BOERSE-ONLINE.de: Mehrere Tage lang war es nicht eindeutig, ob Amtsinhaber Donald Trump oder Herausforderer Joe Biden das Rennen zum US-Präsidenten machen würde. Am Samstag dann holte doch der Demokrat Biden die Mehrheit der Wahlleute. Sind Sie erleichtert?
Dr. Jörg Krämer: Eine Regierung unter Joe Biden wird wieder berechenbar sein. Wichtig ist aber auch, dass die Demokraten vermutlich keine Mehrheit im Senat errungen haben. Deshalb sind sie auf Kooperation mit den Republikanern angewiesen. Das bremst den linken Flügel der Demokraten mit ihren Steuererhöhungs- und Regulierungsplänen.

US-Präsident Donald Trump hat mehrfach angekündigt, juristische Schritte einzuleiten, sollte er die Wahl nicht für sich entscheiden können. Kann das Erfolg haben? Was bedeuten die möglichen Spannungen für die Börsen?
Bisher hat Trump keine konkreten Beweise für Wahlfälschungen präsentiert. Selbst wenn er vereinzelte Fehler oder Unregelmäßigkeiten nachweisen könnte, dürfte dies nichts am merklichen Vorsprung Bidens ändern. Die Gerichte werden Trump den Sieg nicht einfach zuschanzen. Die USA sind keine Bananenrepublik.

Welche Veränderungen erwarten Sie aus handelspolitischer Sicht? Gerade im Hinblick auf Europa und den Handelsstreit zwischen den USA und China?
Machen wir uns nichts vor. Joe Biden ist kein Anhänger des Freihandels. Er neigt ähnlich wie Trump zum Protektionismus. Die De-Globalisierung geht weiter, auch weil Biden die Anti-China-Politik fortsetzen wird. Allerdings dürfte er seine europäischen Verbündeten nicht mit Strafzöllen auf Autos und andere Güter bedrohen. Außerdem wird er die Welthandelsorganisation nicht wie Trump blockieren.

Welche Chancen und Risiken erwarten Sie für die Börsen unter dem Präsidenten Joe Biden?
Die Chancen liegen in einer Rückkehr der Planbarkeit und Verlässlichkeit - besonders auf dem internationalen Parkett. Die Risiken kommen von übersteigerten Erwartungen an Joe Biden. Auch er kann nicht über Wasser laufen.

US-Regierung und Kongress konnten sich bislang nicht auf ein neues Konjunkturprogramm einigen. Erwarten Sie, dass Präsident Biden hier vorankommt?
Wenn sich der Staub gelegt hat, werden beide Seite über ein Konjunkturprogramm reden. Vermutlich kommt es dann auch. Allerdings versprechen sich die Märkte von solchen Programmen zu viel.