von Robert Halver

Der russische Bär kann sehr stur sein

In der Ukraine und speziell auf der Krim sind elementare strategische Interessen Russlands betroffen. Schon Zarin Katharina die Große wollte unbedingt einen Zugang zum Schwarzen Meer. Russland hat diesen Anspruch bis heute nicht aufgegeben und wird es unter Putin erst Recht nicht tun.

Eine vor der eigenen Haustür liegende, pro-westliche Ukraine, die neben einer EU-Mitgliedschaft längerfristig womöglich auch noch Nato-Mitglied werden will, wäre ein sehr quälender Stachel im Fleisch des russischen Bären. Würde Uncle Sam umgekehrt etwa anders reagieren, wenn im Vorgarten Amerikas, z.B. auf den Bahamas, plötzlich die Kommunisten das Sagen hätten?

Natürlich geht es dem "sendungsbewussten" Putin auch um die Wiedergeburt Russlands als ernst genommene Großmacht, so wie es vor 1991 einmal war. Der russischen Volksseele tut es offenbar gut, wenn Putin auf dieser Klaviatur virtuos spielt.

Auf Seite 2: Politik ist die Kunst des Möglichen

Politik ist die Kunst des Möglichen

Der Westen mag sich über Russlands Völkerrechtsverletzung erzürnen wie ein Bienenstock über den Honigklau durch einen Bären. Letztendlich wird sich der Westen mit der russischen Kontrolle der Krim und einem wachsenden Einfluss im Osten der Ukraine abfinden müssen.

Denn zunächst scheiden militärische Druckmittel aus guten Gründen aus. Jedoch sind auch Wirtschaftssanktionen nur begrenzt erfolgreich. Zwar würde Russland von einem westlichen Wirtschaftsboykott getroffen und die Oligarchen würden beim Einfrieren ihrer ausländischen Konten ein ganz neues Gefühl vom russischen Winter bekommen. Aber wird man in Europa tatsächlich zu den ganz scharfen Schwertern greifen und die Gaslieferverträge mit Russland außerordentlich kündigen? Russland fehlten dann zwar dringend benötigte Devisen. Aber was ist dann mit der Versorgung Europas mit Gas, das zu etwa 45 Prozent aus Russland kommt und uns schwerpunktmäßig über Pipelines in der Ukraine erreicht? Alternativen sind so einfach nicht zu finden, auch wenn der ein oder andere europäische Politiker dies zur verbalen Herunterspielung der Abhängigkeit aktuell gerne behauptet. Bei dann zusätzlich auch noch deutlich steigenden Preisen würde vor allem unsere deutsche, exportabhängige Wirtschaft im Mark getroffen. Wird sich Europa bzw. Deutschland wirklich mit harten Sanktionen, auf die ebenso harte Gegenmaßnahmen folgen, ins eigene Knie schießen? Solche "Strafaktionen" mögen Amerika gefallen, die kein russisches Gas beziehen und deutlich weniger exportieren. Also sollten unsere Politiker zweimal nachdenken, bevor man in punkto Sanktionen einmal Ernst macht. Immerhin ist die Abhängigkeit vom Gas beidseitig: Der eine braucht es und bezahlt dafür und der andere hat es und verdient Geld damit. So etwas nenne ich eine gute Verhandlungsgrundlage.

Auf Seite 3: In der Diplomatie gibt es nicht Weiß oder Schwarz, sondern nur viele Grautöne

In der Diplomatie gibt es nicht Weiß oder Schwarz, sondern nur viele Grautöne

Der Westen muss zunächst das Kunststück schaffen, dass alle seine Häuptlinge politisch nicht mit gespaltener, sondern mit einer Zunge sprechen. Wer nimmt einen kakophonen Haufen ansonsten Ernst? Danach muss der Westen einem militärischen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland entgegenwirken. Denn dann wäre es für Putin geradezu ein Lockruf, mit klarer militärischer Übermacht weite Teile der Ukraine unter seine "fürsorglichen" Klauen zu bringen. Denn wie sollte er - bei dann anzunehmender politischer Radikalisierung in der Ukraine - den Schutz der russischen Bevölkerung ansonsten garantieren? Dieses Alibi sollte der Westen Herrn Putin nicht gewähren.

Im schlimmsten Fall würden das gleichzeitige Aufeinandertreffen von politischer Krise und Wirtschaftssanktionen auf die Anlegerstimmung wirken wie das Zusammenfallen von Aschermittwoch und Karfreitag auf einen Tag. Und der Blick in die Vergangenheit macht klar, dass, wenn erst einmal die Aktienmärkte einbrechen, früher oder später auch die Konjunktur von einem Kollateralschaden heimgesucht wird. Der schöne Wiederaufbau der Weltwirtschaft über viele neue Schulden mit geldpolitischem Segen wäre dann Makulatur.

Ich bin mir jedoch sicher, dass Gehirne an alle Seiten fair verteilt wurden. Die müssen nun aber auch genutzt werden, um einen neuen Kalten Krieg diplomatisch mit Gesichtswahrung für alle zu verhindern. Jede Menge Geld braucht die Ukraine sowieso, was eine Gesamtlösung sicher nicht vereinfacht. Jetzt brauchen wir die erste Reihe der Diplomaten, keine Krawallschläger.

Auf Seite 4: Ohne politische Intelligenz ist an den Aktienmärkten das ganze Jahr Fastenzeit

Ohne politische Intelligenz ist an den Aktienmärkten das ganze Jahr Fastenzeit

Ich denke, dass auch dieses Mal die politischen Börsen grundsätzlich kurze Beine haben werden.

Investments in deutlich gefallene russische Energiewerte sind mit Blick auf potenzielle Währungsverluste und einer angeschlagenen russischen Börsenverfassung risikoreich.

Grundsätzlich würde ich mich aktuell schwerpunktmäßig auf den deutschen, europäischen und amerikanischen Aktienmarkt konzentrieren. Denn zunächst verfügen in den westlichen Ländern die defensiven Aktien mit ihren hohen Dividendenrenditen über eine vergleichsweise kursstabile Substanz. Aber auch bei zyklischen Konjunkturaktien aus den Branchen Chemie-, Auto- und Maschinenbau sollte man in Hab Acht-Stellung sein: Der konjunktur- und exportsensitive Aktienindex MDAX entwickelt sich auch aktuell im Trend weiter besser als der deutsche Leitindex DAX. Damit kommt die Überzeugung der Anleger zum Ausdruck, wonach uns trotz der politischen Börse weltwirtschaftlich keine nachhaltig kurzen Beine drohen. Dennoch, da wir noch nicht wissen, wie kurz die politische Krise ist, müssen Anleger vorerst hohe Kursschwankungen aushalten. Hier sind regelmäßige Sparpläne in Aktien ein gutes Gegeninstrument, da sie bei schwächeren Kursen mehr Aktienanteile bieten.

Übrigens, historisch sind die Aktienmärkte erst dann nachhaltig eingebrochen, wenn - wie jeweils im Vorfeld der Asienkrise 1997, dem Platzen der Dotcom-Blase 2001 oder dem Bersten der Immobilienblase 2008 - die Notenbanken restriktiv wurden. Bevor heutzutage die Geldpolitik angesichts der vielfach angespannten Lage restriktiv wird, bringt der Weihnachtsmann die Ostereier.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.