Energiekrise in Euroland - Müssen wir uns als Anleger jetzt warm anziehen?

Einige Anleger werden sich noch gut an die Ölkrisen von 1973 bzw. 1979/80 erinnern, wenn auch nur an die autofreien Sonntage. Für das Barrel Öl zahlte man 1973 schlappe drei US-Dollar, 1974 waren es schon 12 und 1980 dann 38 Dollar. Schaue ich mir den heutigen Ölpreis von ca. 107 Dollar an, kommen mir die früheren Preise geradezu energieromantisch vor.

Immerhin, obwohl der Ölpreis seit 2009 um 106 Prozent angestiegen ist, hat sich die Weltkonjunktur mit einem Wachstum von ungefähr 17 Prozent prima gehalten. Mit hohen Ölpreisen kann die globale Wirtschaft offenbar ganz gut umgehen.

Gegenüber dem Ölpreis ist der Preis für Naturgas ein regelrechtes Schnäppchen. Laut European Energy Exchange in Leipzig hat er in den letzten fünf Jahren um lediglich ca. 10 Prozent zugelegt. Gas wird daher im weltweiten Energiemix immer wichtiger.

Insgesamt hatten wir es bislang also mit einem eher entspannten Öl- und Gasumfeld zu tun.

Auf Seite 2: Energieversorgung noch so sicher wie das Amen in der Kirche?

Energieversorgung noch so sicher wie das Amen in der Kirche?

Dieses relativ heile Energiebild scheint aber ein paar Risse zu bekommen. Denn ausgerechnet die energietechnische Sorgenpause "Gas" scheint zu zicken. Russland hat die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt. Die Regierung in Kiew will zwar sicherstellen, dass das für Europa bestimmte, russische Gas auch zukünftig via Ukraine weitergeleitet wird. Einige Marktteilnehmer fragen sich dennoch skeptisch, warum man Wasser einfach so passieren lassen sollte, wenn man selbst Durst hat. Berlin lässt verlauten, dass die deutschen Gasvorräte noch für mehrere Monate reichen, also bis zum Beginn des nächsten, eventuell wieder brutal harten Winters?

Auf Seite 3: Auch Russland weiß den energietechnischen Kapitalismus zu schätzen

Auch Russland weiß den energietechnischen Kapitalismus zu schätzen

Ohnehin ist Europa aufgrund seiner 30-prozentigen Abhängigkeit von russischem Gas theoretisch erpressbar. Aber der theoretische Erpresser wird es sich zweimal überlegen, ob er uns wirklich den Gashahn zudreht. Denn schlägst du mich, schlag ich dich: Bekommen wir zu wenig oder kein Gas mehr aus Russland, erhält Putin auch keine Devisen mehr für sein wirtschaftlich angeschlagenes Riesenreich. Ebenso würde Russland politisch und technologisch isoliert wie China zur Zeit der Einmauerung. Europa hat bereits begonnen, sich nach energietechnischen Ersatzbefriedigungen umzuschauen.

Energielogistisch wäre dies zwar nicht der Stein der Weisen, aber immerhin ginge Russland zunehmend einer seiner bislang treuesten und größten Kunden verlustig. Putin wäre am Ende vielleicht allein auf seinem Gasfeld zu Haus und könnte dann mit seinem Gas Luftballons aufblasen.

So weit wird es nicht kommen. Geld stinkt auch in Russland grundsätzlich nicht. Sollte uns also Gas tatsächlich irgendwann nicht oder nicht mehr ausreichend über die Ukraine erreichen, kommt es eben über die Nordstream-Pipeline in der Ostsee. Aber kommen tut es.

Auf Seite 4: Deutlich schwieriger ist es im Nahen Osten

Deutlich schwieriger ist es im Nahen Osten

Im Irak und Syrien zerbrechen die staatlichen und militärischen Strukturen wie morsches Holz. Diesen Umstand machen sich die Terroristen der Isis zunutze, die am liebsten im gesamten Nahen Osten einen islamistischen hard core-Staat errichten wollen. Aufgrund des rapiden Machtverlusts der dortigen Regierungen können sie zügig Geländegewinne machen. Und in punkto erfolgreicher Finanzierung stehen sie Mafiamethoden in nichts nach.

Die Gefahr ist groß, dass die politische Landkarte im Nahen Osten neu aufgeteilt wird. Ganze Staaten könnten verschwinden, neue auftauchen und/oder sich politisch gemäßigte Regime hin zu totalitären Staaten entwickeln. Ohnehin sind ethnische und religiöse Freund- und Feindlinien nicht einfach auszumachen. Und grundsätzlich sind sich einige muslimische Staaten untereinander spinnefeind.

All das hätte man sich vorher überlegen müssen, bevor 2003 ein selbsternannter Rambo den Irak "befreien" wollte. Jetzt wo die Amerikaner den Irak nach vielen hundert Milliarden US-Dollar Geldeinsatz verlassen haben, hat sich offenbar nichts wirklich zum Besseren gewendet. Jetzt hat man viele schlafende Hunde geweckt.

Die Lösung Rambo 2.0 scheidet aus finanziellen und politischen Gründen aus. Spätestens dann wäre die Lunte am Pulverfass gelegt. Amerika kann maximal den Hilfs-Hilfs-Sheriff spielen. Die Drecksarbeit müssten die Türkei, die Kurden - sie werden dann ihren eigenen Staat fordern - und vor allem der Iran machen, die kein Interesse an Terrorregimen haben, die früher oder später auch ungefragt an die eigene Tür klopfen würden.

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, in wie weit die Energieversorgung aus dem Nahen Osten zukünftig noch gewährleistet ist. Dabei geht es nicht nur um Preissteigerungen. Öl könnte im Extremfall auch richtig knapp werden, was insgesamt die früheren konjunkturellen Heimsuchungseffekte der Ölpreisschocks im Vergleich in den Schatten stellt. Und jetzt? Müssen wir uns als Anlegerinnen und Anleger warm anziehen?

Auf Seite 5: USA und Iran - Nicht ziemlich beste Freunde, aber…

USA und Iran - Nicht ziemlich beste Freunde, aber…

Keine der großen Wirtschaftsnationen hat Interesse an steigenden Ölpreisen bei sinkenden Mengen, was die volkswirtschaftliche Büchse der Pandora weit öffnen würde. Wenn es sein muss, käme es hier zu einer energietechnischen Koalition der Willigen.

Bei allem Ungemach sehe ich im Konflikt des Nahen Ostens jedoch auch die Chance der erstmaligen Zusammenarbeit von zwei Erzfeinden seit 35 Jahren. Amerika und der Iran würden zwar nicht zu Waffenbrüdern. Aber ein gemeinsamer Feind eint mehr als 1000 gemeinsame Freunde. So hätte der Nahe Osten eine neue - wenn auch kleine - Machtachse, die konfliktdämmend auf die Region einwirken könnte. Schön, wenn das klappt.

Auf Seite 6: Und wenn alle Stricke reißen?

Und wenn alle Stricke reißen?

Aktuell gehen die Finanzmärkte nicht von einer nachhaltigen preis- und mengenmäßigen Energiekrise aus, die sie frieren lassen würde. Die Frühindikatoren der Aktienmärkte ignorieren diese potenzielle Gefahr sogar weitgehend.

Sie vertrauen der politischen Vernunft und schauen mit einem Auge auf neue technische Möglichkeiten. Amerika betreibt Öl- und Gas-Fracking, mit dem das Land ab 2020 nicht nur energieseitig autark ist, sondern dann auch noch so viel davon hat, dass man es exportieren kann.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.