Bis Mitte 2016 muss der Gesetzgeber das Vererben und Verschenken von Unternehmen steuerlich neu regeln. Der Mittelstand befürchtet deutliche Verschlechterungen, meint dieser Experte




von Michael Bormann, Gründungspartner der Sozietät bdp

Der Streit um die Reform der Erbschaftsteuer geht quer durch die politischen Reihen. Der strittige Punkt ist vor allem das Vererben oder Verschenken größerer Unternehmen - auch börsennotierter. Hintergrund: Das Bundesverfassungsgericht hat am 17. Dezember des vergangenen Jahres entschieden, dass die "Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung nicht in jeder Hinsicht mit der Verfassung vereinbar ist". Das heißt: Der Gesetzgeber muss das Vererben und Verschenken von Unternehmen steuerlich neu regeln. Zeit hat er bis Mitte kommenden Jahres.

Bisher ist es so, dass beispielsweise größere Wertpapierdepots oder Immobilien der Erbschaftsteuer unterliegen. Die Höhe der Steuer hängt oberhalb des Freibetrags vom Verwandtschaftsverhältnis und von der individuellen Steuerklasse ab. Je nachdem greift der Fiskus mit sieben bis 50 Prozent der Erbmasse zu. Bei Unternehmen gilt eine andere Regelung: Betriebe mit bis zu 20 Mitarbeitern können bislang noch unbürokratisch vererbt oder verschenkt werden, ohne dass das Finanzamt die Hand aufhält. Erst ab 20 Beschäftigten wird geprüft, ob deren Arbeitsplätze erhalten bleiben und das Unternehmen fortgeführt wird. Ist dies der Fall, fällt auch hier kaum oder sogar gar keine Erbschaftsteuer an. Diese Ungleichbehandlung geht den Verfassungsrichtern zu weit. Sie akzeptieren zwar grundsätzlich die Privilegierung von Betriebsvermögen, also von Unternehmen. Schließlich geht es um den Erhalt der mittelständischen Wirtschaft und der entsprechenden Arbeitsplätze. Aber eben nicht im bisherigen Ausmaß.

Auf Seite 2: Was Finanzminister Schäuble versprochen hat



Für die Neuregelung ist Finanzminister Schäuble zuständig. Er hat kurz nach dem Urteil einen nur "minimalinvasiven Eingriff" versprochen. Die konkreten Reformvorschläge sind allerdings alles andere als mikroskopisch klein. Schäuble will künftig schon ab einem Unternehmenswert von 20 Millionen Euro die sogenannte Bedürfnisprüfung einfordern. Dann müssten auch die Erben kleinerer und mittelständischer Betriebe nachweisen, dass die Zahlung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer die Fortführung des Unternehmens gefährdet. Die Marke von 20 Millionen Euro sieht dabei auf den ersten Blick weitaus größer aus, als sie tatsächlich ist. Nach dem geltenden vereinfachten Ertragswertverfahren reicht derzeit angesichts der historisch niedrigen Zinsen nämlich schon ein Gewinn von etwas mehr als 1,1 Millionen Euro, um diese Marke zu überschreiten. Das Gros der börsennotierten Familienunternehmen, also beispielsweise die Mitglieder des German Entrepreneurial Index (GEX), verfügt ebenfalls über einen Unternehmenswert von mehr als 20 Millionen Euro. Strittig ist zudem, dass Schäuble bei der Bezahlung der fälligen Erbschaft- und Schenkungsteuer bis zu 50 Prozent des Privatvermögens der Erben und Beschenkten heranziehen möchte.

Gegen die Pläne des Finanzministers laufen vor allem mittelständische Verbände, etwa der Familienunternehmer, sowie Politiker Bayerns und Baden-Württembergs Sturm. Dort sind besonders viele Mittelständler angesiedelt. Das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen findet dagegen die Vorschläge vernünftig. Die Erbschaftsteuer fließt übrigens nicht dem Bund, sondern den Ländern zu.

Aus steuersystematischer Sicht ist zu befürchten, dass bei der Reform der Erbschaftsteuer der große Wurf ausbleibt. Wünschenswert wäre eine Vereinfachung und nicht eine Verkomplizierung, die sich jedoch abzeichnet. Es ist absehbar, dass eine Bedürfnisprüfung, die künftig deutlich mehr Unternehmen durchlaufen müssen als heute, den bürokratischen Aufwand erhöht. Der Streit um die Reform der Erbschaftsteuer könnte insbesondere dadurch entschärft werden, dass es eine breite Bemessungsgrundlage und dafür niedrige Steuersätze gibt - und zwar für alle Vermögensbestandteile. Am einfachsten wäre es jedoch, die Erbschaftsteuer ganz abzuschaffen. 2014 trug sie deutlich weniger als 0,9 Prozent zum gesamten Steueraufkommen Deutschlands bei.

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Michael Bormann

Seit dem Jahr 1992 ist der Steuerberater Gründungspartner bei bdp Bormann Demant & Partner. Die Sozietät berät vor allem mittelständische Unternehmen unter anderem bei Finanzierungen, bietet Sanierungs- und Krisenmanagement an und führt Bankverhandlungen. Zuvor arbeitete der promovierte Steuer- und Finanzierungsexperte für eine internationale Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft.