Aber die Verspätung wirkte wie ein Vorbote auf die weitere Entfremdung: Ende 2013 verschlechterten sich die Beziehungen im Streit über die Ukraine, im März 2014 sorgte die russische Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim für einen Bruch mit dem Westen - und führte zu EU-Sanktionen, die auch die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen trafen. Seither war Putin nicht mehr in Deutschland empfangen worden. Merkel reiste zwar 2015 zum Gedenken an das Kriegsende nach Moskau. Ansonsten aber beschränkten sich Treffen beider Politiker auf Gespräche am Rande internationaler Ereignisse wie G20-Gipfel - oder Dutzende von Telefonaten.

Dass Putin nun erstmals wieder in Berlin empfangen wird, es aber wohl keinen gemeinsamen öffentlichen Auftritt geben wird, zeigt das schwierige deutsch-russische Verhältnis - das auch die Bundestagswahlen 2017 beeinflussen könnte.

SANKTIONS-STREIT



Denn obwohl CDU-Chefin Merkel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bisher bei den Ukraine- und Syrien-Verhandlungen an einem Strang zogen: Es gibt Differenzen sowohl in der Tonlage als auch der Einstellung gegenüber Sanktionen. Mehrere führende SPD-Politiker wie Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel haben sich mehrfach für eine schrittweise Aufhebung der wegen der Ukraine-Krise verhängten EU-Sanktionen ausgesprochen. Hintergrund ist auch, dass es in der SPD-Anhängerschaft offenbar viel mehr Verständnis für Russland gibt, vor allem in Ostdeutschland. So betonte etwa Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) im Wahlkampf seine Russland-Nähe, um diese Stimmung aufzugreifen. Die rechtspopulistische AfD pflegt sogar eine demonstrative Russland-Nähe mit Blick auf die Stimmung der Russlanddeutschen.

CDU-Chefin Merkel dagegen hatte sich in den vergangenen Wochen wieder offensiver von Moskau abgegrenzt, was auch in ihrer Partei populärer ist. Das hat nach Angaben aus ihrem Umfeld verschiedene Gründe: Zum einen stört Merkel die Kritik am Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. Zum anderen hat der Syrienkrieg, in dem Russland Machthaber Baschar al-Assad unterstützt, für eine sehr kritische Stimmung in Deutschland quer durch alle Parteien gesorgt.

Merkel redete davon, dass man bei der Bombardierung Aleppos "kurz vor Kriegsverbrechen stehe". Anfang Oktober warf sie Gegnern der Freihandelsabkommen mit den USA zudem indirekt Anti-Amerikanismus vor. "Ich sage es mal ganz vorsichtig: Die Tatsache, dass ein Freihandelsabkommen, das wir mit Russland verhandeln würden, wahrscheinlich nur die Hälfte aller Diskussionen mit sich bringen würde, das muss uns doch zu denken geben", kritisierte Merkel die Einstellung auch von SPD und Grünen - ohne diese allerdings beim Namen zu nennen.

"Es gibt für mich keine Äquidistanz", betonte sie zudem mit Blick darauf, dass Deutschland ein enger Verbündeter der USA sei. Auch sie wolle gute Beziehungen zu Russland. Aber deshalb dürften nicht die eigenen Prinzipien über Bord geworfen werden, wie etwa die territoriale Integrität von Staaten, sagte sie mit Hinweis auf die russische Intervention in der Ukraine. "Morgen kommt dann vielleicht ein anderes Land dran", fügte sie hinzu.

DEUTSCHLAND IN EINER MITTLERROLLE



Entzündet haben sich die jüngsten Differenzen an der Frage, ob wegen des russischen Vorgehens in Syrien neue Sanktionen verhängt werden sollten. In der Regierung werden unterschiedliche Akzente gesetzt: Merkel hat es als richtig bezeichnet, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen - ohne aber neue Sanktionen jetzt zu befürworten. Steinmeier hat vor neuen Sanktionen gewarnt - ohne sie aber für die Zukunft auszuschließen.

Dass Merkel und Hollande Putin nun vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag empfangen, gleicht einem alten Muster: Putin selbst hat wie in der Vergangenheit im Ukraine-Konflikt einen mehrstündigen Waffenstillstand in Syrien ausgerechnet zum Datum des EU-Gipfels angekündigt - um jede Sanktionsdebatte unter den 28 EU-Staaten mit einem "Zeichen des guten Willens" zu unterlaufen, wie EU-Diplomaten vermuten.

Merkel und Hollande wiederum haben Interesse daran, vor dem EU-Gipfel zu klären, wo man mit Russland bei den Themen Ukraine und Syrien eigentlich steht. Das gibt beiden eine starke Stellung in Brüssel, wo am Donnerstag ohnehin eine Debatte über den Umgang mit Russland als "strategischem Partner" auf der Gipfel-Agenda steht. Angesichts einer sehr harten antirussischen Haltung Polens und einer sehr russland-freundlichen Position etwa Ungarns oder Griechenlands könne Merkel die Diskussion am besten kanalisieren, heißt es bei EU-Diplomaten. Und ganz nebenbei könnte die Kanzlerin mit Blick auf die direkten Verhandlungen mit Putin darauf verweisen, dass die deutsch-russischen Beziehungen immer noch das tragfähigste Bindeglied zwischen den Europäern und der Regierung in Moskau sind. Einen geplanten Paris-Besuch hatte Putin unlängst abgesagt.

rtr