von Axel Retz

Sie hoffen darauf, dass "Super-Mario" Draghi nicht nur erneut an der Zinsschraube drehen, sondern auch massiv Anleihen kaufen wird. Staatsfinanzierung also, was die EZB nicht darf. Aber welche bei der Inthronisierung des Euro zum "Schutz" der Währung etablierte Regel wäre bis jetzt nicht gebrochen worden? Der Euro, dessen Beliebtheit in den Währungsreserven der großen Notenbanken aus gutem Grund rückläufig ist, ist auch eine Währung, aber er ist noch etwas gang anderes: Hauptsächlich ist er ein Dogma. Und wehe dem, der ihm die Gefolgschaft versagt.

Der Rücktritt der französischen Regierung am Montag könnte das ändern, auch wenn sich Staatspräsident Hollande auf die vorrangig von Wirtschaftsminister Montebourg vorgetragene Kritik an der vor allem von Deutschland vorgetragenen Austeritätspolitik gar nicht erst einlassen wollte.

Der Gescholtene hatte am Montag gesagt: "Die ganze Welt drängt, ja bettelt geradezu darum, dass wir die absurde Sparpolitik, die die Eurozone in eine Rezession oder sogar Deflation drückt, endlich beenden. [...] Deshalb ist es erforderlich, den intellektuellen und politischen Mut aufzubringen, um festzustellen, dass Sparmaßnahmen die Defizite verstärken statt sie wie gewollt zu verringern."

Natürlich geht auch Herrn Montebourgs Kritik am eigentlichen Thema vorbei, aber selbst das kann einen heute schon den Kopf kosten. Anders als früher und/ oder anderorten nur politisch. Und das, obwohl es ja nur weniger als die halbe Wahrheit war. Wie sich das Spardiktat der sgn. Troika auf die von ihr heimgesuchten Staaten auswirkt, ist wie aktuell am Beispiel Portugals nur noch dank massiver statistischer Tricks zu verschleiern. Tricks, derer sich die USA, China und die BRD längst bedienen.

Schwerer wiegt - und das hat Frankreichs Ex-Wirtschaftsminister für sich behalten - dass es genau die derzeitige EZB-Politik ist, die den Wahnsinn immer weiter befeuert. Renditen auf Staatsanleihen von faktischen Pleitestaaten zwischen zwei und drei Prozent bewirken was? Dass die Staaten Reformen einleiten? Ihre Schuldenaufnahme reduzieren? Das Gegenteil, natürlich. Sie bewirken, dass sich die klammen Kandidaten Europas immer billiger neu verschulden können und damit ihre Verpflichtungen erhöhen statt sie zurückzuführen. Und wer den Disziplinierungseffekt höherer Zinsen einfach aushebelt, der leistet dieser Entwicklung Vorschub.

Das Ergebnis dieser von "Super-Mario" betriebenen Politik: Die Schulden der Euro-Staaten haben einen neuen Rekordstand erreicht. Ich will es einmal auf einen einfachen Nenner bringen: Aus diesem Zinsrausch werden die Anleger nicht mit einem Kater aufwachen. Dieses Katzentier wird "etwas" größer sein. Und auch nicht schnurren. Schon einmal gar nicht für die Eigner "sicherer" Staatsanleihen.

Auf Seite 2: Puzzle in Schwarz-Weiß

PUZZLE IN SCHWARZ-WEIß

Einige wenige Worte der Bundeskanzlerin waren es, die die Börsen wieder in Fahrt brachten: Man dürfe "Russland nicht beschädigen", hatte Frau Merkel am Wochenende im ARD-Sommer-Interview gesagt. Und das war leider seit Langem das erste vernünftige Wort zur Ukraine-Krise, das aus Politik und Medien zu vernehmen war. Überhaupt, das muss einmal gesagt werden, macht unsere Kanzlerin im besagten Konflikt eine recht gute Figur. Wie nachhaltig die neue Rallye sein wird, hängt indes von der "Notenbank-Phantasie" der Anleger ab. Denn an negativen Perspektiven mangelt es beileibe nicht.

So ließen die den Absturz von MH17 untersuchenden niederländischen Behörden am Wochenende wissen, dass man derzeit bei der "Prüfung verschiedener Konzepte" des nun endlich Anfang September zur Veröffentlichung anstehenden Untersuchungsergebnisses sei. Verschiedene Konzepte? Haben wir das richtig verstanden? Das bedeutet: Entweder liegt hier ein peinlicher Übersetzungsfehler vor oder die Untersuchungsbehörde stellt auf relativ unverblümte Art und Weise fest, dass sie von verschiedenen Seiten unter Druck gesetzt wird, ein ganz bestimmtes Ergebnis zu präsentieren. Der vermutliche Abschuss des Linienfliegers ist schlimm genug, was aber jetzt abzulaufen scheint, schlägt dem Fass den Boden aus.

In Portugal, das sich mittlerweile wieder unter dem Rettungsschirm hervorgewagt hat, stiegen die Netto-Auslandsschulden im zweiten Quartal auf 206,055 Mrd. Euro, was 123,2 Prozent des BIP entsprach und damit einen neuen Rekordwert aufstellte. Deutschlands Exporte nach Russland fielen in den ersten sechs Monaten des Jahres gegenüber dem Vorjahresvergleichszeitraum um 15,5 Prozent. Und das, wohlgemerkt, noch vor Inkrafttreten der letzten Sanktionsmaßnahmen. Italien ist zurück in der Rezession, während Frankreichs Wirtschaftspolitik einem Tollhaus gleicht. All das dürfte mit dazu beigetragen haben, dass der Ifo-Geschäftsklima-Index im August zum vierten Mal in Folge fiel. Und was macht Europas Sorgenkind Nr. 1, Griechenland?

Quelle: www.querschuesse.de

Dort lagen die Brutto-Schulden der Zentralregierung im zweiten Quartal bei gut 322 Mrd. Euro. Gegenüber den Vorquartalen zeigt sich damit nur eine minimale Erhöhung, von einem Schuldenabbau kann jedoch überhaupt nicht die Rede sein. Athen ist und bleibt damit ein Fass ohne Boden.

Die Anleger schauen an diesen Themen derzeit lieber vorbei. Und ob sie am Freitag um 11:00 Uhr zittern oder jubeln werden, ist noch offen. Denn dann kommen die neuen Zahlen zur Inflation im Euroraum heraus. Im Juli war die Teuerungsrate auf 0,4 Prozent gefallen. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte gehen für August von einem weiteren Rückgang auf 0,3 Prozent aus. Und damit sind wir dann wirklich nur noch einen Steinwurf vom deflationären Umfeld entfernt. Genau das macht den Anlegern Mut, gehen sie doch davon aus, dass die EZB weitere Zinsmaßnahmen ergreifen wird. Schön und gut. Aber: Im Juli 2007 hatte die Inflation in Euroland bei 4,10 Prozent gelegen. Kurz danach setzte die EZB mit ihren Zinssenkungen ein, die den Leitzins von 4,25 auf jetzt 0,15 Prozent drückten. Und? Parallel dazu sank die Teuerungsrate von 4,10 auf 0,4 Prozent. Wie naiv muss man eigentlich sein, sich von einer Zinssenkung auf 0,00 Prozent jetzt einen positiven Effekt zu erhoffen? Die Deflation wird kommen. Den Grund dafür hatte der nun aus dem Amt geschiedene französische Wirtschaftsminister ja kurz und knapp auf den Punkt gebracht (s. o.).

Auf Seite 3: Apple: Klare Marke

APPLE: KLARE MARKE

Wie auf einer Satire-Seite im Netz kürzlich zu lesen war, haben Anthropologen im südamerikanischen Urwald unlängst einen Stamm entdeckt, der noch mit dem iPhone 3 telefoniert. Ein durchaus ins Schwarze treffender Gag. "Von meinem iPhone gesendet" stellt nach wie vor für viele Zeitgenossen so etwas wie ein Statussymbol dar. Und genau am Aufrechterhalten dieser Denkschiene entscheiden sich Erfolg und Misserfolg der Kultmarke. Was für die Börse zählt, ist daneben aber auch noch etwas anderes.

Quelle: www.private-profits.de

Nach dem Kapitalschnitt von 1:7, der die Aktie optisch verbilligen und damit auch für Kleinanleger erschwinglicher machen sollte, ist der Kurs nun auf ein neues Allzeithoch gestiegen. Aber sehen Sie sich in diesem Chart auch einmal die Umsätze an! Beim Ausbruch auf ein neues Hoch, das noch dazu mit der psychologisch wichtigen 100er-Marke zusammenfällt, hätten wir uns ein wenig mehr erwartet. Wer dem ganzen Notenbank-Hype misstraut, sollte einfach einmal über einen eng abgestoppten Put-Kauf unterhalb von 99 oder 98 US-Dollar nachdenken. Ich zumindest setze das für Secretz (www.secretz.de) auf meine Watchlist!

Auf Seite 4: Volkswagen: Neue Aktie Gelb

VOLKSWAGEN: NEUE AKTIE GELB

Dass sich deutsche Unternehmen im kommunistisch-kapitalistischen Wunderland China immer breiter aufstellen, ist nachvollziehbar. Ob man in den Chefetagen dieser Firmen aber auch mitbekommt, was sich im Reich der Mitte gerade bewegt, ist fraglich. Klar ist, dass die offiziellen Daten kaum eine bessere Qualität haben dürften als die etwa der USA. Und die sind ja nun schon einmal mehr als "grenzwertig", gemessen am Kriterium der Wahrheit.

Chinas offizielle Daten der letzten Wochen jedoch sind zutiefst Besorgnis erregend. Was wir hier vor uns haben, ähnelt durchaus dem Bild der USA vom Sommer 2007: Die Kreditvergabe hat zu klemmen begonnen, der Immobilienmarkt ist völlig überhitzt. Chinas derzeit höchstes Gebäude, der Anfang 2015 bezugsfertige "Shanghai Tower", bietet sage und schreibe 22.000 Quadratmeter vermietbarer Fläche an. Vermietet wurden davon bis jetzt null Quadratmeter. Spätestens das sollte für deutsche Unternehmen so etwas wie einen Weckruf bedeuten.

Die deutsche Automobil-Industrie, derzeit von Peking berechtigterweise wegen völlig abstruser Ersatzteilpreise angegangen, hat sich in China bis Unterlippe Oberkante engagiert. Was aber, wenn der Wirtschaftsboom abebbt?

Quelle: www. private-profits.de

Treffen würde das vor allem Marken, die eben nicht im "immer gehenden" Hochpreissegment unterwegs sind. Volkswagen beispielsweise. Charttechnisch hat die Aktie einen ersten Pfeil im Genick: Der seit Frühjahr 2009 etablierte Aufwärtstrend wurde gebrochen. Und auch der auf Wochenbasis eingestellte Trendfolge-Indikator MACD ist eindeutig negativ. Ich meine: Wer auf etwas Schönes zum "Einputten" wartet, sollte sich bei VW unterhalb des letzten Zwischentiefs den Zugriff erlauben. In private-profits (www.private-profits.de) erfolgte der Switch auf Short übrigens bereits bei 192,75 Euro. Die Trefferquote für die 30 DAX-Titel lag per gestern bei 76,67 Prozent. Und das war definitiv unterhalb unseres diesjährigen Durchschnitts.

Viel Erfolg und beste Grüße,

Axel Retz

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal www.private-profits.de.