Das Gedächtnis spielt einem von Zeit zu Zeit gern einen Streich. Wenn man heute hört oder liest, dass vor 20 Jahren zum ersten Mal Euro-Münzen und Euro-Scheine ausgegeben wurden, klingt das nach einer relativ kurzen Zeit. Dazwischen lagen in Deutschland zum Beispiel lediglich zwei Bundeskanzler, ein WM-Sieg im Fußball und die schleichende Umstellung von Fax auf E-Mail. Die Geschichte des Euro ist aber so vollgepackt mit Hochs und Tiefs, mit vollmundigen Versprechen und apokalyptischen Prognosen, mit Emotionen und Schicksalen, dass die europäische Gemeinschaftswährung deutlich älter wirkt.

Das liegt auch daran, dass bis zur Einführung des Euro - 1999 als Buchgeld und 2002 dann als Bargeld - viele Jahre Vorbereitung nötig waren (dazu auch der damalige Finanzminister Theo Waigel auf Seite 19). Eine gemeinsame Währung war die Voraussetzung für einfacheren Handel, für eine bessere Vergleichbarkeit der Preise und für unkomplizierten Urlaub. Durch die Euro-Scheine und -Münzen hatten die Europäer erstmals einen handfesten Beweis des Zusammenhalts, Europa zum Anfassen sozusagen. "Der Euro als Bargeld ist für viele Menschen das sichtbarste Symbol der europäischen Integration. Ein Symbol, das wir im Alltag immer vor Augen haben, wenn wir mit Banknoten und Münzen bezahlen", sagt Franz Josef Benedikt von der Deutschen Bundesbank. Wie wichtig der Euro für die EU geworden ist, zeigte sich eindrücklich auf dem Höhepunkt der sogenannten Euro-Krise 2010. Seinerzeit rechtfertigte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die milliardenschweren Hilfspakete für Griechenland im Bundestag mit den Worten: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa - und das darf nicht passieren." Das Ende ist bekannt: Die Rettungspolitik war erfolgreich, die EU zerbrach nicht - auch dank einer aktiven Europäischen Zentralbank (EZB) - und der Euro hatte seine erste große Krise überstanden. Viele hofften damals, dass diese Erfahrung die EU enger zusammenschweißen und überfällige Reformen der Währungsunion in Gang setzen würde. Diese Hoffnung wurde enttäuscht.


"Scheitert der Euro, dann scheitert Europa - und das darf nicht passieren."
Angela Merkel (CDU), damalige Bundeskanzlerin 2010 im Bundestag

Der Euro ist nach wie vor umstritten, aktuell vor allem wegen der starken Inflation - eine Parallele zu den ersten Euro-Jahren: Denn bei der Einführung gab es viele kritische Stimmen, besonders aus Deutschland. Die EU sei kein idealer Währungsraum, die Unterschiede zwischen den Staaten zu groß und der Wechselkurs (ziemlich genau eins zu zwei von Euro zur D-Mark) für Deutschland unvorteilhaft. Zudem wollten viele Deutsche aus sentimentalen Gründen an "ihrer" Mark festhalten. Sie bezeichneten den Euro als "Teuro", weil sich - quasi über Nacht - viele Preise im Einzelhandel verteuert hatten. Statistisch ist dieser Preisanstieg aber kaum nachzuweisen. Aus dem Teuro wurde nach wenigen Jahren einfach wieder der Euro.

Wie sehr die Deutschen aber auch heute noch an der Mark hängen, zeigen Zahlen der Bundesbank. Ende 2020 waren noch immer über 6,61 Milliarden Mark im Umlauf, das entspricht etwa 164 Millionen Scheinen und mehr als 23 Milliarden Münzen. Das meiste davon, schätzt die Bundesbank, ist im Besitz von Sammlern, allerdings liegen wohl auch noch einige Münzen und Scheine im Garten vergraben oder im Keller versteckt.

Diese Größen verblassen aber, wenn man sich anschaut, wie viele Euro-Münzen und -Scheine im Umlauf sind. Denn obwohl der Zahlungsverkehr immer häufiger elektronisch oder digital abläuft, wächst die Summe an Münzen und Bargeld weiter - auf derzeit rund 1,4 Billionen Euro. Das unterstreicht, wie selbstverständlich der Euro für die Europäer geworden ist. Und dass er allen Unkenrufen zum Trotz eine Erfolgsgeschichte ist. Der Euro ist heute die offizielle Währung in 19 der insgesamt 27 EU-Staaten, mehr als 340 Millionen Menschen benutzen tagtäglich die bunten Scheine für Einkäufe oder Erledigungen.

Damit gehört der Euro zu den wichtigsten Währungen der Welt. Vor allem wirtschaftlich haben die Staaten der Währungsunion von ihm profitiert; der Wohlstand seiner Gemeinschaft hat sich unterm Strich vergrößert: Länder wie Deutschland exportieren ihre Waren barrierelos in Staaten, in denen sie früher durch Zölle oder Abwertungen behindert wurden; mehr als 40 Prozent der deutschen Exporte gehen in andere EU-Länder. Gleichzeitig wurde der Euro - verglichen mit dem US-Dollar - (bislang) auch nicht zu der befürchteten Weichwährung, sondern hat sich als überraschend wertbeständig erwiesen.

Die Geburtsfehler des Euro wurden jedoch nicht behoben. Die Erwartung der Gründer, dass aus einer gemeinsamen Währung automatisch auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik folgt, war falsch. Die Schuldenregeln sind durch das vielfache Aussetzen und Ignorieren entwertet. Die EZB muss deshalb immer stärker eingreifen, um die Risse zwischen den Euroländern zu kitten. Für eine gemeinsame politische Kraftanstrengung, für eine große Reform der Eurozone scheint der Wille zu fehlen. Das macht den Euro verwundbar und instabil.

Dennoch entwickelt sich der Euro, ähnlich wie die EU, langsam weiter. Seit 2021 testet die EZB, wie auch viele andere Zentralbanken, ob es sinnvoll ist, eine digitale Währung, einen sogenannten E-Euro, einzuführen (siehe €uro 05/2021).

Was auf den Euro in den nächsten Jahren zukommen könnte, wie das Magazin €uro zu seinem Namen kam und wie Wirtschaftsexperten die Rolle der EZB beurteilen, lesen Sie in den nächsten Ausgaben unserer kleinen Jubiläums-Serie.


"Juncker meinte, ,Euro‘ klinge nicht besonders erotisch"

Der ehemalige deutsche Finanzminister und Namensgeber des Euro, Theo Waigel (CSU), über den steinigen Weg zu einer gemeinsamen europäischen Währung, die größten Unterstützer des Euro und Vorbehalte der europäischen Nachbarn

Die Bargeldeinführung des Euro vor 20 Jahren hat eine lange Vorgeschichte. Der Maastricht-Vertrag wurde am 7. Februar 1992 unterzeichnet, für Deutschland vollzogen dies Hans-Dietrich Genscher (FDP) als Außenminister und ich als Finanzminister (CSU). Wie die Währung heißen sollte, entschied sich auf einem Europäischen Gipfel im Dezember 1995.

Frankreich hätte gern den ECU beibehalten, der Begriff für eine Verrechnungseinheit in der EU. Diesen nichtssagenden Kunstbegriff wollte ich den Deutschen, die an ihrer Mark hingen, nicht zumuten. Mark allerdings war auch nicht durchsetzbar, weil nur die Finnen mit ihrer Finnmark und vielleicht Dänemark dafür gestimmt hätten. Franken wollten wiederum die Spanier nicht, weil es dann bei Ihnen Franco geheißen hätte. In dieser Zeit gab es bereits eine Eurocard, einen Eurocopter, ja man sprach sogar von der Eurosklerose.

Da kam mir der Gedanke, den zweiten Teil wegzulassen und die neue Währung Euro zu nennen. Das stieß am Anfang allerdings auf große Widerstände: Der französische Staatspräsident Jacques Chirac forderte ein Referendum, und selbst mein Freund Jean-Claude Juncker (damaliger Premierminister von Luxemburg, d. Red.) meinte, Euro klinge nicht besonders erotisch. Letztlich stimmten alle Staaten zu, und ein Wettbewerb über die Gestaltung wurde in Gang gesetzt.

Ohne Kohl kein Euro. Bei den Münzen durfte eine Seite national und die andere Seite europäisch gestaltet werden. Die Banknoten wurden mit der Architektur Europas aus seiner Geschichte heraus gestaltet. Am 2. Mai 1998 fiel die Entscheidung in Brüssel über den Beginn der Währungsunion und die Teilnehmer. Am 1. Januar 1999 wurde dann der Euro als Bankwährung in allen teilnehmenden Ländern eingeführt. Doch die meisten Europäer rechneten noch in ihrer nationalen Währung, und für Deutschland und für die Deutschen war es relativ einfach, weil ein Euro ungefähr zwei D-Mark entsprach. Am 1. Januar 2002 erhielt ich einen Starter mit allen Münzen und ließ ihn vom früheren Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) unterschreiben, ohne den die gemeinsame europäische Währung nicht zustande gekommen wäre. Anfangs meinten viele Deutsche, mit der konkreten Einführung des Euro habe auch eine erhebliche Preissteigerung stattgefunden. Dies gab es in kleinerem Umfang in einigen Bereichen. Doch die Statistik zeigt, der Euro war in all den 20 Jahren nicht minder stabil als die geliebte Deutsche Mark. Aus meiner Zeit als Finanzminister habe ich noch fast alle europäischen Münzen, auch die Münzen der früheren DDR, in meinem Besitz und vergleiche sie manchmal mit unserer gelungenen europäischen Währung. Ich gehöre zu denen, die auch künftig so viel Bargeld in ihrer Geldbörse mit sich tragen, wie sie zum normalen Einkaufen oder Bezahlen im Restaurant benötigen. Das Bargeld wird bleiben, auch wenn sein Einfluss abnimmt.
Theo Waigel (Jahrgang 1939) war von 1989 bis 1998 deutscher Finanzminister.