Es ist mal wieder an der Zeit, eine Börsenweisheit anzubringen. Etwa die hier: "No one rings a bell at the top", heißt es so schön an der Wall Street. Frei übersetzt: "Zum Ausstieg wird nicht geläutet." Demnach wäre es also so, dass nicht eindeutig feststellbar ist, wann die Börse den Zenit erreicht hat und eine signifikante Korrektur beginnt.

Das mag so sein, allerdings lehrt die Erfahrung, es gibt doch Hinweise dafür, dass - um im Bild zu bleiben - gerade jemand dabei ist, die Treppen des Glockenturms zu erklimmen. Hinweise wohlgemerkt. Was ist schon hundertprozentig sicher an der Börse?

Zu diesen Hinweisen, die in der Vergangenheit immer ganz gut funktioniert haben, gehört das Phänomen der Branchenrotation. Es ist eigentlich ganz einfach: Jede Phase eines Börsenaufschwungs hat so seine Favoriten, also Aktien, die tendenziell besser laufen als der Rest. Gegen Ende eines Börsenaufschwungs sind es meist Sektoren, die den Ruf genießen, vor Inflation zu schützen. Als da wären Energie, Metalle, Minen und Unternehmen aus der Grundstoffindustrie. Viele davon finden sich im Dow Jones. Erklärt wird die Rotation damit, dass zum Ende einer Rally meist die Zinsen steigen und damit einhergehend eben auch die Inflationserwartungen.

Aktuell ist es so, dass die besagten Spätphasensektoren zumindest teilweise die Führungsrolle übernehmen. Das Beispiel USA zeigt das recht anschaulich. Der Bereich Metals and Mining legt seit Mitte Juni stärker zu als der marktbreite S & P-Index. Das sind Aktien wie AK Steel oder auch Alcoa. Dazu passt, dass an den Rohstoffbörsen auch die Industriemetalle im Preis zulegen. Insgesamt hat der Sektor seine Bodenbildung fast abgeschlossen.

Nicht ganz so weit sind Energie-Aktien, etwa Exxon, Chevron oder Schlumberger, um ein paar Beispiele zu nennen. Die laufen zwar seit Anfang Juli auch besser als der Gesamtmarkt. Weil sie allerdings in den Monaten davor relativ gesehen ordentlich Federn lassen mussten, kann man noch nicht wirklich von einer Trendwende sprechen. Ähnliches gilt für die Entwicklung des Ölpreises. Und um es abzuschließen, ist beim Gold und bei den Goldminen-Aktien ebenfalls noch kein nachhaltiger Aufwärtstrend zu erkennen.

Aktuell geht es aber auch an jenen Börsen bergauf, die von diesen Branchen dominiert werden - etwa in Kanada und Australien -, während gleichzeitig Europas Märkte und die Börsen, die stark mit China verbunden sind, auf relativer Basis eher nachlassen. Wenn man so will, dann scheint da also jemand die Treppen des Glockenturms hochzusteigen. Zumindest die ersten paar Stufen.

Was bedeutet das alles jetzt fürs Investieren? Panisch aussteigen muss man jedenfalls nicht. Dafür ist der Weg hinauf zur Glocke noch zu weit. Andererseits sprechen recht viele Indikatoren dafür, dass vor allem US-Aktien viel zu schnell viel zu weit gelaufen sind. An der Wall Street beginnt man gierig zu werden - gut zu sehen etwa am Fear-and-Greed-Index von CNN oder auch am extrem niedrigen Volatilitätsindex. Allerdings ist der Korrekturbedarf ja nun schon seit Monaten Thema. Ein noch unerledigtes Thema. Der DAX hat dagegen schon Luft geholt - auch wenn dies überwiegend mit der hiesigen Autobranche zu tun hat.

Davon abgesehen ist schlicht und einfach die Gewinnentwicklung der Unternehmen nach wie vor positiv. Das stützt die Kurse. Überstürzt einsteigen muss man dennoch nicht. Im Herbst ist dafür auch noch Zeit. Allein schon aus Saisonalitätsgründen.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com