Der neue US-Außenminister Antony Blinken hatte die grundsätzliche US-Kritik bereits am Dienstag im bilateralen Treffen mit Bundesaußenminister Heiko Maas vorgebracht. Er habe "vergeblich" gegen das Projekt argumentiert, berichtete das US-Außenministerium danach. Aber in Regierungskreisen in Berlin hat sich in den vergangenen Wochen der Eindruck festgesetzt, dass die US-Regierung trotz der öffentlich vorgetragenen Kritik gar kein Interesse an einer Eskalation hat - zumal sie weiß, dass zumindest diese Bundesregierung ihre Unterstützung für das Projekt nicht ändern wird.
DAS WARTEN AUF WASHINGTON HAT EIN ENDE
Seit Bidens Wahlsieg im November überlegte die Bundesregierung, wie sie sich beim Thema Nord Stream 2 aufstellen soll. Denn der Widerstand gegen den unpopulären Vorgänger Donald Trump war wesentlich leichter. Und die Erleichterung über die neue US-Regierung und deren multilateralen Ansatz ist so groß, dass man die Zusammenarbeit möglichst nicht belasten möchte. Aber die die Berliner Koalition tragenden Parteien von CDU, CSU und SPD ebenso wie die meisten Landesregierungen blieben bei der Unterstützung für das milliardenschwere und zu mehr als 95 Prozent vollendeten Projekt, das mehr russisches Gas nach Westeuropa bringen soll und an dem mehrere europäische Firmen beteiligt sind. Das betonten Kanzlerin Angela Merkel, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Außenminister Heiko Maas auch nach dem Amtsantritt Bidens immer wieder. Zentrales Argument ist, dass die Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland beim gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Atom gesichert werden müsse.
"Wir werden für eine Übergangszeit Gas brauchen, das in Deutschland nicht gefördert wird. Wir müssen die geopolitischen Interessen der Ukraine garantieren und unsere Energieversorgung durch dieses privatwirtschaftliche Projekt sichern", sagte etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident, CDU-Chef Armin Laschet, zu Reuters. Seine Kollegen im Osten, in Niedersachsen und auch in Bayern denken genauso. Sowohl Laschet als auch Maas weisen zudem darauf hin, dass die USA selbst Rohöl in Russland einkaufen - die Kritik Washingtons also ohnehin nicht konsistent sei. Zudem lehnt man die exterritorialen Sanktionen der USA gegen ein Projekt in Europa aus prinzipiellen Gründen ab.
REGIERUNG ERWARTET KEINE ESKALATION MIT DEN USA
Aber in den vergangenen Wochen kam ein entscheidender Punkt dazu: Dass Blinken das Pipeline-Projekt kritisierte, wird in der Bundesregierung überhaupt nicht als Hinweis auf eine Eskalation gesehen. Im Gegenteil verstärkt sich nach den ersten Kontakten mit verschiedenen Stellen der Biden-Regierung der Eindruck in Berlin, dass Washington ganz andere geopolitische Prioritäten hat und gemeinsam mit Deutschland an anderen Baustellen arbeiten möchte. So wird erwartet, dass Biden die Europäer eher auf eine klarere Fronthaltung gegen China einschwören will. "Die US-Regierung steht nur unter innenpolitischen Druck durch die Sanktionsbefürworter gegen die Pipeline im US-Kongress", heißt es an mehreren Stellen in der Bundesregierung. Blinken wolle mit der öffentlichen Kritik also die Falken in Washington besänftigen, lautet die Analyse.
Nun gibt es die Hoffnung auf einen Gesprächsprozess. "Wir sollten unseren europäischen Partnern und den Nordamerikanern vorschlagen, einen strategischen Dialog über Energiesicherheit zu führen, der natürlich die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen Ländern mit umfasst", sagte auch der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, zu Reuters. "Ich wünsche mir, dass das transatlantische Verhältnis in diesem Sinne in die Zukunft weist und nicht durch Sanktionsdrohungen unnötig belastet wird."
Schon vor Wochen war in Berlin zudem diskutiert worden, was denn Wege für eine "gesichtswahrende" Lösung sein könnten: Erstens könne man sich um weitere Zusicherungen an die Ukraine bemühen, dass sie ihren Status als Transitland für russisches Gas nach Westen auch mit Nord Stream 2 nicht verliert. Allerdings wird darauf verwiesen, dass die EU und Deutschland bereits einen neuen Gasvertrag des Landes mit Gazprom mit ausgehandelt haben. Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hatte zudem einen möglichen Stopp der Lieferungen aus Russland im Krisenfall vorgeschlagen. Denkbar wäre auch, dass sich Deutschland mit mehr Engagement auf anderen Gebieten als mustergültiger transatlantischer Partner erweist. Immerhin hat die Regierung gerade bekannt gegeben, dass sie im August eine Fregatte in den Indo-Pazifik schicken will, die auch durch das Südchinesische Meer fahren soll. Berlin steht auch hinter den EU-Sanktionen gegen China wegen des Vorgehens gegen die muslimische Minderheit der Uiguren - obwohl dies Spannungen im deutsch-chinesischen Verhältnis auslöste und zu Gegensanktionen führte. Beides sind Gesten auch gegenüber Washington.
Dass die Bundesregierung dagegen den 2020 gemachten Vorschlag wiederholen könnte, verstärkt auf den Ausbau von LNG-Technik zu setzen, um zur Besänftigung Washingtons auch amerikanisches Flüssiggas einzuführen, gilt als unwahrscheinlich. In der demokratisch geführten neuen Administration gebe es anders als unter Trump selbst erhebliche Vorbehalte gegen Fracking-Gas, heißt es in Regierungskreisen.
rtr