prozent - 1,5 Prozentpunkte unter der Zielmarke der EZB. Spanien rutschte gar in die Deflation, ein Szenario, das die EZB für die Eurozone um jeden Preis verhindern will. Dabei war die Entwicklung zu erwarten: Die geringe Inflation ist die Folge von notwendigen Anpassungen etwa der Lohnstückkosten an das tatsächliche wirtschaftliche Niveau.

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Europas Firmen stehen besser da

Auch die in vielen Eurostaaten hohe Arbeitslosigkeit ist ein Grund dafür, dass die Preise auf demselben Niveau verharren: Wer kein Geld verdient, kann keines ausgeben. Und die Leute, die in Lohn und Brot stehen, horten ihr Vermögen lieber statt es zu investieren. Banken tun ein Übriges, um die Notenbankziele zu konterkarieren. Statt das so billig zur Verfügung gestellte EZB-Geld an Unternehmen weiterzureichen, investieren es die europäischen Geldhäuser lieber in die gut verzinsten südeuropäischen Staatsanleihen.

Dennoch hat sich die Situation der Firmen in den vergangenen zwei Jahren verbessert. "Viele Unternehmen haben die Krise genutzt, um ihre Bilanzen zu säubern und die Kostenstrukturen zu verbessern", sagt Nota Zagari, Managerin des ersten hierzulande investierbaren Griechenland-Aktienfonds, der Hellas Opportunites (ISIN: LU 092 084 132 6). Zudem seien Wettbewerber während der Krise verschwunden, was die Marktposition vieler Unternehmen verbessert habe. Probleme sieht sie eher bei der Politik: "Der langsame Fortschritt der europäischen Reformen zehrt an den künftigen Wachstumsraten."

Zwar nehmen einige Länder wie Portugal oder Irland die Forderungen nach Reformen sehr ernst, doch es gibt Ausnahmen. Frankreich etwa gilt mit seiner hohen Arbeitslosigkeit, der sinkenden Industrieproduktion und dem geringen Wirtschaftswachstum als neues Sorgenkind in Europa. "Die innenpolitischen Probleme Europas sind das viel höhere Risiko für die Wirtschaft als externe Schocks", so Wirtschaftsforscher Hüther. Krisen wie in der Ukraine oder in Nahost bringen die Märkte zwar in Aufruhr, aber meistens folgt nach dem Absturz ein relativ schneller Anstieg der Kurse.

Bekäme hingegen Frankreich ernsthafte finanzielle Probleme, dürfte das Europa bis ins Mark erschüttern. Nicht am Willen zu Reformen mangelt es Paris, sondern an der Fähigkeit, diese bei der Bevölkerung durchzusetzen. Wie müde die Franzosen von Europa sind, hat die Europawahl im Mai, bei der die Hälfte der Stimmen an europakritische Parteien ging, gezeigt. Draghis Worte vor zwei Jahren kamen an - bei Spekulanten, Investoren und Politikern. Aber eben nicht bei den Bürgern.

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