Der Ölpreis diktiert derzeit das Geschehen an den weltweiten Finanzmärkten fast im Alleingang. Im Dienstag beispielsweise bildeten die Börsen die Ausschläge der Ölpreise fast eins zu eins nach. Auch für die Kursverluste der vergangenen Wochen an den Aktienmärkten wird der Ölpreis verantwortlich gemacht. Wirkungen zeigen dessen Ausschläge aber auch an den Anleihe- und den Devisenmärkten.

Das ist aber auch kein Wunder, schließlich ist das schwarze Gold zuletzt massiv in Bewegung gekommen. Der Preis für das Nordseeöl Brent hat seit dem Sommer fast 50 Prozent an Wert verloren. Das ist ein Brett und inzwischen sind die tiefsten Stände seit Mai 2009 erreicht. Was an der Entwicklung zusätzlich verschreckt, ist das Tempo der Abwärtsbewegung und die offene Frage, ob es vielleicht sogar noch viel tiefer gehen wird.



Von Belang ist diese Frage nicht zuletzt deshalb, weil das Öl als Schmiermittel für die Weltwirtschaft dient. Außerdem hängen viele ölproduzierenden Länder stark am Öl-Tropf. Deshalb ist es verständlich, warum die Marktteilnehmer mit Argusaugen verfolgen, was mit dem Ölpreis passiert. Wegen der Bedeutung des Themas versuchen wir uns auf den nachfolgenden Seiten an einer Prognose was das derzeitige Niveau der Ölpreise für die Weltwirtschaft und die verschiedenen Finanzmarkt-Segmente bedeuten dürfte.

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Stütze für die Weltwirtschaft - Bedrohung für die Öl-Exporteure

Was die Auswirkungen der Ölpreis-Baisse auf die Weltwirtschaft angeht, scheint die Rechnung zunächst einfach zu sein. Durch die niedrigeren Energiepreise werden die Haushalte und Unternehmen entlastet und das so eingesparte Geld kann für andere Zwecke konsumiert werden. Wie Volkswirte diesbezüglich denken, zeigt stellvertretend eine Szenario-Berechnung von Morgan Stanley. Die Experten dort beziffern das Wachstum für die Weltwirtschaft bei einem Ölpreis je Barrel von 88 Dollar im kommenden Jahr auf 3,5 Prozent. Sinkt der Preis dagegen auf 70 Dollar, würde die Wachstumsprognose mit plus 3,7 Prozent etwas höher ausfallen und bei einem Ölpreis von 53 Dollar wird sogar ein Zuwachs von 4,0 Prozent für möglich gehalten.

Einige Länder, die auf Energie-Importe angewiesen sind, dürften dabei überproportional profitieren. Zu diesem Kreis zu zählen sind unter anderem die Türkei und China, vor allem aber auch Japan. Doch wie meistens gibt es auch hier Verlierer und bei denen handelt es sich um die ölexportierenden Länder. Zu nennen sind da unter anderem die Länder im Nahen Osten, aber auch Nigeria, Venezuela oder Russland. Deren Staatseinnahmen basieren zumeist auf deutlich höheren Ölpreis, als dies aktuell der Fall ist, und bei dauerhaft niedrigen Ölpreisen könnte es mittelfristig finanziell eng werden für diese Länder.

Ob sich die erhofften positiven Wirkungen für Weltwirtschaft als Ganzes einstellen, wird letztlich entscheiden davon abhängen, wie die Ölproduzenten die Preisverwerfungen verkraften. Fällt der Ölpreis noch tiefer und kommt es zu Staatspleiten, könnten die damit verbundenen Kosten die erhofften Vorteile schnell zunichtemachen. Als besonders von einem Staatsbankrott gefährdet gilt Venezuela, wobei laut Credit Suisse hier die Nachwehen für die Weltwirtschaft selbst im Katastrophenfall begrenzt bleiben dürften. Schon etwas anders wäre es vermutlich, wenn es zu einer Pleite Russlands kommen sollte. Völlig ausgeschlossen scheint das inzwischen nicht mehr, nachdem die Finanzmärkte dort zuletzt ganz erheblich unter Druck geraten sind und die lokale Volkswirtschaft im kommenden Jahr in eine Rezession abrutschen dürfte. Kommt es hier wirklich zum Exodus, müssen die Hoffnungen auf positive Impulse für die Weltwirtschaft, aber auch für die Weltbörsen sehr wahrscheinlich abgeschrieben werden. So gesehen wäre es wichtig, dass der freie Fall der Ölpreise bald ein Ende findet.

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Anleihen: Niedriger Ölpreis drückt die Inflation, birgt aber Ausfallrisiken

Wichtig wäre eine Stabilisierung der Ölpreise auch für die Aussichten an den Anleihemärkten. Denn auch hier hat der fallende Ölpreis zwei unterschiedlich wirkende Effekte. Als Stütze für die Anleihenmärkte erweist sich zunächst die mit den gesunkenen Ölpreisen einhergehende deflationäre Wirkung. So dürfte laut Morgan Stanley jeder Ölpreisrückgang um zehn Dollar das Barrel die weltweite Inflationsrate um 0,24 Prozentpunkte drücken. Das Wissen um diesen Effekt hat neben der Flucht in sichere Anlagen die Rendite für zehnjährige deutsche Bundesanleihen mit 0,567 Prozent auf ein neues Rekordtief gedrückt und auch die zehnjährigen US-Staatsanleihen werfen trotz der erwarteten Zinswende nur noch rund zwei Prozent ab.

Allerdings ist zu bedenken, dass sich die Notenbanker derzeit alles andere als eine noch weiter sinkende Inflation wünschen. Vielmehr wird mit aller Macht versucht, Inflation zu erzeugen und die Deflation zu bekämpfen. Davon abgesehen haben die jüngsten Preisturbulenzen zu einem Anstieg der Renditen in einzelnen Segmenten wie den Hochzinsbereich beigetragen. Neben einer gestiegenen Risikoaversion ist dafür auch die Angst verantwortlich, bei den von Unternehmen aus dem Energiebereich begebenen Anleihen könnte es zu deutlich steigenden Zahlungsausfällen kommen. Im Hochzinsbereich sprechen wir hier über Anleihen von Energiekonzernen im Volumen von rund 200 Milliarden Dollar und bei Ausfällen im großen Stil könnte das auch den beteiligten Banken neue Schwierigkeiten bereiten.

Etwas beschwichtigend erinnert Morgan Stanley aber an die Jahre 1985/86. Damals stürzte der Ölpreis um rund zwei Drittel ab, die Wirtschaft entwickelte sich trotzdem passabel und die Ausfallrate bei den Hochzinsanleihen stieg gerade einmal um 0,3 Prozentpunkte auf 6,5 Prozent. Wobei trotz gewisser Ähnlichkeiten die damalige Situation nicht direkt auf die heutige Situation umzulegen sein dürfte. In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass Experten bei einem Ölpreis von 57 Dollar je Barrel die Gesamteinbußen für die Ölunternehmen auf jährlich 1,6 Billionen Dollar beziffern. Auch ist die Gewichtung der Anleihen von Öl-Unternehmen in den Anleihe-Indizes höher als die Gewichtung der Öl-Aktien in führenden Aktienindizes wie dem Russell 2000, dem Topix oder dem MSCI Europe. Vor diesem Hintergrund dürften erstklassige Anleihen bis auf weiteres gefragt bleiben und Anleihen mit einem schlechten Standing sind eher mit Vorsicht zu genießen.

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Devisen: Währungen ölproduzierender Länder und Emerging Markets unter Druck

Spuren hinterlassen haben die Turbulenzen beim Öl auch an den Devisenmärkten. Das prominenteste Opfer ist dabei bisher der Rubel. Die russische Landeswährung markiert zum Dollar ein Rekordtief nach dem anderen und bisher konnten auch Zinserhöhungen dem Treiben der Rubel-Bären keinen Einhalt gebieten. Hier rächt es sich jetzt eben, dass die Annahmen für den Staatshaushalt, der zu 40 Prozent auf dem Export von Öl finanziert wird, auf optimistisch hohen Ölprognosen basieren. Unter Druck stand zuletzt mit der norwegischen Krone aber auch die Währung eines anderen ölexportierenden Landes, das bisher als sehr solide wahrgenommen wurde.

Interessanterweise leidet aber auch die türkische Lira, obwohl das auf Energieimporte angewiesene Land als Profiteur niedrigerer Ölpreise gilt. Ein ähnliches Phänomen ist auch in Indonesien zu beobachten, wo die Landeswährung trotz günstiger gewordener Ölimporte sogar neue Tiefs aufgestellt hat. Selbst der US-Dollar, der sonst immer als Hort der Sicherheit gilt, hat etwas von seiner Stärke gegenüber dem Euro und dem Yen verloren. Das wiederum ist auch mit dem Schieferöl-Boom in den USA zu begründen, denn dieser droht jetzt plötzlich jäh zu versiegen.

Solange der Ölpreis so schwach bleibt, dürften der japanische Yen und der Euro weiter profitieren. Besonders unter Druck bleiben dürften dagegen die Währungen der Schwellenländer. Das hat zum einen mit dem Reflex der Anleger zu tun, als risikoreich geltende Assets durch die Bank bei Schwierigkeiten zu verkaufen. Außerdem lastet auf den Schwellenländern auch durch die erwartete Zinswende in den USA zusätzlicher Druck. Denn deren Währungen sind oft an den Dollar gekoppelt, was ein dem der US-Zinspolitik entgegen gerichtetes Vorgehen erschwert. Außerdem wurden in den Emerging Markets in den vergangenen Jahren viele Schulden in Dollar aufgenommen, deren Bedienung bei einem steigenden Dollar gegenüber der eigenen Landeswährung schwierig wird. Beruhigt sich der Ölpreis nicht bald, scheinen auch deshalb am Devisenmarkt weitere Kursturbulenzen vorprogrammiert zu sein.

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Aktien: Die positiven Kurseffekte der tieferen Ölpreise müssen sich erst noch durchsetzen

Bis jetzt muss mit Blick auf die Aktienmärkte ganz klar konstatiert werden: Die fallenden Ölpreise haben die Aktienkurse unter Druck gesetzt. Das gilt natürlich ganz besonders für die Börsen der ölexportierenden Länder. In Russland oder im Nahen Osten ist deswegen derzeit jedenfalls Baisse angesagt. Aber auch der DAX ist ausgehend von einem neuen Rekordhoch auf Tauchstation gegangen und selbst an der von der Hausse besonders verwöhnten Wall Street ist der Dow Jones Industrial Average in der Vorwoche prozentual so stark gefallen wie seit November 2011 nicht mehr.

Mit der Unsicherheit, die der schnelle Preisverfall mit sich bringt (Börsianer mögen bekanntlich keine Unsicherheiten) lässt sich diese Entwicklung auch mit den Gewinnprognosen erklären. Während für die Profiteure eines fallenden Ölpreises die Ergebnisvorhersagen kaum nach oben revidiert wurden, haben Analysten die Schätzungen für den Energiesektor teilweise stark gesenkt. Solange sich dieser Trend nicht umkehrt, wird es für die Aktienmärkte auch schwierig bleiben nach oben zu drehen. Hoffnung auf eine Wende besteht aber dann, falls sich die Ölpreise bald stabilisieren oder vielleicht sogar wieder etwas nach oben drehen. Denn dann dürften auch die positiven Wirkungen des gesunkenen Ölpreises stärker wahrgenommen werden.

Die Bullen unter den Börsianern können dabei neue Zuversicht auch aus geschichtlichen Erfahrungen ziehen. Denn in der Vergangenheit notierten die Weltbörsen nach einem rasanten Ölpreisverfall sechs Monate später oft deutlich im Plus. Diese Bestandsaufnahme gilt selbst für die Öl-Aktien, auch wenn da die Trendwende meist etwas länger auf sich warten ließ. Wobei sich die Geschichte aber natürlich nur dann wiederholen wird, falls der Ölpreis nicht noch weiter abstürzt. Aber auch in dieser Hinsicht macht ein Blick zurück in die Geschichte Mut. Denn nicht selten haben sich die Ölpreise nach einem starken Einbruch fast ebenso schnell auch wieder erholt.