Worauf achtet die Europäische Zentralbank bei ihrer Geldpolitik?


Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Fokus vor allem auf der Preisstabilität. Für die Eurozone liegt die von ihr gesetzte Marke für die Preisstabilität bei einer Inflationsrate von zwei Prozent im Jahr. Stark steigende Preise bekämpft sie ebenso wie fallende Preise (Deflation). Wegen der aktuell eher niedrigen Inflationsrate in Euroland von zuletzt 1,3 Prozent versucht sie deshalb, durch geldpolitische Maßnahmen die Inflation anzuschieben. Daneben hat die Zentralbank aber auch die konjunkturelle Entwicklung der Eurozone im Blick.

Welche Mittel setzt die EZB ein, um ihre Ziele zu erreichen?


Derzeit baut sie vor allem auf zwei Maßnahmen: zum einen auf sehr niedrige Zinsen. Und zum anderen auf milliardenschwere Käufe von Staats- und Unternehmensanleihen.

Welchen Vorteil sollen die niedrigen Zinsen bringen?


Aktuell liegt der von der EZB festgesetzte Leitzins in Euroland bei null Prozent. Der Leitzins ist grob gesagt der Satz, zu dem sich Banken bei der Zentralbank Geld leihen können. Je weniger Zinsen sie dafür zahlen müssen, umso mehr Geld leihen sie sich aus - zumindest in der Theorie. Dieses Geld können die Geschäftsbanken dann ihrerseits als Kredit an ihre Kunden weitergeben.

Außerdem bietet die EZB den Banken in der Eurozone auch an, Geld bei ihr zu parken (die sogenannte Einlagefazilität). Dafür verlangt sie von den Instituten allerdings mittlerweile Strafzinsen in Höhe von minus 0,4 Prozent. Diese Kombination aus null Prozent Leitzins und negativer Einlagefazilität soll bewirken, dass mehr Geld im Wirtschaftskreislauf pulsiert - und so die Konjunktur in der Eurozone ankurbelt.

Was sollen die hohen Anleihekäufe bewirken?


Die EZB kauft derzeit Anleihen sowohl von Staaten als auch von Unternehmen in einem monatlichen Volumen von 60 Milliarden Euro. Auch damit will sie mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen. Zusätzlich hält sie so die Renditen der Anleihen auf einem niedrigen Niveau. Das macht es für die Staaten in der Eurozone billiger, sich zu verschulden. Gut ist das vor allem für die hoch verschuldeten südeuropäischen Länder.

Warum macht die EZB damit nicht einfach immer weiter?


Diese Geldschwemme, so befürchten die meisten Experten, sorgt langfristig für stark steigende Preise in Euroland, es ist dabei zum Teil sogar von einer "Monsterinflation" die Rede. Ist die Inflation aber erst einmal in Schwung, wird es schwierig, sie wieder zurückzufahren. Der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank, Karl Otto Pöhl, brachte das zu Beginn seiner Amtszeit 1980 mit einem Vergleich auf den Punkt: "Inflation ist wie Zahnpasta. Ist sie erst mal aus der Tube, bekommt man sie kaum mehr rein."

Zudem steht bisher noch gar nicht fest, wie erfolgreich diese Geldpolitik denn wirklich ist. "Dadurch, dass die EZB die Märkte mit Geld flutet, löst sie ja die strukturellen Probleme der südlichen Länder nicht, sie verschleiert sie nur", kritisiert etwa der Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Stark, früherer Chefvolkswirt der EZB.

Wie funktioniert der Ausstieg aus dieser lockeren Geldpolitik?


Dafür gibt es zwei unterschiedliche Szenarien: entweder einen forcierten raschen Ausstieg oder eher einen mit kleinen Trippelschritten. Das Dilemma: Je länger die Geldflut anhält, desto mehr gewöhnen sich die Marktteilnehmer daran, fast wie bei einer Droge. Ein Ausstieg mit Minischritten würde diesen Zustand deutlich verlängern. Umgekehrt aber kann ein rascher Ausstieg zu heftigen Verwerfungen an den Märkten führen. Allen voran in den hoch verschuldeten südeuropäischen Ländern: Steigen die Zinsen, legt entsprechend auch deren Schuldenlast zu, weil sie dann mehr Geld für die Zinszahlungen ausgeben müssen.

Gibt es einen konkreten Zeitplan für den Ausstieg?


Nein. Zumindest gibt es keinen offiziell bekannten Zeitrahmen. Aber EZB-Chef Mario Draghi hat kürzlich auf einer großen Konferenz der Zentralbank in der portugiesischen Stadt Sintra einige Andeutungen gemacht. Nachdem sich der Italiener ziemlich positiv über die konjunkturelle Entwicklung in Euroland geäußert hatte, sagte er: "Wenn die Konjunktur anzieht, werden wir graduell vorgehen müssen, wenn wir unsere geldpolitischen Parameter anpassen." Experten sehen darin eine Ankündigung, dass sich eine Änderung der Geldpolitik am Horizont abzeichnet. Zwar hat Draghi tags darauf festgestellt, dass er überinterpretiert worden sei. Generell gilt aber, dass schon kleine Nuancen in der Rhetorik eines Notenbankchefs Hinweise auf die Geldpolitik geben. Das gilt übrigens auch für Aussagen von Janet Yellen, der Chefin der US-Notenbank Federal Reserve.

Wenn die EZB Ernst macht - wie wird sie die Geldzügel anziehen?


Es gilt als ausgemacht, dass die EZB zuerst die Anleihekäufe zurückfahren wird. "Die Notenbank dürfte die Käufe ab Januar 2018 nur sehr langsam reduzieren, sodass sie wohl noch bis Jahresende 2018 Anleihen kaufen wird", glaubt Michael Schubert, Volkswirt bei der Commerzbank. Das würde gleichzeitig bedeuten, dass mit einer Anhebung der Leitzinsen erst im Jahr 2019 zu rechnen ist: "Eine Zinserhöhung schon vor dem Ende der Anleihekäufe, auf die die Märkte immer wieder spekulieren, passt nicht in dieses Bild eines sehr graduellen Ausstiegs", sagt Schubert. Auch Draghi hat bereits mehrmals deutlich gemacht, dass er davon ausgeht, dass die Leitzinsen erst geraume Zeit nach dem Ende der Anleihekäufe angehoben werden.

Auf Seite 2: Würden Anleger eine Änderung der Geldpolitik spüren?





Würden Anleger eine Änderung der Geldpolitik spüren?


Auf jeden Fall. Die Geldpolitik der Notenbanken ist einer der wichtigsten Parameter für die internationalen Kapitalmärkte. Ändert sich daran etwas, hat das Auswirkungen querbeet auf sämtliche Anlageklassen. Das reicht von Aktien über Anleihen bis zu Immobilien (siehe Matrix Seite 3). Wie schnell und stark die Auswirkungen sein können, zeigte die Reaktion an den Devisenmärkten auf die Rede Draghis in Sintra: Der Eurokurs hat in den darauffolgenden Tagen gegenüber dem US-Dollar kräftig aufgewertet. Anleger sollten also die weitere Entwicklung bei der EZB genau verfolgen.

Auf was sollten Anleger dabei besonders achten?


In erster Linie auf die Inflationsrate in der Eurozone. Diese liegt aktuell mit 1,3 Prozent noch recht deutlich unter der Zielmarke der EZB von zwei Prozent. In der Regel ist es aber so, dass eine anziehende Konjunktur - wie derzeit in Euroland - früher oder später auch die Inflation anschiebt. Wichtig ist deshalb, schon im Vorfeld darauf zu achten, wie sich die konjunkturellen Daten für die Eurozone entwickeln. Je kräftiger das Wachstum, umso deutlicher wird die EZB reagieren.

Gibt es neben der Konjunktur noch andere Parameter?


Ja. Zwar richtet die EZB ihre Geldpolitik vor allem an Konjunktur und Inflation aus. Daneben kann aber auch die Geldpolitik der US-Notenbank einen Einfluss ausüben. Wenn in den USA die Leitzinsen, die schon jetzt bei 1,25 Prozent liegen, schneller als erwartet weiter steigen, könnte das die EZB in Zugzwang bringen.

Wer entscheidet bei der EZB über die Geldpolitik?


Der EZB-Rat ist das oberste Beschlussorgan der Zentralbank und trifft die meisten Entscheidungen. Dafür genügt bei Abstimmungen eine einfache Mehrheit der jeweils stimmberechtigten Mitglieder. Der Rat entscheidet über die Richtlinien der Geldpolitik und den Leitzinssatz ebenso wie über die Anleihekäufe. Der EZB-Rat setzt sich aus 25 Mitgliedern (das sind die sechs Direktoren der Zentralbank sowie die 19 Notenbankchefs der am Euro teilnehmenden Mitgliedsstaaten) zusammen. Er tagt in der Regel alle zwei Wochen.

Wie laufen die Sitzungen des EZB-Rats ab?


Die Sitzungen erinnern ein wenig an die Ritter der Tafelrunde. Der Rat versammelt sich im 41. Stockwerk im Hauptgebäude der Zentralbank in Frankfurt am Main. Die Mitglieder sitzen dort an einem ringförmigen Holztisch, dahinter nehmen in einem zweiten Ring noch die Stellvertreter der Zentralbankchefs Platz. Üblicherweise beginnen die Sitzungen mit kurzen Vorträgen, etwa des EZB-Chefvolkswirts Peter Praet. Dann haben die einzelnen Notenbankchefs in alphabetischer Reihenfolge das Wort - der letzte ist Bundesbank-Chef Jens Weidmann. Am Ende der Aussprache äußert sich dann der seit 2011 amtierende EZB-Chef Mario Draghi. Die Aussprachen sind vertraulich, der Rat kann aber die Veröffentlichung beschließen. Zudem gibt es alle sechs Wochen eine Pressekonferenz, geleitet von Mario Draghi.

Auf Seite 3: Auswirkungen der Geldpolitik in den verschiedenen Anlageklassen





Auswirkungen der Geldpolitik



Zieht die EZB die geldpolitischen Zügel an, kann sie vor allem an zwei Stellen ansetzen: Sie kann ihre Anleihekäufe reduzieren und/oder die Zinsen erhöhen. Beide Maßnahmen sind starke Eingriffe in den Markt und haben auch Auswirkungen auf andere Anlageklassen. Die Matrix zeigt, wie die Anlagen im Einzelnen betroffen wäre

EZB-Maßnahme: Anleihekäufe reduzieren EZB-Maßnahme: Leitzins erhöhen
Aktien Keine direkten Auswirkungen Steigt das allgemeine Zinsniveau, weil die EZB die Leitzinsen erhöht, werden Zinsanlagen interessanter: Anleger kassieren dann für ihr Geld mehr Zinsen. Allerdings deuten steigende Zinsen auch auf eine anziehende Konjunktur hin. Das bedeutet, dass die Unternehmen höhere Umsätze und Gewinne generieren, was sich wiederum positiv auf den Aktienkurs auswirkt. In der Gesamtschau dürften dennoch die Aktienkurse erst einmal leiden, weil Investoren Dividendenpapiere verkaufen und in Anleihen umschichten.
Anleihen Kauft die EZB weniger Anleihen, sinkt entsprechend die Nachfrage. Das hat vor allem bei solchen Bonds einen deutlichen Einfluss, bei denen die Zentralbank ein vergleichsweise großer Marktakteur ist (wie etwa bei den Staatsanleihen südeuropäischer Länder). Das drückt auf die Kurse und lässt spiegelbildlich die Renditen steigen. Bei bereits emittierten Anleihen drohen dann Kursverluste. Klettert das Zinsniveau, bieten neue Anleihen höhere Zinskupons. Da bei den bereits emittierten Bonds meist der Kupon fix ist, reagieren diese Papiere mit Kursverlusten, da dies zu höheren Renditen führt. Und diese Reaktion fällt umso stärker aus, je länger die Laufzeit ist. Anders sieht es dagegen bei Bonds mit variablem Zinskupon aus. Dieser Kupon richtet sich meist an einem Referenzzins aus, der sich am aktuellen Zinsniveau orientiert. Steigen die Zinsen, legt bei diesen Papieren auch der Kupon zu - und Kursverluste bleiben aus.
Sparbuch/Tagesgeld Keine direkten Auswirkungen Steigt das Zinsniveau, ziehen die Anbieter nach und bieten für Spareinlagen, ­Tages- und Festgeldkonten eine höhere Verzinsung. Diese Reaktion folgt allerdings in der Regel nicht unmittelbar auf eine Zinserhöhung durch die EZB, sondern mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung. Zudem werden die Konditionen meist nicht im gleichen Maß erhöht wie die Leitzinsen, sondern in einem geringeren Umfang.
Immobilien Keine direkten Auswirkungen Wenn die Leitzinsen erhöht werden, betrifft dies nicht nur Spareinlagen, sondern auch Kredite. Bei Krediten und Hypotheken reagieren die Anbieter meist schneller mit höheren Zinsen als bei den Guthabenzinsen. Meist werden nach einem Zinsschritt umgehend die Konditionen für Sollzinsen angehoben. Werden Hypotheken durch die höheren Zinssätze teurer, wird in der Folge weniger Wohneigentum erworben. Das drückt auf die Nachfrage nach Immobilien und damit auch auf die Preise.
Gold Keine direkten Auswirkungen Gold wirft keine Zinsen ab. Versprechen Zinsanlagen mehr Rendite, entscheiden sich mehr Anleger für solche Investments. Im Vergleich mit Gold werden dann beispielsweise Anleihen attraktiver. Das drückt auf die Nachfrage nach Gold und damit auf dessen Kurs. Zumal steigende Zinsen ein Indikator für eine wachsende Wirtschaft sind. Je solider aber das wirtschaftliche Umfeld erscheint, umso unattraktiver wird die "Krisenwährung" Gold.
Euro/Dollar Die EZB fährt die Anleihekäufe nur zurück, wenn sie von einer guten Konjunkturentwicklung in der Eurozone ausgeht und damit rechnet, dass ein Wiederaufflammen der Schuldenkrise kein Thema mehr ist. Damit wäre dann auch ein immer mal wieder befürchtetes Auseinanderbrechen der Währungsunion vom Tisch. Eine stabile Eurozone würde den Euro stützen und ließe ihn gegenüber dem Dollar aufwerten. Höhere Leitzinsen in der Eurozone machen - bei gleich bleibenden Leitzinsen in den USA - Investments in Euro attraktiver. Das lässt die Nachfrage nach der Gemeinschaftswährung steigen. Die Folge: Der Euro wertet gegenüber dem US-Dollar auf