€uro: Wird sich die starke Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen 2022 fortsetzen?


Wiebke Merbeth (Leiterin Public Affairs & Nachhaltigkeit, BayernInvest): Sie wird sich nicht nur fortsetzen, sondern extrem beschleunigen. Im dritten Quartal sorgen die regulatorischen Vorgaben von Mifid II für Rückenwind, weil jeder Privatinvestor gefragt werden muss, ob er nachhaltig investieren will. Doch bereits im Vorfeld lassen sich nachhaltige Investments immer besser in Zahlen ausdrücken. Durch die Offenlegungsverordnung und die EU-Taxonomie können wir zudem die verfügbaren Daten immer besser vergleichen. Der zu erwartende Nachfrageboom ist also einmal regulatorisch getrieben, aber zudem auch über eine deutlich verbesserte Datenlage organisiert.

Sandra Crowl (Stewardship Director, Carmignac): Das Interesse an nachhaltigen Anlagen wird in diesem Jahr anhalten, da die Endanleger über nachhaltige Fondsangebote informiert sind und sich ihre Anlagepräferenzen in Richtung Nachhaltigkeit ändern. Außerdem, und das ist das Wichtigste, erwarten wir ein stabiles Wachstum von Nachhaltigkeitsthemen aufgrund der EU-Verordnung und der verbesserten Transparenz der Unternehmen in Bezug auf ihre ESG-Belange, sodass wir in Zukunft hervorragende und breitere Anlagemöglichkeiten erwarten.

Philipp Dobbert (Chefvolkswirt und stv. Leiter Anlagemanagement quirion): Bereits jetzt haben Kunden ein starkes Eigeninteresse. Unsere vor zwei Jahren gestartete nachhaltige Strategie war - ohne dass wir groß die Werbetrommel gerührt hätten - mit Abstand die erfolgreichste Produkteinführung. Eine wichtige Unterstützung war sicherlich, dass ein gutes ESG-Rating ein leichtes Tech-Übergewicht mit sich bringt. Entsprechend hatten nachhaltige Produkte einen Anlegerbonus durch überdurchschnittliche Performance.

Peter Saß (CEFA®Investmentanalyst/DVFA NORD/LB): Als mittelständischer Vermögensverwalter sind wir stark auf Privatkunden ausgerichtet. Unsere institutionellen Kunden haben durch die Gremien klare Vorgaben, weshalb unsere fondsbasierte nachhaltige Vermögensverwaltung seit zehn Jahren sehr gut ankommt. Privatanleger waren bisher noch zögerlich, ziehen aber nach.

Dominik Scheck (Leiter ESG CH & EMEA, Credit Suisse): Das Interesse steigt, weil sich die Basis enorm verbreitert. Das hat zwei Ebenen: Zur Regulatorik kommt die mediale Präsenz. Wir brauchen aber mehr Aufklärung und Training, damit allen Marktteilnehmern klar wird, dass Nachhaltigkeit viel mehr umfasst als das momentan beherrschende Thema Klimawandel.

Können Sie grob umreißen, was alles unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist?


Dobbert (quirion): Momentan werden im Markt vor allem drei Ansätze immer bedeutender. Schon die geläufigen ESG-Kriterien gehen weit über frühere "grüne" Eckpfosten hinaus. Das Kürzel steht für Environmental, Social and Governance, zu Deutsch Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Daneben gibt es den Ansatz des werteorientierten Investments (Socially Responsible Investment, SRI) und die Berücksichtigung der 17 Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs).

Scheck (Credit Suisse): Bisher war das E im Kürzel ESG - also Umwelt und Klimawandel - das prägende Thema, das auch durch Daten am besten unterfüttert war. Mittlerweile sind auch auf der sozialen Seite und zu anderen Umweltthemen sehr gute Informationen verfügbar, etwa für Biodiversität, Umweltverschmutzung oder Abfallmanagement. Je besser die Zahlenlage, desto leichter werden solche Themen im Portfoliomanagement umsetzbar.

Saß (NORD/LB): Speziell Privatanleger setzen Nachhaltigkeit 1:1 auf die Umweltschiene. Folglich gibt es heftige Diskussionen, ob man die Umwelt so stark in den Vordergrund stellen sollte. Für mich als nachhaltigen Portfoliomanager greift das zu kurz: Das G ist der entscheidende Faktor. Erst saubere Unternehmensführung lässt auf den Erfolg eines Geschäftsmodells setzen. Sie ist die Grundlage dafür, dass man die anderen beiden Faktoren sinnvoll einordnen kann. Eine Unternehmung muss sich insgesamt zukunftssicher aufstellen.

Merbeth (BayernInvest): Generell hat sich Nachhaltigkeit von ihren Ursprüngen durch vornehmlich kirchliche Investments und Ethikfonds emanzipiert. Moderne Nachhaltigkeit definiert sich deutlich anders und wird sich in den kommenden Jahren noch viel konkreter ausprägen. Das Wort "Überzeugungstäter" illustriert diesen Wandel sehr anschaulich: Wir kommen aus einer Phase der Überzeugungstäter unter Anbietern, Privatkunden, Beratern und Institutionellen. Jetzt ist Nachhaltigkeit "Allgemeingut". Alle Anleger werden in die Verpflichtung genommen. Der Druck nimmt durch Offenlegungs- und Transparenzvorschriften zu, und dank verbesserter Datenqualität kann Nachhaltigkeit vielschichtiger integriert werden.

Scheck (Credit Suisse): Die Abgrenzung der nachhaltigen Bereiche ist auch thematisch wichtig. Die Kürzel ESG, SDG oder SRI - um nur die geläufigsten zu nennen - stehen für Bereiche, die sich überschneiden und die man als Assetmanager trotzdem gesondert angehen sollte. Beim ESG geht es um den Ist-Zustand von Unternehmen, darum, Informationen zu deren Umgang mit Umwelt, Sozialem und Führungspraxis zusammenzutragen und einzuordnen. Die Portfoliomanager müssen ESG-Faktoren in ihren Investmentprozess integrieren. Dabei geht es nicht nur darum, Risiken zu erkennen, sondern auch Chancen im Portfoliokontext zu sehen und sie in den Anlageentscheidungen zu berücksichtigen.

Crowl (Carmignac): Nachhaltiges Investieren ist langfristiges Investieren. Jedes Unternehmen, das seine ESG-Risiken nicht in Betracht zieht, ist zum Scheitern verurteilt. Bei Carmignac bedeutet nachhaltiges Investieren, verantwortungsbewusst in Firmen zu investieren, die ihre ESG-Risiken berücksichtigen und abmildern. Wir ziehen auch Investitionen in Unternehmen in Betracht, von denen wir glauben, dass sie durch ihre Waren und Dienstleistungen einen positiven Beitrag zur Gesellschaft oder zu unserem Planeten leisten.

Welche Abgrenzung gibt es zwischen den einzelnen Nachhaltigkeitskriterien?


Scheck (Credit Suisse): In vielen unserer Produkte gehören ESG-Faktoren mittlerweile selbstverständlich zum Investmentprozess. Bezug zu den SDGs stellen wir nur im Hinblick auf besondere Produkte her, es ergibt keinen Sinn, von SDGs bei einem Aktienportfolio zu sprechen, das beispielsweise den globalen Aktienmarkt abdecken soll. Wenn wir aber einen thematischen Fonds haben, der Umwelt- oder Klimaschutz betrachtet, macht ein Bezug zu SDGs dagegen sehr viel Sinn. Thematische Fonds sehen wir Impact-getrieben, Standardprodukte dagegen eher im Bereich ESG.

Crowl (Carmignac): Wir versuchen, Nachhaltigkeitskriterien zu verstehen, indem wir so viele zuverlässige Unternehmensdaten und messbare Ziele wie möglich heranziehen, sodass nachhaltiges Investieren eher eine Wissenschaft als eine Kunst ist. Nachhaltigkeitskriterien, E, S und G, haben nicht für jedes Unternehmen, jeden Sektor, jede Region und jede Kapitalisierung die gleiche Bedeutung, sodass wir dies durch unser firmeneigenes Scoring-System nuancieren und nur das bewerten, was für unsere Anlagen und das Unternehmen wesentlich ist. Ein Pharmaunternehmen wird nicht dieselben Umweltauswirkungen haben wie beispielsweise ein Zementhersteller.


Dobbert (quirion): Wobei wir bei der Beschreibung von Impact vorsichtig sein müssen. Es ist sehr schwer, die Wirkung in der realen Welt nachzuweisen. Wir verhalten uns aus Risikogründen bei Impact-Investments sehr zurückhaltend. Auf der einen Seite winkt zwar eine hohe Nachhaltigkeit. In vielen Fällen ist aber das Verhältnis von zu erzielender Rendite und eingegangenem Risiko nicht günstig. Vor allem die starke Konzentration auf einige wenige Engagements macht Impact-Investments oft risikoreicher. Das wollen wir vermeiden, um auch nachhaltige Anlageerfolge zu ermöglichen.

Merbeth (BayernInvest): Allerdings ist der mögliche Impact ein wichtiger Gradmesser für sensibel adjustierte Risikoausschlüsse. Ohne investiert zu sein, kann man keinen Eignereinfluss nehmen. Man denke nur daran, was durch Stewardship im letzten Jahr bei ExxonMobil bewirkt wurde. BayernInvest räumt einem Engagement hohen Stellenwert ein. Wir arbeiten hier mit BMO zusammen, einem der großen Engagementund Stewardship-Partner der Welt. Wir wägen stets das absolute und relative Risiko ab und wollen von der Transformation profitieren.

Man muss also nicht alles selbst machen, sondern kann auch Impact-Allianzen bilden?


Saß (NORD/LB): Genau, kleinere Anbieter müssen ihr Engagement über Bande spielen. Konkret delegiert man die Einflussnahme dann auf entsprechend aktive Fonds oder ETFs, die das mit Nachdruck umsetzen können. Sie haben das Anlagevolumen und die Manpower, um auf Hauptversammlungen Gewicht und Stimme zu haben. Unsere Fonds liegen bei der DEKA, die sich (nicht nur für unsere Anleger) für nachhaltige Unternehmensaufstellung stark engagiert.

Dobbert (quirion): Der delegierte Einfluss auf den Wandel ist ein wichtiges Thema. Wir arbeiten mit ETFs und Anlagefonds und legen großen Wert darauf, dass deren Einflussstrategien schnell aus den Kinderschuhen kommen. Einzelne Anbieter wie Robeco sind hier schon lange aktiv, aber wir stehen mit allen Anbietern im aktiven Austausch. Wir haben die von uns berücksichtigten ETF-Anbieter aufgefordert, den nächsten großen Schritt in diese Richtung zu gehen. Man muss breit gestreut in Unternehmen investieren, die sich auf den Nachhaltigkeitsweg gemacht, aber ihr Ziel noch nicht erreicht haben. Nur so kann eine Investition auch Einfluss nehmen.


Merbeth (BayernInvest): Beifall! Dieser Best-in-Transition-Ansatz und das dazugehörige Engagement sind enorm wichtig, haben aber ihre Tücken. Denn für die nächsten zwei bis drei Jahre ist es noch relativ einfach. In diesem Zeitraum sprechen wir die Baustellen an und wirken so auf eine Veränderung hin. Nach diesem Zeitraum muss mangelndes Aktivwerden sanktioniert werden. Dann müssen Titel abgestoßen werden, da die Risiken mangelnder Transformationsbereitschaft als zu hoch angesehen werden. Zielkonflikte innerhalb verschiedener Nachhaltigkeitsthemen und bei der Portfoliokonstruktion gegenüber der Benchmark stellen dann eine neue Herausforderung dar.

Scheck (Credit Suisse): Man wird diesen Spagat nicht vermeiden können: Ohne investiert zu sein, kann man Stimmrechte nicht ausüben oder sonst Einfluss nehmen. Allerdings geben wir nur ausgesuchten Unternehmen eine Chance, sich besser aufzustellen, und kontrollieren die Fortschritte. Ein Komitee prüft, was sich getan hat und ob auf unsere Initiativen eingegangen wurde. Falls das nicht erfolgt ist, wird das Unternehmen ausgeschlossen.

Historisch gesehen haben Ausschlüsse der Nachhaltigkeit die Bahn bereitet?


Merbeth (BayernInvest): Das stimmt, aber das gehört für mich in die alte Welt: Daher mag ich das Wort Ausschlüsse nicht. Moderner wäre es, von Mindeststandards und Umsatzschwellen zu sprechen, um die es letzten Endes auch geht. Schwere Kontroversen zum Global-Compact-Standard können Kursverluste nach sich ziehen, genauso wie Geschäftsfelder, die sich eine aufgeklärte Gesellschaft künftig nicht mehr leisten will. Wir verknüpfen dabei zwei Enden: zum einen die Berücksichtigung von Menschenrechtsstandards und schweren Kontroversen, zum anderen die signifikante Reduktion des Klimafußabdrucks. Schlichtweg weil beides die Risiken deutlich reduziert.


Dobbert (quirion): Um das zu begrenzen, sind unsere Strategien auf der offenen Seite des Trichters zu finden. Sie sind so breit wie irgend möglich international diversifiziert unterwegs. In der nicht nachhaltigen Form setzen wir auf etwa 8000 Einzeltitel, in der nachhaltigen Variante bleiben davon über ETFs und Anlageklassenfonds noch etwa 3500 übrig. Daher gehen wir sehr sparsam mit Ausschlüssen um: Nur kontroverse Waffen und Verstöße gegen den UN-Global-Compact-Standard sind für uns No-Gos - das aber mit null Prozent. Darüber hinaus prüfen wir akribisch, wie viel mehr Nachhaltigkeit oder ESG-Score-Verbesserung wir für jede Aufgabe von Diversifikation bekommen. Dieser iterative Prozess stoppt sofort, wenn wir überproportional Diversifikation aufgeben müssten, um unterproportional das ESG-Scoring des Depots zu verbessern. So bleibt ein breit diversifiziertes Portfolio, das im Vergleich zum MSCI World Index 55 Prozent weniger CO2-Ausstoß verursacht und im MSCI-ESGScoring um gut 30 Prozent besser dasteht.

Saß (NORD/LB): Als mittelständischer Portfoliomanager setzen wir auf Large und Mid Caps. Das sorgt für Wiedererkennungswert im Portfolio, den viele Kunden schätzen. Unser Ausgangsuniversum liegt bei 800 bis 900 Werten. Wir haben klare Ausschlusskriterien. Alkohol, Tabak sind für uns tabu, und bei Verstößen gegen den UN Global Compact ziehen wir schon die Reißleine, wenn die Watchlist zu groß wird. Bei Staatsanleihen ist Schluss, wenn der Freedom House Index nicht passt - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die verbleibenden Titel rangieren nach ihrem ESG-Score, wobei wir MSCI-Daten mit denen von Bloomberg bei den Large Caps aggregieren, die ja Sustainalytics mitliefern. Das Resultat ist ein schlankes Portfolio, das nachhaltige ETFs und Fonds ergänzt, die für die nötige Diversifikation sorgen.


Crowl (Carmignac): Während das negative Screening, das schädliche Sektoren vermeidet, die Grundlage der ersten Nachhaltigkeitsfonds war, hat diese Art von Ausschlusspolitik auch heute noch einen wichtigen Platz. Unsere Fonds mit einer Einstufung nach Artikel 8 Transparenzverordnung SFDR (73 Prozent unserer Fondspalette ab dem 1.1.2022) reduzieren ihr Universum um mindestens 20 Prozent. Diese Reduzierung wird hauptsächlich durch die Entfernung von Unternehmen mit hohen ESG-Risiken, die sich in einem sehr niedrigen ESG-Scoring widerspiegeln, sowie durch den Ausschluss bestimmter Sektoren wie Tabak, Waffen, Kohle und Energieunternehmen mit hohen Emissionswerten erreicht. Der Mischfonds Carmignac Portfolio Patrimoine Europe schließt beispielsweise ein Fünftel des Aktien- und Unternehmensanleiheuniversums aus. Wie bei den Staatsanleihen schließen wir auch Länder aus, die erhebliche ESG-Risiken aufweisen, die wir durch unsere eigene Bewertung auf Grundlage öffentlicher Daten des IWF, der Weltbank usw. ermitteln. Diese Ausschlüsse schränken zwar das Anlageuniversum ein, sind aber für die Erzielung langfristiger nachhaltiger Renditen unerlässlich.

Merbeth (BayernInvest): Ein globales Aktienportfolio enthält 5800 Titel, drei Prozent davon verstoßen gegen Menschenrechte oder andere schwer kontroverse Geschäftspraktiken. Weitere zwei Prozent der Titel fallen heraus, weil sie mit fossilen Brennstoffen das Gros ihrer Umsätze erzielen. Beides ist jedoch verschmerzbar. Schließlich sorgt die Optimierung der Klimakennzahlen für eine Reduktion von 25 Prozent der Titel. Dies ist der signifikante, aber mit Blick in die Zukunft bedeutende Part. Unterm Strich bleiben mit 4080 investierbaren Unternehmen gut zwei Drittel übrig. Damit lässt sich ein Portfolio reibungslos managen. Aktuell sind in dem Fonds 114 Titel.

Scheck (Credit Suisse): Unsere Ausschlusskriterien sind Mindestkriterien: beispielsweise sind kontroverse Waffen generell aus allen Mandaten und Fonds ausgeschlossen, egal ob sie aktiv oder passiv gemanagt werden. Für die aktiv gemanagten Produkte, die wir nach Artikel 8 oder 9 Transparenzverordnung selbst als nachhaltig klassifizieren, fallen auch konventionelle Waffen, Rüstungsgüter, Tabak und Kohle heraus, wobei eine niedrige Umsatzgrenze toleriert wird. Dass wir nicht radikaler vorgehen, ist der aktiven Ownership geschuldet. Das thematische Engagement läuft über unser ESG-Team, wobei wir uns auf Spezialthemen konzentrieren. Ein Beispiel dafür ist etwa die Lebensmittelverschwendung und ob und wie Restaurantund Hotelketten versuchen, diese zu reduzieren oder ganz zu vermeiden.

Welche Rolle spielen die UN-Ziele (SDGs) für Ihren Investmentprozess?


Dobbert (quirion): Sustainable Development Goals spielen für uns keine steuernde Rolle. Wir haben hier keine Neben-Heuristik, die eines der 17 Ziele der UN besonders ins Auge fasst. Allerdings können wir die positiven Auswirkungen unserer Investments auf die unterschiedlichen SDGs verdeutlichen. Beispielsweise Gender-Neutrality am Arbeitsplatz. Aus unserer Sicht sind das aber nur Einzelaspekte und keine Steuerungsmetrik für die Strategie selbst.


Saß (NORD/LB): Daher haben auch wir unseren Investmentprozess nicht darauf ausgerichtet. In der Kommunikation mit dem Privatanleger sind die SDGs aber sehr schön plastisch. Man kann die verschiedenfarbigen Icons verwenden und greifbar machen, was sich verbessert, wenn man darauf achtet. Der zweite Punkt sind nachhaltige ETFs, die sich themenbezogen auf spezielle SDGs - etwa Ziel 2, Welternährung - beziehen.

Scheck (Credit Suisse): SDGs sind für themenbezogene Strategien maßgeblich wie den Environmental Impact Equity Fund (WKN: A2P 6JC) oder Edutainment (A2P Q7Q), der weltweit auf bezahlbares Lernen abzielt. Dazu kommen ein Green-Bond- und ein klimaneutrales Immobilienprodukt (A0H F6B; A2P EAY). Für zwei davon gibt es jeweils einen Impact-Report, der im Detail zeigt, welche positiven ökologischen und sozialen Effekte (Impact) unsere Investments auf die Firmen haben.

Crowl (Carmignac): Wir nutzen den gut dokumentierten SDG-Rahmen, um Unternehmen zu bewerten, deren Einnahmen zu mehr als 50 Prozent aus Geschäftsaktivitäten stammen, die auf eines der UN-Ziele ausgerichtet sind. Nicht alle SDGs können auf investierbare Ideen übertragen werden. Wir verwenden 9 von 17. Gemäß unserem Outcomes-Framework müssen mehr als 50 Prozent der Investitionen eines Fonds auf diese Ziele ausgerichtet sein. Ab dem 1. Januar 2022 wird dieser Rahmen auf sieben unserer Aktienfonds mit unterschiedlichen Anlagestilen angewendet.

Merbeth (BayernInvest): Wir fokussieren klar die Maßnahmen zum Klimaschutz, SDG 13, sowohl bei der Stimmrechtsausübung als auch bei der Ausrichtung von Investments und dem Reporting.

Gibt es dabei Unterschiede zwischen den Emerging Markets und den Industrieländern?


Scheck (Credit Suisse): In den Emerging Markets ist es mit Engagement und Stimmrechtsausübung nicht ganz einfach. Es gibt nicht überall die Bereitschaft, sich auf solche Formen des Dialogs einzulassen. Es wird zwar besser, erreicht aber nicht das Niveau wie in Europa oder (mit Einschränkungen) in den USA. Wir haben vor Kurzem einen Spezialisten für Stimmrechtsausübung in Emerging Markets ins Team geholt, um die kulturellen Unterschiede bei einer solchen aktiven Einflussnahme in China oder Taiwan besser auffangen zu können. Merbeth (BayernInvest): Mit dem Lieferkettengesetz und der Einführung der sozialen Taxonomie werden auch die Unternehmen des globalen Südens stärker in die Verantwortung genommen …

Dobbert (quirion): … weshalb auch wir die Emerging Markets in unserer Nachhaltigkeitsstrategie behalten haben. Die Abdeckung mit Daten und deren Belastbarkeit fällt gegenüber den Industrieländern ab. Für mich als Volkswirt eine Abwägungsfrage: "Was möchte ich haben und was bin ich bereit, dafür zu zahlen?" Wir bezahlen bewusst die Datenlücken in diesen Regionen und die Datenungenauigkeit damit, dass der Hebel in den Emerging Markets sehr groß ist. Diese Wirkkraft auf nachhaltige Veränderung versöhnt auch mit dem zweiten Missmatch: Man kann durch die geringere Kapitalmarktzugänglichkeit beispielsweise nur einen Bruchteil der chinesischen Unternehmen erreichen.

Crowl (Carmignac): Es gibt viele Möglichkeiten, die Gemeinschaften in den Schwellenländern und ihr Umfeld zu beeinflussen. Einige Beispiele: 1. Unterstützung von Unternehmen bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen und der Hinwendung zu erneuerbaren Energien und effizienterer Energienutzung durch unsere Investitionen in ihr Kapital oder ihre Schulden. 2. Investitionen in Unternehmen, die kostengünstige Produkte und Dienstleistungen anbieten, um das verfügbare Einkommen unterversorgter Gemeinden zu erhöhen. Und 3. Finanzunternehmen, die Darlehen zur Finanzierung von Wohnraum und Privatkrediten, insbesondere über Online-Dienste, für die unterversorgten Gebiete bereitstellen.

Saß (NORD/LB): Nach unseren Erkenntnissen liefern aktiv gemanagte Fonds deutlich bessere Ergebnisse in Emerging Markets. Wir prüfen daher das Management nach dessen Nachhaltigkeitsstrategie und dessen Prozessen. Wir möchten möglichst mindestens ein "A"-Rating von MSCI, was schwer zu finden ist. Daher können wir auch mit "BBB" leben.

Merbeth (BayernInvest): Wobei es mittlerweile auch für die dortigen Aktien eine große Datenvielfalt gibt, sodass man sehr gezielt investieren kann. Wir bereiten für dieses Jahr einen Emerging-Markets-Aktien-Klimaschutzfonds vor. Und dabei führt die Klimaoptimierung für dieses Aktienuniversum mit einem halbierten Klimafußabdruck gegenüber der Benchmark zu sehr guten Ergebnissen.

Bleiben die überzeugenden Erfahrungen mit der nachhaltigen Performance weiter valide?


Merbeth (BayernInvest): ESG heißt zuvorderst nicht, dass wir etwas einfach ganz ausschließen, sondern dass wir uns der Risiken bewusst sind. Und dann überlegen, dass wir Stewardship-Maßnahmen ergreifen, dass wir in den Dialog gehen, dass wir Pufferzonen ausarbeiten. Wir managen unter anderem den DKB Nachhaltigkeitsfonds Klimaschutz mit ausgezeichneten Performanceergebnissen, gerade weil diese Strategie die Gewinner von morgen identifiziert.

Dobbert (quirion): Trotzdem behält eine monetäre Rendite auch im nachhaltigen Portfolio eine entscheidende Bedeutung. Dabei kommt es weniger darauf an, wie hoch sie ist, sondern ob sie dem eingegangenen Risiko angemessen ist. quirion ist auch als Haus nachhaltig nach ESG-Kriterien aufgestellt, es ist also in Bezug auf den Buchstaben S ein wichtiges Verhalten, dass unsere Anleger auch für ihre Engagements belohnt werden. Wir als Dienstleister müssen Portfolios anbieten, deren Renditen in einem sinnvollen Verhältnis zum eingegangenen Risiko stehen. Hier sehen wir auch in der Zukunft einen gewissen Renditevorteil: Es gibt nach wie vor keinen Grund, warum es bei einer genügend breit diversifizierten Strategie zu signifikanten Performancenachteilen kommen sollte. Allerdings ist es auch kein Naturgesetz, dass Unternehmen mit nachhaltiger Strategie in jedem Börsenjahr eine bessere Rendite erzielen müssen.

Saß (NORD/LB): Wir sind zuversichtlich, unsere nachhaltige Vermögensverwaltung auf Fremdfonds-Basis war über zehn Jahre betrachtet die beste Strategie. Viele Kunden wollen Vermögenszuwachs oder Vermögenserhalt, weshalb das Thema Governance bei uns Priorität hat. Mit Blick auf die Zukunft wird nicht alles beim Alten bleiben: Der starke Fokus auf Technikwerte hatte sich sehr positiv bemerkbar gemacht. Der Wind kann sich drehen und den entsprechenden nachhaltigen Produkten in den nächsten Monaten einiges Kopfzerbrechen bereiten. Selbst ein Performance-Nachteil auf ein, zwei Jahre ist nicht auszuschließen - wenn auch nicht zwangsläufig. Von steigenden Zinsen profitieren oft Value-Titel, von denen viele, was Umweltstandards angeht, zur traditionellen Industrie zählen. Das muss man als ernst zu nehmender Anbieter mit den Kunden im Vorfeld besprechen.

Scheck (Credit Suisse): Als Assetmanager legen wir natürlich den Fokus auf risikogerechte Renditen. Langfristig rechnen wir ganz klar damit, durch Berücksichtigung des Themas Nachhaltigkeit eine Überrendite zu erreichen. Dafür sorgen wir, indem wir nachhaltige Firmen übergewichten. Unternehmen, die sich nicht mit ESG-Themen beschäftigen, werden in der Zukunft voraussichtlich ein geringeres Wachstum aufweisen. Wir alle in der Runde filtern gewisse Risiken heraus, die sich vielleicht nicht in den nächsten zwei Quartalen auswirken, aber ziemlich sicher in den nächsten drei, fünf, zehn Jahren. Und über die einzelnen Faktoren versuchen wir auch zu erkennen, wohin die Reise gehen wird.

Crowl (Carmignac): Säkulare Wachstumsthemen haben sich über mehrere Jahrzehnte aus der Dringlichkeit von Investitionsströmen zur Bewältigung des Klimawandels, von Lösungen für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit und von verantwortungsvolleren Konsummustern entwickelt. Diese "Wachstumsunternehmen" erfordern eine langfristige Finanzierung. Sie können auch eine kleine Struktur, eine geringere Rentabilität und höhere Multiplikatoren aufweisen. Und schließlich sind Unternehmen, die traditionell "wertorientiert" waren und in Sektoren mit niedrigeren Multiplikatoren tätig sind, wie zum Beispiel im Verkehrs- und Versorgungssektor, jetzt langfristige Wachstumsunternehmen. Innovationen spielen bei der künftigen Bewertung dieser Unternehmen eine große Rolle, und im Verständnis dieser Technologien sehen wir unseren Vorteil.

Merbeth (BayernInvest): Die Performance ist nicht zuletzt eine Frage des Investmentansatzes. Deswegen haben wir vorher Engagement und Transformation so unterstrichen. Denn damit steigern wir die Zahl der investierbaren Zielunternehmen, die man durch Fundamentalanalyse und quantitative Unterstützung zu einem klimafreundlichen Portfolio zusammenstellen kann.

Welche Rolle spielen dabei die Datenanbieter wie ISS, Sustainalytics und MSCI?


Dobbert (quirion): Die Datenbreite bei MSCI ist bis in den Mid-Cap-Bereich groß. Bei den Small Caps wird es bereits etwas dünner, es gibt aber immer noch eine gewisse Abdeckung. Da wir vor allem mit ETFs auf nachhaltige Indizes unterwegs sind, ist der Teil des Portfolios, der nicht mit ESG-Kriterien erfasst ist, sehr klein. Was die Datenanbieter angeht, wird es aus Kundenperspektive und seitens der Regulatorik verstärkt um das Plausibilisieren von ESG-Aussagen gehen. Man wird also MSCI-Ratings mit den Urteilen von konkurrierenden Anbietern wie ISS oder Sustainalytics überprüfen müssen. Dazu muss aber die Vergleichbarkeit besser werden, was auch für uns großen Stellenwert bekommt. Noch ist ein einheitliches Bild sehr schwierig, wenn man mehrere Anbieter heranzieht.

Merbeth (BayernInvest): Ohne externe Datenanbieter geht es nicht. Wir müssen uns nur bewusst sein, dass verschiedene Herangehensweisen und unterschiedliche Quellen genutzt werden. Dies führt naturgemäß zu variierenden Ergebnissen, die ich für den Markt aktuell aber begrüße. Es wäre schlimm, wenn alle die gleiche Nachhaltigkeitsbrille aufhätten. Wichtig ist, dass die verschiedenen Anbieter nachhaltig liefern. Jeder Portfoliomanager muss für sich selbst entscheiden, wie er mit dem Zahlenmaterial umgeht - jede Ratingagentur übrigens auch. Wichtig: Es darf keine Blase aufgrund von einheitlichen Daten entstehen.

Dobbert (quirion): Privatanleger stellen sehr wohl die Frage, ob der Datenanbieter verlässlich ist. Sie wollen überprüft wissen, ob und wie verlässlich die Nachhaltigkeitseinschätzungen sind. Das ist für viele unserer Kunden ein Thema und hat mit der Green-Washing- Diskussion zu tun: Sie wollen definitiv nicht in die Irre geführt werden.

Saß (NORD/LB): Wir sehen eine Konsolidierung (und Spezialisierung) in der Branche. imug war ein sehr guter Datenlieferant, MSCI ist internationaler und bekannter. Das schätzen speziell institutionelle Investoren. Die Daten sind schlank und in unser Vermögensverwaltungsprogramm integrierbar. Man kann eigene Kriterien programmieren, dazu passende Alerts bekommen sowie die Fondsratings zu aktiv gemanagten Produkten und ETFs. Zudem nutzen wir Daten von Bloomberg, der zu Large Caps Sustainalytics- Urteile zur Verfügung stellt.

Scheck (Credit Suisse): Einige wenige institutionelle Kunden setzen heute bereits ein Mindestrating von MSCI voraus. Sie möchten mindestens ein "BBB" oder "A" haben. Das schränkt den Spielraum eines Fondsmanagers ein, denn er muss ja auf den Bedarf eingehen. Das Problem: Der Ansatz von Sustainalytics beispielsweise sieht komplett anders aus als der von MSCI. Folglich habe ich vor mir Äpfel und Birnen, Zutaten für einen Obstsalat. Der Abgleich von Daten ist alles andere als trivial und nicht mit einem Mittelwert getan.

Crowl (Carmignac): Die Vielfalt der Zahlen ist eine Herausforderung. Wir nutzen viele Quellen für ESG-Rohdaten von Unternehmen wie Refinitiv und Factset, aber auch Trucost für Kohlenstoffemissionen und andere Umweltfaktoren. Wir fassen die Rohdaten in unserer proprietären START-ESG-Plattform zusammen, die den Investmentteams jederzeit zur Verfügung steht. Das START-Scoring-System weist den Unternehmen für jeden der 31 von uns überwachten ESG-Indikatoren ein Perzentil-Ranking zu. Wir haben 90 Vergleichsgruppen definiert, die Unternehmen aus denselben Regionen mit ähnlicher Marktkapitalisierung und natürlich mit ähnlichen ESG-Themen umfassen. Der einfache Zugang zu diesen Bewertungen und Daten hilft dem Anlageverwalter, sich eine Meinung über ESG-bezogene Risiken zu bilden, die er um seine eigene Sichtweise ergänzt. Wir haben auch begonnen, künstliche Intelligenz zu integrieren, die uns vorausschauende ESG-Stimmungsindikatoren liefert, um uns einen Vorsprung vor Daten zu verschaffen, die oft mehr als ein Jahr zurückliegen. Wir nutzen auch prädiktive Daten aus sozialen Umfragen.

Merbeth (BayernInvest): Die Integration der Daten kostet Zeit und Geld, ist aber unumgänglich, um zukunftsorientiert ausgerichtet zu sein. Wir möchten nicht der Dominostein sein, der als Letztes umfällt. Wir müssen rechtzeitig erkennen, wann Einzelwerte durch die Regulatorik, aber auch durch das Marktumfeld selbst nicht mehr investierbar werden. Neben einer besseren risikoadjustierten Performance, die wir bereits nachweisen können, stellt das Risiko gestrandeter Vermögenswerte in der Zukunft ein signifikantes Risiko dar. Und das ist keine Diskussion von vielen Jahren, sondern wenigen Quartalen.

Welches sind Ihre Kernanliegen für die kommenden Jahre?


Dobbert (quirion):Wir brauchen eine Nachhaltigkeitsrendite, damit die Investoren bei der Stange bleiben, und wir brauchen ein vernünftiges Rendite-Risiko-Verhältnis. Das hat viel mit Diversifikation zu tun. Zudem sollten wir kein gutes Gewissen verkaufen, sondern zum nachhaltigen Wandel beitragen. Folglich dürfen wir nicht die Teile des Kapitalmarkts bevorzugen, die auch ohne den zigtausendsten Investor bereits weitgehend nachhaltig sind.

Saß (NORD/LB): Man muss Rendite und Risiko ins richtige Verhältnis setzen und darf Nachhaltigkeit nicht als Schlagzeile nur einfach oben drüberschreiben. Die Regularien werden sich verschärfen, und wir wollen weiter engagiert vor der Kurve bleiben. Dazu müssen wir unsere Grenzen kennen: Wir analysieren Unternehmen sehr genau und stellen gezielte Portfolios zusammen. Das ist neben dem Kundenkontakt unsere Hauptaufgabe und Kernkompetenz.

Crowl (Carmignac): Nachhaltige Investitionen und die Überwachung von ESG-Risiken sind heute ein fester Bestandteil der Prozesse von Investmentmanagern in Europa. Bei Carmignac sind seit dem 1. Januar bereits 90 Prozent der Fondspalette als Artikel 8 (73 %) oder Artikel 9 (18 %) eingestuft. Als aktiver, innovativer Vermögensverwalter ohne Benchmarking verfügen wir über einen eigenen ESG-Bewertungsprozess. Wir nutzen modernste Technologie, um ESG-Informationen zu erfassen und ESG-Risiken und -Auswirkungen zu messen. Dies stellt unsere Anlageentscheidungen auf eine zukunftssichere Basis.

Scheck (Credit Suisse): Wir dürfen als Assetmanager nicht nur vereinzelte Fonds auf den Markt bringen, sondern müssen das Ziel haben, die Produktpalette komplett umzustellen. Das treiben wir mit Elan voran und werden auf der aktiv verwalteten Seite in naher Zukunft fast nur noch nachhaltige Angebote bereitstellen. Das Thema ESG wird in Zukunft ein Standard sein, nicht wie in der Vergangenheit eine Ausnahme. Und wir demonstrieren, dass wir Active Ownership sehr wörtlich nehmen und im Dialog keine lauwarmen Kompromisse machen.

Merbeth (BayernInvest): Nachhaltigkeit ist kein Lippenbekenntnis. Die BayernInvest macht Nachhaltigkeit profitabel und Profitabilität nachhaltig. Das ist nur erreichbar, wenn Investmentprozesse, Reporting und Kommunikation im Gleichklang funktionieren: ehrlich, klar und glaubwürdig.

Das Interview führte Ludwig Riepl