von Robert Halver
Bislang zeigt der DAX kaum besondere Dynamik. Böse Zungen behaupten sogar, er sei langweilig. Im Vergleich zum Jahresanfang tritt er ungefähr auf der Stelle. Seine stabile Seitenlage zwischen 9200 und Allzeithoch bei knapp 9800 Punkten scheint der DAX nicht verlassen zu wollen. In diesem Seitwärtstrend kämpfen Bullen und Bären darum, ob der DAX nach oben oder unten ausbrechen wird. Ohne Zweifel haben die Bären gute Argumente:

Auf Seite 2: Die Argumente der Bären

1. Wie lang sind die Beine der politischen Börse?

Im Extremfall könnten bei einer Eskalation der Ukraine-Krise zwei Jahrzehnte erfolgreiche West-Ost-Entspannungspolitik das Zeitliche segnen. Der Westen, allen voran Industrie- und Aktien-Deutschland, würde dann den Konjunktur-Alptraum von 2009 erneut real erleben. Die Börse geht zwar davon aus, dass das diplomatische Glas noch halb voll ist. Aber wer vermag schon einzuschätzen, ob und wann der point of no return erreicht ist, ab dem die Diplomatie versagt.

2. Aktienkurse sind schneller gestiegen als Gewinne

Historisch betrachtet verteilen die Aktienmärkte regelmäßig Vorschusslorbeeren auf spätere Gewinnerholungen. So haben Kurssteigerungen schon im Frühjahr 2009 das robuste Ertragswachstum der Unternehmen ab 2010 vorweggenommen. Im jetzigen Szenario allerdings bleiben die Gewinnsteigerungen trotz positiver Frühindikatoren schon sehr lange sehr deutlich hinter der bereits seit Mitte 2012 laufenden Aktienhausse zurück.

Folglich hat neben der Substanz- vor allem die Ertragsbewertung gemäß Kurs-Gewinn-Verhältnis luftige Höhen erreicht. Lag das deutsche KGV 2012 bei knapp neun, liegen wir heute bei knapp 13.

3. M & A - Fluch oder Segen?

Das wieder angelaufene Übernahme- und Fusionsfieber ist ein besonders schmackhaftes Salz in der Börsen-Suppe. Erfahrene Börsen-Hasen verweisen jedoch darauf, dass in der Vergangenheit üppige M&A-Geschäfte gerne das Ende der Happy Hour an den Aktienmärkten eingeläutet haben. So wurde in der Endphase des Neuen Marktes noch einmal ein Höhenfeuerwerk gezündet und zu Höchstkursen aufgekauft oder sich unternehmensseitig verbandelt. Viele Hochzeiten jedoch, die zunächst mit viel Buhei auf Börsen-Wolke Sieben geschlossen wurden, endeten schließlich als schlimme Rosenkriege ohne jeglichen Lustgewinn.

4. Fed - Schluss mit geldpolitisch-lustig?

Ausgerechnet die Fed als ultimativer Retter der westlichen Finanzwelt wird verdächtigt, ihre geldpolitischen Krallen früher als erwartet auszufahren. Die US-Konjunktur, die einst Ähnlichkeiten mit meinem altersschwachen Kater Niko hatte, ist aktuell wieder so stark wie mein zweiter, junger und quietschfideler Kater Max. Unter normalen Umständen stünde wohl die Reduzierung des Kraftfutters, also die erste Zinserhöhung vor der Tür. Der Liquiditätshausse an den Aktienmärkten drohte dann das Wüstenklima.

Auf Seite 3: Sell in May and go away, for a long time?

Sell in May and go away, for a long time?

Insgesamt ist bei dem ein oder anderen Anleger also eine frevelhafte, bearische Aktienstimmung durchaus berechtigt. Vor diesem Hintergrund könnte der DAX durchaus aus seinem Seitwärtstrend ausbrechen, und zwar nach unten, oder?

US-Zinserhöhungen passen noch nicht in die Welt

Die Argumente der Bullen sind aber auch nicht zu verachten. In unserer globalisierten Finanzwelt hängt alles mit allem zusammen. Konsequenzen von Zinserhöhungen seitens der Notenbank-Urmutter Fed haben nicht nur Folgen für die USA, sondern suchen wie umfallende Dominosteine auch die Schwellenländer als konjunkturelle Sorgenpausen der westlichen Welt heim. Mutti Yellen weiß sehr genau, dass sie sich nicht nur um die eigenen Kinder, sondern weltweit auch um das Wohl fremde Kinder kümmern muss. Sie will zwar alles genau beobachten, handeln heißt das aber noch nicht. Zinspolitisch voreilig restriktiv zu werden, bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Dann fallen nicht nur Aktien in Ungnade, sondern auch die Weltkonjunktur. Welche Mutter setzt ihre Kinder einem Risiko aus?

Auf Seite 4: Der neue Name der Liquiditätshausse ist Draghi

Der neue Name der Liquiditätshausse ist Draghi

In Euroland schürt Mario Draghi die geldpolitische Erwartungshaltung. Die real existierenden Probleme der Eurozone lassen ihm keine andere Wahl: Die Euro-Staatschuldenkrise ist zwar technisch beendet, aber die Euro-Konjunktur fährt immer noch im Rollstuhl.

Überhaupt, betrachtet man die Liquiditätsversorgung der drei großen Notenbanken, so ist die EZB gegenüber der Fed und der Bank of Japan ein regelrechtes Waisenkind. Draghis Quelle hat in letzter Zeit nicht nur keine Liquidität gespendet, sondern sogar abgesaugt, so dass man fast von geldpolitischer Straffung sprechen könnte. Fast könnte man Herrn Draghi unterstellen, er tue zu wenig für die Konjunktur.

Aber nach der Europawahl, ab Juni wird Mario Draghi vermutlich die geldpolitischen Erwartungen mit unkonventionellen Wertpapieraufkäufen erfüllen. Dann steht die Rücksichtnahme auf an geldpolitischer Stabilität interessierten Wähler dem Sündenfall nicht mehr im Wege. Die EZB tritt in die Fußstapfen der Fed.

Auf Seite 5: Wie lange dauert die Seitwärtsphase des DAX noch an?

Wie lange dauert die Seitwärtsphase des DAX noch an?

Historisch gilt, dass hohe Aktienbewertungen und M&A-Geschäfte dann keine Chance mehr haben, wenn die üppige Geldpolitik beendet ist. Muss dann aber umgekehrt nicht ebenso gelten, dass wenn die Euro-Konjunktur geldpolitisch noch stärker auf Vordermann gebracht wird, auch die Liquiditäts-Rallye an den euroländischen Aktienmärkten weiter geht? Ja!

Dies mag zwar ein langweiliges Argument für Aktien sein, aber auch ein entscheidendes. Daher hat der DAX ganz klar das Potenzial, nach oben auszubrechen. Allerdings klebt die geopolitische Krise wie Kaugummi am Aktien-Schuh: Unser täglich Ukraine-Live-Ticker gib uns heute.

Mögen die Bullen schließlich gewinnen. Glück auf!

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.