von Colin Moore, globaler Investmentchef bei Columbia Threadneedle

Die Annexion der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ukraine durch Russland, der Inselstreit zwischen China und Japan oder die iranische Unterstützung der Hisbollah: Geopolitische Risiken dieser Art treten aktuell gehäuft auf. Trotzdem entwickeln sich die internationalen Finanzmärkte insgesamt betrachtet positiv. Der US-Leitindex S & P 500 und der japanische Nikkei 225 haben in den vergangenen Wochen sogar neue Höchststände erreicht. Wie passt das zusammen?

Grundsätzlich beurteilen Investoren die Auswirkungen geopolitischer Risiken auf ihr Portfolio amoralisch. Das heißt, sie bewerten nur die Auswirkungen auf die Erträge und Gewinne der Unternehmen, in die sie investiert sind. Die entscheidende Frage aus Investorensicht lautet nicht, ob Krisen häufiger geworden sind oder verbreiteter auftreten. Zentral ist vielmehr, ob sich die Art der geopolitischen Risiken so verändert, dass sie zu Störungen an den Finanzmärkten führen könnten.

Historisch betrachtet belasten bei geopolitischen Risiken in der Regel vor allem drei Faktoren den Finanzmarkt: Einer ist die Einbindung einer Supermacht. Denn in einem solchen Fall besteht das Risiko eines größeren Konflikts. Zudem könnte das Verbrauchervertrauen erheblich zurückgehen. Dabei gilt als Supermacht ein Land oder ein Staatenbund, der mindestens etwa 20 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts kontrolliert oder beeinflusst, über beträchtliche militärische Stärke verfügt und in der Lage ist, diese militärische Macht weltweit zu projizieren. Nach dieser Definition sind die USA aktuell die einzige Supermacht.

Ein weiterer potenziell belastender Faktor ist die Gefahr höherer Ölpreise. Denn dadurch steigen die Input- und Transportkosten der Industrie, gleichzeitig verlieren die Verbraucher an Kaufkraft. Bewaffnete Konflikte, die weitab von den Zentren der Weltwirtschaft stattfinden und die Ölversorgung nicht bedrohen, wirken sich in der Regel nicht auf die Märkte aus. Drittens spielt es eine Rolle, ob Risiken für das globale Finanzsystem bestehen. Denn der daraus resultierende Rückgang der Kreditvergabe würde dazu führen, dass die gesamtwirtschaftliche Aktivität abnimmt. Dazu gehört auch, dass in Krisensituationen mitunter mehr Ressourcen für die Verteidigung verwendet werden. Solche Investitionen haben nicht denselben Multiplikatoreffekt auf das globale Wirtschaftswachstum wie andere Investitionen.

Bei den meisten bestehenden geopolitischen Risiken spielen die drei genannten Faktoren keine entscheidende Rolle, daher führen sie nicht zu lang anhaltenden globalen Marktreaktionen. Aktuell kommen zwei weitere mögliche Ursachen für eine geringere Risikosensitivität am Markt hinzu: Zum einen ist das geopolitische Risiko bereits seit einiger Zeit erhöht, was das Gefühl der Ungewissheit mindert. Zum anderen dürften Investoren darauf vertrauen, dass die Notenbanken bei einer möglichen Eskalation alles Erforderliche tun, um die Auswirkungen zu dämpfen.

Anleger sollten geopolitische Krisen dennoch im Blick behalten. Schließlich wird es immer wieder kurze Phasen der Nervosität geben, in denen Investoren auf Ereignisse überreagieren. Die damit einhergehende Volatilität und die Risikoprämien, die sich in solchen Phasen aufbauen, bieten jenen Anlegern Chancen, die einen kühlen Kopf bewahren. Dies gilt vor allem bei geopolitischen Risiken, die am Ende positive Veränderungen hervorrufen, wie der Zusammenbruch der Sowjetunion. Beispielhaft bedeutet dies: Wenn Investoren davon ausgehen, dass der Ukraine-Konflikt zu einer Rückkehr des Kalten Krieges führt, sollten sie sich auch fragen, welche Chancen sich dadurch bieten. Schließlich sind die Verteidigungsausgaben in den USA nicht in allen Bundesstaaten gleich hoch. Ist es demnach von Vorteil, in Kommunalanleihen der Bundesstaaten mit höheren Verteidigungsausgaben zu investieren? Auf solche Fragen sollten Investoren sich bei der Einschätzung geopolitischer Risiken konzentrieren.

Colin Moore

Moore kam im Jahr 2002 als Aktienchef zu Columbia Threadneedle Investments. Er ist für die Umsetzung eines disziplinierten Anlageprozesses in allen Assetklassen, inklusive Aktien und Anleihen, verantwortlich. Columbia Threadneedle ist eine führende globale Vermögensverwaltungsgruppe. Mehr als 450 Investmentspezialisten in Nordamerika, Europa und Asien verwalten ein Vermögen von 471 Milliarden Euro.