Dabei habe das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada namens Ceta, wie er es sieht, doch dem weitaus wichtigeren und ebenso umstrittene TTIP-Abkommen mit den USA so viel voraus. "Die haben mit Justin Trudeau einen unbelasteten, sympathischen, weltoffenen Regierungschef", vermerkt er. Auch gebe es in der deutschen Öffentlichkeit gegen Kanada nicht die Vorbehalte, wie sie gegenüber der vermeintlich arroganten Supermacht USA beständen. Außerdem sei das Ceta-Abkommen mit seinen 1600 Seiten eben abschlussreif. Ob TTIP diesen Status je erreichten wird, ist dagegen mehr als unsicher.

Doch all das scheint nicht zu zählen: Ceta wird seit Jahren in einem Atemzug mit dem bei vielen verhassten TTIP-Abkommen genannt. Demokratiefeindlich, konzernfreundlich und gefährlich für Schutzrechte, lauten die Vorwürfe. Bei Protesten heißt es in der Regel: "Ceta & TTIP stoppen". Das ist auch das Motto, unter dem die breite Ablehnungsfront - vom Naturschutzbund BUND über die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bis zur kirchlichen "Brot für die Welt" - am 17. September, wie schon vor einem Jahr, eine sechsstellige Zahl von Demonstranten auf die Straßen Berlins und anderer deutscher Großstädte bringen wollen. Ceta gilt einfach als Blaupause für TTIP, als "kleine" oder "ältere" Schwester des Abkommens mit den USA, als Angehörige einer "asozialen" Familie.

Das und die hohe Emotionalität der Auseinandersetzung macht die Mission der Bundesregierung, Ceta zum Erfolg zu führen, so schwierig. Dabei ist sich die Ministerriege beim Abkommen mit Kanada, anders als bei TTIP, inhaltlich ziemlich einig. Das gilt allerdings auch für die Ratlosigkeit in der Frage, wie man das große Ablehnungsbollwerk überwinden kann. Dass die EU-Kommission erst nach massiven Einsprüchen aus Berlin vor wenigen Wochen ihre Meinung änderte und nun die nationalen Parlamente mitentscheiden lassen will, hat die Kritiker angestachelt. Sie werteten diese Haltung als Beleg, dass die Bürokraten in Brüssel am liebsten vorbei und ohne Beteiligung der Menschen Fakten schaffen wollen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen findet Ceta gut. Von der CSU kommen bisher keine Querschüsse. Und selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel lässt nichts auf die Vereinbarung kommen. "Ceta ist ein gutes und wichtiges Abkommen", lautet sein Urteil. Es habe die Qualität, mit seinen hohen Standards einen wichtigen Beitrag zur Globalisierung zu leisten. Allerdings: Gabriel weiß, dass, sollte Ceta scheitern, auch TTIP tot ist. Diesen Argumentation suchen die Kritiker umzudrehen: bringen sie Ceta zu Fall, haben sie auch das Abkommen mit den USA erledigt, glauben sie.

"MASSSTÄBE FÜR ANDERE ABKOMMEN"



Gabriels spezielles Problem ist: die Kritiker sitzen auch in seiner eigenen Partei und in deren Stammwählerschaft, dem Lager der Gewerkschaften. Und die haben sich von den Argumenten ihres Parteichefs für Ceta bislang nicht überzeugen lassen. Sie lauten: Ceta öffnet den wichtigen kanadischen Markt für die deutschen und europäischen Firmen, die gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Aufträgen in Kanada erhalten. Zudem werde es ein modernes Investitionsschutzsystem geben, mit dem die so heftig kritisierten privaten Schiedsgerichte Geschichte seien. Auch seien hohe Arbeits-, Verbraucher- und Umweltstandards gesichert - alles Dinge, die bei TTIP noch strittig sind. "CETA setzt Maßstäbe für andere Abkommen und ist damit auch eine Messlatte für TTIP", finden Gabriels Experten. "Stimmt nicht", sagen die Kritiker innerhalb und außerhalb der eigenen Partei. Nicht nur der SPD-Linke Matthias Mirsch urteilt: nicht zustimmungsfähig.

Doch für eine Ceta-Beerdigung ist es noch etwas früh. Sollte Gabriel die Mehrheit in seiner Partei bei einem Konvent Mitte September doch hinter sich bringen, könnte das womöglich das entscheidende Signal sein, dass der Großteil des Abkommens schon wenig später von der EU vorläufig in Kraft gesetzt wird. Denn am 22./23. September treffen sich die Handelsminister der EU. Sie kommen zwar nur informell zusammen, könnten aber die entscheidenden Weichen stellen - mit dem Ceta-Befürworter Gabriel. Dann aber ginge der Protest nur in die nächste Runde. Schon jetzt haben mehr als 100.000 Menschen in Deutschland ihre Vollmacht für eine Verfassungsbeschwerde "Nein zu Ceta" gegeben, die nach der Ministerrats-Entscheidung eingereicht werden soll.

rtr