Es ist der Abend des italienischen Pokalfinales: Der SSC Neapel trifft auf den AC Florenz. Das römische Olympiastadion ist an diesem Mai-Abend nahezu ausverkauft. Doch statt auf den Rasen blicken die Zuschauer auf das Absperrgitter in der Kurve. Oben auf dem Zaun sitzt der bullige Anführer der neapolitanischen Fans. Gennaro De Tommaso heißt der tätowierte Mann, von seinen Freunden wird er nur "Genny a’ carogna" genannt, "Genny, der Schweinehund".

De Tommaso, dem Kontakte zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden, hat einen grimmigen Gesichtsausdruck. Ein Tifoso des SSC Neapel wurde auf der Straße angeschossen, er ringt um sein Leben. De Tommaso droht, das Spielfeld zu stürmen, sofern die Partie nicht abgesagt wird. Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi verfolgt das Geschehen von der Tribüne aus mit entgeistertem Blick. Seine Tochter ist vor Angst in Tränen ausgebrochen. Die Ordnungskräfte stehen orientierungslos herum. SSC-Neapel-Kapitän Marek Hamsik eilt in die Kurve und verhandelt mit De Tommaso. Der nickt. Mit 45 Minuten Verspätung wird das Spiel angepfiffen.

"Der Fußball in der Hand der Hooligans" titeln die Zeitungen in den Tagen darauf. "Ist das Sport? Natürlich nicht. Das ist Wahnsinn, der nun schon seit 30 Jahren andauert", schreibt Beppe Severgnini, renommierter Kolumnist und Buchautor, in einem Kommentar für die "International New York Times". Die gespenstischen Szenen mit "Genny, dem Schweinehund" sind symptomatisch für den Zustand des "calcio", wie der Fußball in Italien heißt.

Während die Spitzenklubs in Deutschland oder England in modernen Stadien Unterhaltung für die ganze Familie bieten, steckt der Calcio in der Krise, wirtschaftlich und sportlich. Auf Krawall gebürstete Fans und alte, renovierungsbedürftige Arenen halten Zuschauer und Sponsoren ab und erschweren es den italienischen Klubs, ihre prekären Finanzen zu ordnen.

Die Verbindlichkeiten der 20 Vereine in der Serie A, der ersten italienischen Liga, belaufen sich auf knapp drei Milliarden Euro. Ihnen steht ein Eigenkapital von 254 Millionen Euro gegenüber. Die italienischen Klubs müssen sparen und sind gezwungen, ihre teuersten Stars ziehen zu lassen. Der AC Mailand, dessen Eigentümer Silvio Berlusconi nicht mehr ganz so spendabel ist, verkaufte Zlatan Ibrahimović und Thiago Silva an Paris Saint-Germain. Die Folge: der Abrutsch ins sportliche Niemandsland. In der abgelaufenen Saison landete der siebenmalige Gewinner der Champions League auf einem enttäuschenden 8. Platz.

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Neue Besitzer, neuer Schwung

Die Stimmung vor der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien ist dementsprechend gedrückt. In den italienischen Bars, vor dem Zeitungskiosk oder auf den Marktplätzen beklagen die Italiener den Niedergang und geben sich der Nostalgie hin. Das Jahr 1982 rückt wieder ins kollektive Gedächtnis: Damals wurde die italienische Mannschaft in Spanien Weltmeister, mit einem 3:1-Erfolg über Deutschland. Unvergessen sind die Bilder, wie Torwart Dino Zoff vor den Augen des Staatspräsidenten Sandro Pertini den goldenen Pokal in die Höhe reißt. "Das war der perfekte Moment", sagt John Foot, Professor für italienische Geschichte an der Universität Bristol, der ein Buch über den Fußball geschrieben hat. "Das ganze Land war vor dem Fernseher versammelt." Die Gegenwart sieht er kritisch. Der Calcio müsse strukturell erneuert werden. "Das ist ein langer Prozess."

Der Anfang ist immerhin gemacht. In den Vereinen übernehmen junge Topmanager mit internationalem Profil die Kontrolle. Bei Juventus Turin hat jetzt Andrea Agnelli als Präsident das Sagen. Der 38-Jährige ist der Neffe des verstorbenen Fiat-Eigentümers Gianni Agnelli. Studiert hat er in Oxford und an der Mailänder Kaderschmiede Bocconi. Beim AC Mailand führt nun Barbara Berlusconi die kommerziellen Geschäfte. Die 29-Jährige ist Tochter des Klubeigentümers und mehrmaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.

Beim Stadtrivalen Inter Mailand ist Erick Thohir der neue starke Mann. Der 43-jährige Indonesier, der "Tycoon" oder "E.T." genannt wird, hat die Mehrheit von Massimo Moratti übernommen. Der Ölunternehmer kann sich das Hobby Fußball nicht mehr leisten, seit der Raffineriebetrieb Saras keine Goldgrube mehr ist.

Im Zentrum der Aufmerksamkeit aber steht James Pallotta. Der 56-jährige Hedgefondsmanager aus den USA, dessen Vermögen auf mehr als eine Milliarde Dollar geschätzt wird und der beim Basketballverein Boston Celtics mitmischt, ist beim AS Rom eingestiegen. Inzwischen hält er 40 Prozent am Hauptstadtklub, bei dem vor mehr als 20 Jahren Rudi Völler und Thomas Häßler kickten. Für den Amerikaner ist das kein luxuriöser Zeitvertreib, sondern kalkuliertes Business. Pallotta krempelt alles um und erhofft sich Gewinn. Der AS Rom ist für ihn eine Turnaround- Geschichte, würde man im Finanzjargon sagen.

Auf 500 Millionen Euro beziffert Pallotta den Wert des Vereins im Jahr 2015. Der könne sich mehr als verdoppeln, wenn alles so laufe wie geplant, sagt er. Gelingen soll das mit einem neuen Stadion. Für 300 Millionen Euro will er im Südwesten Roms einen Fußballtempel für 52 500 Zuschauer hochziehen. Eine Mischung aus Sportplatz, Einkaufszentrum, Konferenzhalle und Showbühne soll es werden, 365 Tage im Jahr geöffnet. Bis zur Saison 2016/17 soll das Projekt fertiggestellt sein.

Die byzantinische Bürokratie der Kapitale ist zwar ein Risiko, doch Roms Bürgermeister Ignazio Marino steht hinter dem Projekt. "Der italienische Fußball war die Nummer 1. Ich glaube, dass er dahin zurückkehren kann", sagt Pallotta. "Es gibt in Italien sechs bis acht Mannschaften, die in wenigen Jahren wettbewerbsfähig sein könnten."

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Internationalisierung ist in

Der Schlüssel zum Erfolg ist ein eigenes Stadion. Hier sind die italienischen Vereine erheblich im Hintertreffen. Die Stadien sind Eigentum der Städte, im Schnitt 64 Jahre alt und meistens viel zu groß. In der Serie A sind sie gerade einmal zur Hälfte gefüllt. Wie es geht, macht Juventus Turin vor. Die "Alte Dame" eröffnete 2011 das "Juventus Stadium". Seitdem gewann der Rekordmeister nicht nur drei Meisterschaften in Folge, sondern steigerte auch erheblich seine Ertragskraft. Laut der Unternehmensberatung Deloitte verdreifachte Juventus Turin den Stadionumsatz auf 38 Millionen Euro.

Neben dem Stadion ist die Internationalisierung die zweite Großbaustelle für die italienischen Klubs. "Unser Fußball ist immer noch provinziell", sagt der Journalist Gianfranco Teotino, ehemaliger Pressesprecher des AC Florenz . Das Potenzial sei jedenfalls riesig. Er nennt das Beispiel des SSC Neapel: "Im Ausland leben viele Neapolitaner. Doch der SSC Neapel schöpft das nicht einmal ansatzweise aus."

Lange kann es nicht mehr so bleiben. Stichwort Fernsehrechte. Sie haben momentan einen Wert von rund einer Milliarde Euro im Jahr. Die zwei Bezahlsender Sky und Mediaset Premium murren über die hohen Preise. Es ist absehbar, dass sie künftig einen Abschlag verlangen. Die Agentur Infront garantiert, in den kommenden sechs Jahren mindestens 5,9 Milliarden Euro für die Übertragungsrechte zu erlösen. Das gelingt - wie in anderen Ländern auch - nur mit einer besseren Vermarktung im Ausland.

Der Gang über die Grenze ist also unvermeidlich, vor allem in die USA und nach Asien. Inter Mailand ist da im Vorteil. Seit Erick Thohir dort das Sagen hat, berichtet die italienische Sportzeitung "Gazzetta dello Sport" regelmäßig aus Indonesien. Das rosa Blatt zeigt dann in langen Fotostrecken, wie Thohir sich mitten in der Nacht mit seinen Freunden vor der Großleinwand die Spiele von Inter Mailand anschaut. Thohir will den Namen Inter Mailand in Amerika und Asien bekannter machen. Er schließt Vermarktungsverträge und macht sich dafür stark, dass der italienische Verein auf Tour durch die jeweiligen Länder geht.

Thohir will auch erreichen, dass die Spiele früher angepfiffen werden. "Sie sollten auf Samstagnachmittag angesetzt werden. Dann würden sie in Asien zur Prime Time und in den USA morgens übertragen", sagte Thohir der "Gazzetta dello Sport". Noch ist der Widerstand groß. Doch viele wissen auch: Die Uhren im Calcio ticken schon jetzt anders.

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