Vor fast exakt einem Jahr gab André Stagge seinen Job als Portfoliomanager bei einer der größten deutschen Fondsgesellschaften auf, um Privatanlegern Börsenwissen zu vermitteln - als "Performance Coach", wie er es nennt. Seitdem ist er so etwas wie der Überflieger unter den Börsen-Coaches, viele seiner Schüler empfehlen die nicht ganz billige Ausbildung wärmstens weiter. Stagges Internet-Community gehören mittlerweile mehr als 500 Privatanleger an. Da der 36-Jährige auch viel Insiderwissen aus der Welt der institutionellen Investoren weitergibt, stoßen seine Aktivitäten in der Branche nicht auf ungeteilten Beifall.

Börse Online: Was hat Sie dazu bewogen, Ihren bestimmt nicht schlecht bezahlten Job im Fondsmanagement aufzugeben?
André Stagge:
Im Wesentlichen haben mich zwei Dinge angetrieben: Da ich schon während meiner Zeit im Portfoliomanagement regelmäßig als Referent bei Seminaren und Vorträgen im Einsatz war, habe ich entdeckt, dass mir das Thema finanzielle Erwachsenenbildung sehr am Herzen liegt. Der zweite Punkt war: Freiheit. Ich wollte privat mehr Freiheit, die Freiheit, auch auf eigene Rechnung zu traden, und - der wichtigste Punkt - mich von der EU-Regulatorik befreien. Durch Mifid-II und den ganzen Unsinn ist die Branche extrem vorsichtig geworden - zu vorsichtig: Niemand traut sich mehr was.

Die EU-Regulatorik hat Sie aus Ihrem Traumberuf verjagt?
Überspitzt dargestellt: Ja. Letztendlich werden nicht nur Privatanleger entmündigt, sondern auch Portfoliomanager. Damit nur ja niemand etwas Falsches sagt, schieben die Fondsgesellschaften die Verantwortung weg vom Einzelnen immer mehr in Richtung des Teamgedankens. Aber ich will für meine eigenen Entscheidungen geradestehen, für die Fehler wie auch die Erfolge. Performance-­Verantwortung kann man nicht teilen!

Und jetzt kämpfen Sie lieber gegen die Entmündigung der Privatanleger an?
Ja. Wenn man so will, ist es meine Mission, den Leuten zu erklären, dass sie etwas für ihre Altersvorsorge tun müssen - und wie sie es tun können. Mit bürokratischen Hemmnissen, Warnungen und Verboten werden wir die Altersarmut nicht überwinden.

Dass CFDs und binäre Optionen der richtige Weg gewesen wären, fürs Alter vorzusorgen, wollen Sie jetzt aber nicht behaupten, oder?

Ist ein Produkt schlecht, nur weil es oft falsch eingesetzt wird? Ich bin gegen jede Bevormundung von staatlicher Seite. Die Warnung der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA vor CFDs halte ich für falsch, ein Verbot wäre eine Katastrophe. Ich finde es zwar gut, dass die Nachschusspflicht weitgehend weggefallen ist. Aber CFDs ganz abzuschaffen, würde bedeuten, Privatanlegern ein Instrument wegzunehmen, mit dem man auch in fallenden Märkten Geld verdienen kann.

Ist es ein Fehler von Privatanlegern, zu sehr auf steigende Kurse zu setzen?
Es ist definitiv leichter, mit fallenden Kursen Geld zu verdienen, ganz einfach, weil es nach unten immer schneller geht. Ein Bärenmarkt ist ein Eldorado für Trader, weil die zunehmende Abwärtsdynamik Institutionelle zwingt, ihre Aktienquoten herunterzufahren. Trotzdem ist es kein Fehler von Privatanlegern. Auch erfahrene professionelle Anleger scheuen sich, auf fallende Kurse zu setzen.

Warum?
Es ist emotional schwierig, weil man sich damit ja gegen die Masse stellt, weil es etwas Verrufenes hat, und - last but not least - man im Studium lernt, dass die Märkte auf lange Sicht tendenziell eher steigen, was ja auch empirisch bewiesen ist. Man handelt also gegen das eigene Wissen. Aber es gibt eben Zeiten, in denen es bergab geht. Und ich fürchte, dass eine solche Phase vor uns liegt.

Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Das globale Wachstum ist zu schwach, um die derzeitigen Bewertungen - vor allem in den USA - zu rechtfertigen. Der Anleihemarkt ist eine einzige Blase, die Zentralbanken haben ihr Pulver verschossen, und das technische Bild überzeugt auch nicht gerade. Ich könnte mir vorstellen, dass der DAX in den nächsten zwei bis drei Jahren um mindestens 30 Prozent korrigiert. Auch die längste Hausse aller Zeiten geht irgendwann zu Ende.

Wie reagieren Sie in Ihrem privaten Portfolio darauf?
Genau so, wie ich es meiner Community auch empfehle: Ein paar Puts oder Short-Positionen zur Depotabsicherung können in den nächsten sechs bis zwölf Monaten nicht schaden. Und es gibt außer Aktien ja noch genügend andere Anlageklassen, in denen man Geld verdienen kann. Ich rate seit Jahren zu Gold und Silber, auch bei Währungen gibt es regelmäßig exzellente Chancen, und wer es gelernt hat, kann auch einfach auf steigende Zinsen und damit fallende Anleihekurse setzten. Und dann gibt es noch eine ganze Reihe profitabler Trading-Strategien und saisonaler Muster, die man ausnutzen kann.

Verraten Sie uns ein Beispiel?
Eine bewährte Strategie ist es, von Donnerstagabend bis Freitagabend sich im Goldmarkt zu engagieren, was gehebelt besonders profitabel ist. So profitieren wir vom "Friday Gold Rush", einer statistischen Anomalie.

Was machen Sie den Rest der Woche?
Ich unterrichte über 30 profitable Investment- und Trading-Strategien. Wer will, findet fast jeden Tag eine gute Chance an den Märkten. Eine sehr schöne Strategie ist auch der "Turn­around Tuesday". Aktienmärkte neigen am Montag oft zu übertriebener Schwäche. Man kann also am Montagabend direkt auf den Umschwung am Dienstag setzen und Aktien kaufen. Das funktioniert ziemlich häufig.

Haben Sie auch eine Idee für Anleger, die nicht jede Woche handeln wollen?
Viele sogar! Ein ausgeprägtes Saisonalitätsmuster zeigt die Krypotowährung Bitcoin. Der Kurs steigt fast jedes Jahr im vierten Quartal. Allerdings ist die statistische Basis nach neun Jahren nicht sehr ausgeprägt.

Das ist jetzt aber auch nicht unbedingt ein Tipp für die Altersvorsorge ...
Natürlich nicht. Der langfristige Ertrag kommt durchs Investieren. Als Einsteiger sollte man zunächst ein solides Fundament aufbauen, beispielsweise mit einem ETF-Sparplan. Die Strategien, über die wir hier sprechen, sind dann das Sahnehäubchen obendrauf. Trading darf sogar Spaß machen.

Tut es ja auch, solange man richtig liegt. Aber was, wenn der Markt gegen einen läuft?
Eine der Grundregeln für Trader lautet: Die ersten Verluste sind immer die kleinsten. Das heißt: Nicht zu lange an der eigenen Meinung festhalten, weil man glaubt, man sei klüger als der Markt. Auch ich muss heute noch meine Psyche regelmäßig austricksen.

Was fällt Ihnen besonders schwer?
Am Ende eines Handelstages Verluste zu realisieren. Sich konsequent an den eigenen Investmentprozess zu halten, kann auch ein Kampf gegen das Ego sein.

Und was macht am meisten Spaß?
Zu sehen, was innerhalb der Community wächst und gedeiht. Die Menschen tauschen sich untereinander aus, die Erfahrenen nehmen die Neueinsteiger an die Hand. Und ich persönlich habe das Gefühl, dass meine Arbeit eine ganz andere Wertschätzung erfährt als früher.