Ganze 19 Milliarden Dollar für eine Bude mit kaum mehr als 50 Mitarbeitern? 345 Millionen pro Kopf für eine Firma, die erst fünf Jahre alt ist? Teurer als Traditionskonzerne wie Lufthansa oder ThyssenKrupp? Als bekannt wurde, dass Facebook den Messengerdienst WhatsApp kauft, ging das Raunen binnen Minuten durch Deutschland und die ganze Welt. "Atemberaubend", lauteten die wohlwollenden Kommentare, "absurd" die skeptischen.

Doch der Milliardenkauf ist nur einer von vielen seit Jahresbeginn - wenn auch der spektakulärste. Weltweit hat der Markt für Übernahmen und Fusionen (M & A) an Fahrt aufgenommen: Im Januar schluckte Fiat Chrysler komplett, im Februar übernahm der US-Kabelnetzbetreiber Comcast Time Warner Cable, der Gesundheitskonzern McKesson kaufte den deutschen Medikamentenhändler Celesio, und der irische Pharmakonzern Actavis verleibte sich Forest Laboratories ein.

Allein von Jahresbeginn bis Ende Februar zählte das Analysehaus S & P Capital weltweit Deals im Wert von 429 Milliarden Dollar - ein Plus von über elf Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Und US-Investmentbanken bescherte das Geschäft mit Übernahmen und Fusionen im neuen Jahr bisher die höchsten Umsätze seit 2007. Viel spricht dafür, dass der globale M & A-Markt dieses Jahr auf das höchste Volumen seit der Finanzkrise 2008 anschwellen wird.

Auf Seite 2: Volle Kassen, billige Kredite

Volle Kassen, billige Kredite

Damals, nach dem jähen Absturz der Börsen, hielten viele Firmen ihr Pulver trocken: Sparen, schrumpfen, Schulden abbauen statt wachsen und zukaufen lautete die Devise. Doch mit der Erholung der Weltwirtschaft kehrt die Zuversicht zurück: Chart: Bloomberg/smallCharts Erst in den USA, wo das M & A-Geschäft schon seit Längerem anzieht, und nun im krisengeplagten Europa.

Nach einer Umfrage des Wirtschaftsprüfers Ernst & Young unter mehr als 1600 Topmanagern denken nur noch 17 Prozent der Unternehmen an Verkäufe, mehr als doppelt so viele wollen zukaufen. Sie alle profitieren von einer Spätfolge der Krise: Die Zinsen in Europa und den USA sind auf Rekordtiefs gefallen - und machen Kredite extrem billig. Zudem haben viele Firmen nach Jahren des Sparens enorme Barbestände angehäuft: Nach Daten der LBBW verfügen europäische Großunternehmen im Schnitt über Barmittel in Höhe von 2,2 Milliarden Euro, 2008 waren es nur 780 Millionen. Allein die DAX-Konzerne können auf 138 Milliarden Euro Cash zurückgreifen. Bei einer relativ niedrigen Verschuldung sind das optimale Bedingungen für Übernahmen.

Besonders viele Käufe gibt es in der Technologiebranche: Nirgendwo sonst ändern sich Geschäftsmodelle so schnell wie in der IT-Welt, wo Firmen binnen Jahren zu Weltmarktführern aufsteigen oder abstürzen können - was Konzerne wie Facebook zu Käufen zwingt, um nicht abgehängt zu werden. Auch Telekommunikationsfirmen sind besonders betroffen: Unter ihnen hat der beinharte Wettbewerb eine Konsolidierungswelle ausgelöst. So übernahm im Herbst Vodafone Kabel Deutschland, die Mobilfunkbetreiber O2 und E-Plus stehen vor der Fusion. Gerade Kabelfirmen werden im Kampf um schnelle Internetverbindungen zur Beute. Auch die Pharmabranche macht weiter Schlagzeilen: Erst am Mittwoch besiegelte Bayer den Kauf des norwegischen Krebsspezialisten Algeta.

Auf Seite 3: US -Firmen preschen voran

US -Firmen preschen voran

Innerhalb des M & A-Markts sind die Ungleichgewichte riesig: 2013 hatte Amerika einen Anteil von 40 Prozent und hängte Europa ab. Doch mit dem Ende der Rezession sollte der Kontinent aufholen. "Die Schuldenkrise ist im Bewusstsein der Finanzmärkte in den Hintergrund getreten", sagt Gerd Sievers, Partner bei der Strategieberatung Roland Berger. Daher würden wieder mehr Käufe von Finanzinvestoren in Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland erwartet. "Transaktionen mit Beteiligung von Private-Equity- Gesellschaften in Europa dürften 2014 verglichen mit dem Vorjahr weiter steigen und das M & A-Geschäft ankurbeln", so Sievers.

Deutsche Unternehmen halten sich mit Zukäufen eher zurück - obwohl sie in einer ähnlich guten Lage sind wie Firmen in Amerika. Alexander Gehrt, der das deutsche M & AGeschäft der UBS leitet, erklärt das mit schlechteren Finanzierungsbedingungen: "In den USA kommen Firmen im Prinzip so leicht an Geld wie vor der Finanzkrise." Während Investoren in Amerika Übernahmen und Fusionen als festen Bestandteil einer Wachstumsstrategie betrachteten, sei die Mentalität hierzulande außerdem konservativer. "Deutsche Unternehmen haben genug Barmittel und gute Bilanzen, sind aber mit Zukäufen grundsätzlich wählerischer und vorsichtiger. Sie setzen eher auf organisches Wachstum."

Auf Seite 4: Deutsche Firmen ziehen nach

Deutsche Firmen ziehen nach

Diese Skepsis könnten deutsche Firmen mit steigenden Aktienkursen wohl oder übel überwinden. Aus eigener Kraft werde es immer schwieriger, die den Bewertungen zugrunde liegenden hohen Erwartungen zu erfüllen oder sie zu übertreffen, meint Dirk Albersmeier, Leiter des deutschen M & A-Geschäfts bei J P Morgan. Er beobachtet einen klaren Stimmungswandel. Mit ähnlich spektakulären Deals wie in den USA rechnet er aber nicht. "Einige deutsche Firmen haben schlechte Erfahrungen mit großen, häufig relativ teuren Zukäufen gemacht, die zudem oft schwer zu integrieren waren." Daher liege der Fokus derzeit eher auf mittelgroßen Übernahmekandidaten, die gut zum bestehenden Geschäft passten.

Einige Konzerne dürften schon bald zuschlagen. Infineon etwa hat 2,3 Milliarden Euro Barmittel, was bei den Aktionären Begehrlichkeiten weckt. Der Immobilienverwalter Gagfah kündigte jüngst den Kauf von Wohnungsportfolios an, Henkel bezifferte den Spielraum für Akquisitionen auf über vier Milliarden Euro, und Fresenius zeigte sich diese Woche offen für Zukäufe.

Auch wenn ihre Pläne lange nicht an die Summen in den USA heranreichen dürften, ein Ranking führt eine deutsche Firma unangefochten an - wenn auch als Übernahmeziel: Beim teuersten Deal aller Zeiten zahlte Vodafone 1999 für Mannesmann 172 Milliarden Dollar. Dagegen wirken die 19 Milliarden für WhatsApp beinahe wie ein Taschengeld.

Auf Seite 5 bis 8: Investor-Info