Wie heißt es in der Börsianersprache so schön? "Ein Tief ist ein Ereignis, ein Hoch dagegen eine Entwicklung." Oder etwas genauer gesagt: Ein Tiefpunkt wird am Aktienmarkt dann erreicht, wenn so richtig Panik einsetzt. Im Gegensatz dazu formt sich ein Top oft über längere Zeit, wenn eine ganze Menge an Zutaten zusammentreffen. So was kann dauern und ist auch weitaus schwieriger auszumachen als ein Paniktief.

Über die zurückliegenden Wochen war der Grundtenor an dieser Stelle, dass das Top vermutlich noch nicht erreicht wurde. Bei dieser Einschätzung bleibt es zunächst auch. Allerdings läuft die Rally wohl doch so langsam, aber sicher aus. Die eine oder andere Zutat stimmt nämlich nachdenklich.

So scheint sich am Markt doch so etwas wie Sorglosigkeit breitzumachen. Aus den USA etwa wird berichtet, dass es Anfragen bei Brokern gäbe, ob es denn nicht eine tolle Idee sei, Geld im Dow oder S&P zu "parken" - da die Kurse ja anscheinend nie fielen. Aktien als Festgeld! Sensationelle Idee.

Gleichzeitig feiern die Discount- und Onlinebroker immer neue Rekorde, was die Zahl neu eröffneter Konten angeht. Was vielleicht auch daran liegt, dass Unternehmen wie E-Trade Depots mit Videospots bewerben, deren Ästhetik sich in "Gier ist geil"-Aussagen erschöpft (wer will, kann das bei Youtube bewundern).

Mark Hulbert vom Börsenbeobachter "Money Watch" fasst diese Euphorie mit dem schönen Begriff "Kid’s Market" zusammen - in Anlehnung an das großartige Börsenbuch "The Money Game". Hulbert findet, dass im aktuellen Börsenumfeld jene Trader und Berater das meiste Geld machen, die zu jung sind, um sich an den jüngsten der zurückliegenden Bärenmärkte zu erinnern. Also all die Hochschulabgänger, die während der Finanzkrise 2008 noch in der Highschool saßen oder vielleicht gerade mit dem Studium begannen. Klar, dass diese Kids eine ganz andere Sensibilität haben, was das Risiko eines Abschwungs angeht, als die älteren, erfahreneren Anleger und Broker.

Dass da was dran ist, zeigt auch eine aktuelle Umfrage, nach der die Millenial-Generation weit optimistischer ist als etwa die Generation X oder die noch älteren. Und auch dass die Cashbestände in den USA aktuell so niedrig sind wie seit 17 Jahren nicht mehr, ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Faktor Risiko wenig oder gar nicht beachtet wird.

Das gilt sogar für den internationalen Anleihemarkt, wo etwa Argentinien ohne Mühe eine 100-jährige Anleihe platzieren konnte. Das Pleiteland Argentinien! Auch einem riskanten Wachstumswert wie Netflix wurden Anleihen buchstäblich aus den Händen gerissen. Und das bei einem Kupon von nur 3,625 Prozent. Mit Verlaub: Da stimmt doch was nicht.

Die Krux an der Geschichte ist aber nun die, dass so ein "Kid’s Market" länger anhalten kann, als man sich das vielleicht vorstellen mag. Gerade auch weil es neben all den nachdenklich stimmenden Aspekten doch auch Positives gibt. Wir erinnern uns: Ein Top ist eine Entwicklung. Denn trotz der Anzeichen einer beginnenden Euphorie und besagter Sorglosigkeit am Markt ist es schlicht auch so, dass das Wirtschaftswachstum bisher stark genug ist, um die Unternehmensgewinne anzukurbeln, aber zahm genug, dass die Inflation nicht sprunghaft ansteigt. Bisher zumindest. Die Kids haben also derzeit gut lachen, wer bisher zu vorsichtig war, dürfte sich dagegen ärgern.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com