von Robert Halver

Wir befinden uns wie Kolumbus bei der Entdeckung Amerikas auf anlagetechnisch unbekanntem Terrain. Die Aktienmärkte haben sich wie sein Schiff Santa Maria zu neuen Welten und die Zinsmärkte zu neuen Ufern aufgemacht. Überhaupt, was für eine neue, schöne Finanzwelt: Angesichts völlig überschuldeter Staaten und Stabilitätskulturen, die ausgelutscht wie Leckmuscheln sind, kurz bevor die Zunge auf Plastik trifft, müssten die Anleger eigentlich Valium schlucken wie Tic Tac. Aber schaut man auf die Renditen spanischer, italienischer oder portugiesischer Staatsanleihen, die wie Schnee im Frühjahr schmelzen, muss man den Eindruck gewinnen, dass die Euro-Krise z.B. nur ein böser Alptraum gewesen ist.

In der Traumfabrik unserer Finanzwelt - der Geldpolitik - werden heutzutage offenbar nur noch die süßesten Träume verkauft. Eigentlich ist jeden Tag so etwas wie Weihnachten, oder?

Was ist heute noch normal?

Für so manchen Finanzmarkt-Propheten ist das zu viel Lametta. Als apokalyptische Reiter warnen sie vor einem großen Aktiencrash in diesem Jahr. Die Liquiditätshausse sei außer Rand und Band, heiß gelaufen, ja sogar krank und Aktien mittlerweile jenseits von Gut und Böse bewertet.

Ja, unter normalen Bedingungen hätten sie sogar recht. Denn würde heutzutage noch Geldpolitik im Geist der stabilitätsorientierten Bundesbank betrieben, hätten wir es längst mit Liquiditätsdrogenentzug und dem Zurückdrehen der Zinsschraube zu tun. Die Liquiditätshausse mit ihrer sportlichen Bewertung würde die geldpolitische Knute nicht lange überleben.

Allerdings wäre die Gefahr dann unkalkulierbar groß, dass Kind mit dem Liquiditäts-Bade auszuschütten. Stellen Sie sich vor, dass über eine geldpolitische Konterrevolution die aktuell gute Stimmung kippt. Diesen Fehler hat die Fed zu Zeiten der Immobilienblase schon einmal gemacht. Sie hatte 1994 begonnen, ihre für damalige Verhältnisse dramatisch niedrigen Notenbankzinsen von einem bis Frühjahr 2006 auf 5,25 Prozent zu erhöhen. Das überlebt keine Blase. Und anschließend hat die geplatzte Immobilienblase ganze Arbeit geleistet und auch noch die Weltwirtschaft ruiniert. Zur Krisenbewältigung mussten danach die Fed-Zinsen auf ein noch tieferes Niveau als bis 1994 gesenkt werden. Und obwohl seit Ende 2008 der US-Notenbankzins bei historisch niedrigen 0,25 Prozent liegt, läuft es bis heute weltkonjunkturell nicht wieder rund.

Heute scheut ein gebranntes Notenbank-Kind das Feuer. Noch einmal wird die Fed die Liquiditätshausse nicht dem geldpolitischen Rasenmäher aussetzen, um als Zugabe womöglich eine neue Deflation der Weltwirtschaft wie 2009 heraufzubeschwören.

Mario Draghi ist von Kopf bis Fuß auf Aufschwung eingestellt

Und die EZB? Zwar hat sich die Stimmung in der euroländischen Industrie tatsächlich deutlich aufgehellt. Jedoch hat sie sich bis dato noch nicht in wirklich verbesserten harten Fundamentaldaten niedergeschlagen. Daher will man sich seitens der EZB so lange in geldpolitischer Üppigkeit üben, bis Finanzmärkte, Bank- und natürlich Realwirtschaft glasklare Erholungszeichen zeigen. Aber selbst wenn wir dort angekommen sind, wird Mario Draghi der Euro-Finanzwelt immer noch Nachschläge aus der Gulaschkanone der Liquidität verpassen, um die Nachhaltigkeit der Krisenbewältigung zu garantieren. Geldpolitische Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste geworden. Ein neues Annus Horribilis wie 2009? Nicht mit der EZB!

Insgesamt ist die Liquiditätshausse lebendig wie ein junges Reh. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie auch noch heute, morgen und übermorgen. Vergessen wir aber auch nicht, dass den Aktienmärkten die immer größere konjunkturelle Phantasie zugute kommt. Damit bekommt die Liquiditätshausse zunehmend Fleisch am Knochen.

So ist es mit Aktien wie mit Hessen, wenn man von Hamburg nach München reist: Man kommt nicht daran vorbei. An dieser Einschätzung ändern auch zwischenzeitliche Konsolidierungen nichts. Ihnen begegnet man mit regelmäßig bestückten Aktiensparplänen, die für mich ohnehin ein Königsweg in der Anlagestrategie, vor allem der Altersvorsorge sind.

Selbst wenn sich die Aktienmärkte in unbekanntem Terrain befinden, sollten die apokalyptischen Reiter ihre Aktiencrash-Prognosen noch einmal überdenken. Ansonsten drohen sie vom Pferd zu fallen.