Vor allem Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner drohte beim Treffen mit ihren EU-Kollegen in Amsterdam Griechenland mit dem Ausschluss aus dem Schengen-Raum, falls die Regierung in Athen nicht mehr zum Schutz der EU-Außengrenze unternimmt und den Zustrom von Migranten eindämmt.

Rechtlich ist eine Verbannung des südosteuropäischen Landes aus dem Schengen-Raum nicht möglich. Für den EU-Rechtsexperten Urs Pötzsch vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg ist die aufkeimende Diskussion über einen "Schengen-Ausschluss" nur eine theoretische. Denn: "Ein Ausschluss ist als rechtliche Option nicht vorgesehen." Auch der Streit über den Verbleib Griechenlands im Euro-Raum wurde vor allem unter dem Schlagwort "Grexit" geführt, unabhängig von der rechtlich komplizierten Lage. Faktisch können die übrigen EU-Staaten aber Maßnahmen ergreifen, wodurch Griechenland noch stärker als bisher vom Rest des pass- und kontrollfreien Raumes abgekoppelt ist. Wie bei der "Grexit"-Diskussion gibt es also eine rechtliche und eine faktische Bewertung.

Auslöser der jüngsten Diskussionen ist der weiter ungebrochene Zustrom von Migranten aus der Türkei über die Ägäis in das EU-und Schengen-Land Griechenland. Von dort machen sich die meisten Menschen über die sogenannte Balkan-Route weiter auf den Weg Richtung Mitteleuropa. Fiele Griechenland faktisch als Schengen-Außengrenze weg, würde der Druck vor allem auf Ungarn und Slowenien lasten. Deshalb erhöhten nach diesen Ländern zuletzt auch Österreich und Schweden den Druck auf die Regierung in Athen.

Basis der aktuellen Diskussionen ist Artikel 26 des Schengener Grenzkodex von 2013. Damals einigten sich die EU-Staaten unter dem Eindruck der Umwälzungen im Arabischen Frühling auf eine Notfallklausel, durch welche die zeitlich befristete Wiedereinführung nationaler Grenzkontrollen für bis zu sechs Monate möglich ist. Diese Frist kann dreimal um jeweils sechs weitere Monate verlängert werden - also insgesamt für einen Zeitraum von zwei Jahren. Voraussetzung sind "außergewöhnliche Umstände, unter denen aufgrund schwerwiegender Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen (...) das Funktionieren des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen insgesamt gefährdet ist". Zudem müssten die Umstände eine "ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit" darstellen.

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GRIECHENLAND LIEGT BEREITS JENSEITS DER SCHENGEN-GRENZEN



Mit Blick auf Griechenland ist eine weitere Passage des Artikels 26 von ebenso großer Bedeutung: So kann der EU-Rat als Vertretung der Mitgliedsländer ein oder mehreren Staaten als "letztes Mittel" den Beschluss empfehlen, "an allen oder bestimmten Abschnitten ihrer Binnengrenzen Kontrollen wieder einzuführen". Das bedeutet: Andere EU-Länder können alle einreisenden Personen sowie eingeführte Waren beispielsweise aus Griechenland überprüfen. Faktisch wäre das die - zunächst zeitlich befristete - Verlegung der Schengen-Außengrenzen Richtung Mitteleuropa, wie sie die österreichische Ministerin Mikl-Leitner bereits angedroht hat.

CEP-Experte Pötzsch gibt allerdings zu bedenken, dass Griechenland de facto bereits jetzt außerhalb des Schengen-Raums liegt, da es keine Landgrenze mit einem anderen Staat des grenzfreien Raums besitzt. So gehören die Nachbarländer Mazedonien, Albanien und die Türkei weder zur EU noch zu Schengen, während das EU-Land Bulgarien bisher nicht die Voraussetzungen für die Aufnahme in den pass- und kontrollfreien Raum erfüllt. Passkontrollen würden zunächst also vor allem an Flughäfen und in italienischen Häfen für Personen spürbar werden, die aus Griechenland einreisen.

Prognosen, was Kontrollen und längere Wartezeiten für die ohnehin schon angeschlagene griechische Wirtschaft bedeuten, liegen bisher nicht vor. Wartezeiten für griechische Schiffe an Schengen-Häfen etwa würden sich deutlich verlängern. Gleiches gilt für Lastwagen. EU-Kommission und deutsche Wirtschaftsverbände warnten aber bereits allgemein vor den immensen Kosten, die durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen entstehen könnten.

Darüber hinaus besteht für Griechenland die Gefahr eines Rückstaus von Flüchtlingen auf dem gesamten Westbalkan, wenn Slowenien, Österreich und Ungarn ihre Grenzen für Migranten komplett dichtmachen sollten. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sprach in diesem Zusammenhang davon, den "Leidensdruck" so zu erhöhen, dass die Regierung in Athen mehr Anstrengungen zum Schutz der EU-Außengrenze unternimmt. In Brüssel und Berlin fürchtet man allerdings eher, dass eine solche Maßnahme eine ohnehin schon politisch unruhige Region weiter destabilisiert.

Auch wenn es also keinen EU-Beschluss über einen Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum geben wird, könnten andere EU-Länder durch die Beibehaltung oder Verschärfung von Grenzkontrollen Fakten schaffen, die weitreichende Folgen für Griechenland hätten. Die Gefahr einer ähnlichen Kettenreaktion gab es für die Athener Regierung schon im Frühsommer vorigen Jahres: Damals gab es Forderungen, die Europäische Zentralbank solle ihre Nothilfen für griechische Institute einstellen, wodurch den Hellas-Banken das Geld ausgegangen wäre und eine Parallelwährung zum Euro hätte eingeführt werden müssen. Es wäre der "Grexit"-Fall gewesen, der nach EU-Recht nicht möglich sein sollte.

Reuters